Doch so fremd und abgeschieden ist sie keineswegs. Über die Tiefkühltruhe des Supermarktes gelangt sie sogar auf unsere Teller. Denn weil immer mehr küstennahe Meeresregionen bereits überfischt sind, holen zunehmend Schleppnetze der Fischereiflotten auch Tiefseefische wie den Granatbarsch aus dem Wasser.

Erforschung der Tiefsee

Granatbarsche aus der Tiefsee © Ian Hudson / WWF
Granatbarsche aus der Tiefsee © Ian Hudson / WWF

Obgleich bereits vor mehr als hundert Jahren zum Beispiel die Wissenschaftler der berühmten britischen „Challenger"-Expedition Lebewesen vom Boden der Tiefsee sammelten, blieben die verschiedenen Lebensräume des tiefen Ozeans bis heute wenig erforscht. Erst in jüngster Zeit, durch die Entwicklung moderner Kameras und Messsysteme, gelangen immer mehr Bilder und Erkenntnisse über diesen Lebensraum ans Licht der Öffentlichkeit.

Wohin das Licht nicht mehr vordringen kann, dort beginnt die Tiefsee, meist in ungefähr 400 Metern Tiefe, am unteren Teil der Kontinentalabhänge. Sie umfasst mit den großen Meeresbecken, den Tiefseegräben und den mittelozeanischen Gebirgen insgesamt 318 Millionen Quadratkilometer – das entspricht fast zwei Drittel der gesamten Erdoberfläche oder vier Fünftel der Ozeane. Das bedeutet: Der Großteil unserer Erdoberfläche besteht aus einem Lebensraum, den wir gerade erst beginnen zu entdecken.

Arten im Fokus des WWF

Kaltwasserkorallen

An den Rändern der kontinentalen Schelfe, zwischen 40 und 3.000 Metern Tiefe, wo kaum Sonnenlicht vordringt, erstrecken sich die Riffe der Kaltwasserkorallen. Im Nordost-Atlantik ist die vorherrschende riffbildende Art Lophelia pertusa, eine Steinkoralle, die mit 4 bis 25 Millimetern pro Jahr nur sehr langsam wächst. Trotzdem gibt es enorm große Kaltwasserkorallenriffe: Das größte ist das Røst-Riff vor Norwegen mit einer Fläche von über 130 Quadratkilometern. Das Unterwasserbauwerk ist damit größer als Manhattan und mehr als 8.500 Jahre alt. Weit außerhalb der nährstoffreichen Küstengewässer sind die Meere in großen Tiefen eher karg und lebensunfreundlich. Lebensräume wie die Kaltwasserriffe sind hier wie Oasen in der Wüste und bieten für viele Arten Schutz und Nahrung.

Tiefseeschwämme

Kabeljau in einem Fassschwamm vor Bali © ZambesiShark/ iStock / GettyImages Plus
Kabeljau in einem Fassschwamm vor Bali © ZambesiShark/ iStock / GettyImages Plus

Schwämme, nicht nur die der Tiefsee, sind eine der ältesten Lebensformen der Erde. Es sind sesshafte Tiere, die kleine Organismen und Partikel aus dem Wasser filtern, das durch ihre Öffnungen und Kanäle strömt. Schwämme sind in Tiefen bis zu 2.500 Metern heimisch und schaffen Lebensräume. Und vielfältige obendrein: Deshalb sind sie so wichtig. Auf ihnen können