Mehrere Dutzend, wenn nicht sogar über hundert isoliert lebende Völker und Gruppen gibt es noch im Amazonasgebiet, die meisten davon in Brasilien. Genau kann das niemand wissen. Denn die Völker meiden den Kontakt zur Außenwelt: Eine selbst gesetzte Grenze, die zum Schutz dieser Kulturen niemand überschreiten sollte.

Auch in den Wäldern indigener Territorien, die der WWF unterstützt, leben Gemeinschaften in freiwilliger Isolation. Umso wichtiger ist der konsequente Erhalt dieser Gebiete und ihrer Natur. Die indigenen Völker haben ein Recht auf ihre Heimat, auf ihre Lebensgrundlagen und auf ihre Selbstbestimmung.

Im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne oder In den Wäldern der Mashco Piro

Luftbild von Indigenen in Isolation 2012 © Gleilson Miranda / Secretaria de Comunicação do Estado do Acre /CC BY 2.5 br: tinyurl.com/mrx5bzxz
Luftbild von Indigenen in Isolation 2012 © Gleilson Miranda / Secretaria de Comunicação do Estado do Acre /CC BY 2.5 br: tinyurl.com/mrx5bzxz

Das wohl bekannteste und wahrscheinlich weltweit größte verbliebene indigene Volk in freiwilliger Isolation sind die Mashco Piro mit schätzungsweise mehr als 600 Mitgliedern im Grenzgebiet von Brasilien, Bolivien und Peru. Doch sie sind nicht die einzigen. Vermutlich mindestens drei weitere Gemeinschaften leben isoliert in den westlichen, weitestgehend unberührten Wäldern des Amazonasgebietes im brasilianischen Bundesstaat Acre und den angrenzenden Ländern.

„Das Wissen darum, dass in unseren Projektgebieten einige der letzten in freiwilliger Isolation lebenden Völker ihre Heimat haben, gibt unseren Schutzmaßnahmen eine enorme Bedeutung.“

Konstantin Ochs, Brasilien-Referent beim WWF Deutschland

Ein Leben zwischen Tradition und Moderne dagegen führen die Jaminawa Indigenen in der gleichen Region. Während sie ihre tiefe, spirituelle Verbindung zur Natur und ihr ausgeprägtes Wissen darüber wahren, nutzen sie längst auch mitten im Regenwald digitale Kommunikationsmittel, um ihre Rechte, ihre Kultur und ihr Land zu verteidigen. Der WWF arbeitet in Acre und weiteren Regionen des Amazonasgebietes eng mit indigenen Gemeinschaften wie den Jaminawa zusammen, um ihre Territorien und Wälder zu schützen und damit auch die Lebensgrundlagen isolierter Völker zu bewahren.  

Giftpfeile aus der Isolation

Indigene vom Volk der Jaminawa © Secretaria de Comunicação do Estado do Acre / CC BY 2.5 br: tinyurl.com/mrx5bzxz
Indigene vom Volk der Jaminawa © Secretaria de Comunicação do Estado do Acre / CC BY 2.5 br: tinyurl.com/mrx5bzxz

Bei einer Überwachungsmission zum Schutz ihres Territoriums werden die Jaminawa 2022 am kleinen Fluss Humaitá im Westen des brasilianischen Amazonasgebietes plötzlich mit Giftpfeilen beschossen: Sie sind versehentlich auf ein isoliert lebendes Volk gestoßen, das am Ufer campiert. Die Jaminawa betrachten dies trotzdem nicht als feindseligen Akt. „Alle indigenen Völker, mit denen wir arbeiten, respektieren den Wunsch nach freiwilliger Isolation und sehen sich als Beschützer:innen ihrer Verwandten, ihrer Brüdervölker, wie sie sagen.“ Konstantin Ochs betreut das größte Projekt des WWF Deutschland im Amazonasgebiet, den Schutz der brasilianischen Amazonas-Regenwälder gemeinsam mit den Indigenen. „Die isolierten Völker wehren sich bei solchen Zusammentreffen, weil sie mehr als schlechte Erfahrungen gemacht haben.“ In der Vergangenheit wurden sie stark dezimiert und beispielsweise bei Zusammenstößen mit Holzfällern immer wieder bedroht.

Selbstgewählte Abgeschiedenheit

Warum leben etliche indigene Gemeinschaften bis heute in selbstgewählter Isolation? Geschichten über negative Erfahrungen bei Begegnungen werden wahrscheinlich über Generationen weitergegeben, was ein tiefes Misstrauen gegenüber Fremden erzeugt. Die Indigenen scheinen die Entscheidung zur Isolation außerdem bewusst zu treffen, um ihre Identität und Lebensweise zu schützen. Vielleicht erkennen sie die Risiken, die mit der modernen Zivilisation einhergehen, wie Ausbeutung, Umweltzerstörung und den möglichen Verlust ihrer Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Niemand kann sie fragen. Es ist noch nicht einmal bekannt, wie sich diese verschiedenen Völker selbst nennen. In den Amazonas-Staaten gilt die Strategie, ihren Wunsch nach Isolation unbedingt zu wahren.  Es sei denn, die isoliert lebenden Indigenen bitten um Hilfe. Das tun sie manchmal. Die Mashco Piro bitten die Indigenen, die sie schützen, hin und wieder um Macheten oder Bananen. Sie fordern diese geradezu, denn einen Begriff von Eigentum kennen sie nicht. Dann verschwinden sie wieder im Wald.

Unkontaktierte Völker: Ein Begriff, der nicht richtig passt

Häufig werden die isoliert lebenden Indigenen als “unkontaktierte Völker” bezeichnet. Diese Bezeichnung drängt die Gemeinschaften aber in eine passive Rolle und impliziert, dass der Kontakt zur Außenwelt notwendig oder erstrebenswert sei - obwohl viele dieser Gruppen bewusst in freiwilliger Isolation leben, um ihre Kultur zu schützen.

Die Spuren sind schwer zu lesen

Fußspur eines isolierten Indigenen © Junior Manxineru
Fußspur eines isolierten Indigenen © Junior Manxineru

Auch auf dem riesigen Territorium der Uru Eu Wau Wau in Rondonia, ebenfalls an der Grenze zu Bolivien und ebenfalls WWF-Projektgebiet, leben noch schätzungsweise drei Völker in freiwilliger Isolation. Genaue Zahlen kennt man nicht. Möglicherweise sind es nur noch wenige Familien. Immer wieder finden die Uru Eu Wau Wau Fußspuren, verlassene Lagerstätten oder Anzeichen von Jagd und Fischerei. Ungeübte Augen können diese Zeichen kaum deuten. Doch die Uru Eu Wau Wau haben geschärfte Sinne für die Anwesenheit ihrer „Brüdervölker“. Sie zeichnen ihre Beobachtungen auf – auch als Argument, wenn es um den Erhalt ihres Territoriums geht. Wie die anderen Indigenen, die längst in Kontakt mit der industrialisierten Welt getreten sind, wollen die Uru Eu Wau Wau jene schützen, die diese aus gutem Grund meiden. Der WWF unterstützt sie dabei. „Das Wissen darum, dass in unseren Projektgebieten einige der letzten Völker in freiwilliger Isolation leben, gibt unseren Schutzmaßnahmen eine enorme Bedeutung“, so Konstantin Ochs vom WWF Deutschland. 

Illegale Entwaldung im Gebiet der Uru-Eu-Wau-Wau in Brasilien © Marizilda Cruppe / WWF-UK
Illegale Entwaldung im Gebiet der Uru-Eu-Wau-Wau in Brasilien © Marizilda Cruppe / WWF-UK

Die indigenen Völker in freiwilliger Isolation im Amazonasgebiet leben nomadisch und brauchen sehr große, intakte Waldgebiete. Sie finden sie auf Territorien wie dem der Uru-Eu-Wau-Wau und in Mosaiken und Netzwerken verschiedener Schutzgebiete, die auch deshalb dringend erhalten bleiben müssen und nicht verkleinert werden dürfen.

Indigene wie die Uru-Eu-Wau-Wau und die Jaminawa sammeln Daten, Bewegungsmuster und Bedrohungsfaktoren. Der WWF stärkt ihre Rolle und Schutzforderungen bei staatlichen Behörden, fördert den Dialog und politische Einflussnahme auch über Ländergrenzen hinweg und hat einen ausführlichen Austausch unter den Indigenen organisiert und finanziert darüber, wie sie die Völker in freiwilliger Isolation auf ihrem Land am besten schützen können. Auch Aufklärung in angrenzenden Gebieten ist notwendig.

Das Trauma der indigenen Völker

Die Indigenen in Brasilien wie in ganz Süd- und Mittelamerika leiden bis heute unter dem Trauma ihrer Geschichte seit Ankunft der europäischen Kolonialmächte. Sie wurden gewaltsam unterworfen. Krankheiten, gegen welche die indigenen Völker keine Immunität besaßen, führten zu verheerenden Epidemien und dezimierten ganze Bevölkerungsgruppen. Viele Indigene wurden versklavt und zur Arbeit auf den Plantagen gezwungen. Ihre Sprachen wurden verboten, ihre Religionen unterdrückt und Kinder in Internatsschulen zwangseingewiesen, um die indigenen Kulturen auszurotten.  

Die Zahl der indigenen Uru EU Wau Wau beispielsweise, mit denen der WWF eng zusammenarbeitet, sank in den 1970er und 80er Jahren von mehreren Tausend auf heute knapp 200.

Erstkontakt kann tödlich sein

Warnschild: Kein Kontakt zu Indigenen in freiwilliger Isolation © Thigre
Warnschild: Kein Kontakt zu Indigenen in freiwilliger Isolation © Thigre

Die indigenen Völker in freiwilliger Isolation gehören zu den bedrohtesten Bevölkerungsgruppen unserer Erde. Ein Erstkontakt mit der sogenannten Zivilisation kann für sie nicht nur die Infektion mit Krankheitserregern bedeuten, die ihre Körper nicht kennen. Er bedeutet auch eine große Gefahr für ihre ganz eigenen, unterschiedlichen Kulturen. Ihre Sprachen und Weltanschauungen könnten für immer verschwinden. Die Anerkennung der Selbstbestimmung und der Schutz dieser Völker sind entscheidend für ihre Zukunft und für die Wahrung der kulturellen Vielfalt unseres Planeten. Dazu gehört auch, ihre Wälder zu erhalten. Der Amazonas-Regenwald im Grenzgebiet von Brasilien, Peru und Bolivien ist einer der bis heute am Besten erhaltenen Regenwälder unserer Erde. Das soll er unbedingt bleiben!

Fotos von isoliert lebenden Indigenen

Im Gegensatz zu vielen anderen Medien möchten wir an dieser Stelle keine identifizierbaren Fotos von Indigenen zeigen, die in selbstgewählter Isolation leben. Das Bild im Artikel haben wir stark verpixelt. Diese Völker haben ein uneingeschränktes Recht auf Privatsphäre ohne die unerwünschte Einmischung von außen. Die Veröffentlichung von identifizierbaren Fotos stellt eine Verletzung dieser fundamentalen Rechte dar, indem sie intime Einblicke in ihr Leben ohne ihre Zustimmung öffentlich macht und sie zu Objekten der Neugierde degradiert. Indem wir auf die Verbreitung solcher Bilder verzichten, respektieren wir ihre Selbstbestimmung und erkennen ihre autonome Entscheidung an, in Isolation zu leben, um ihre Kultur und Lebensweise zu bewahren. 

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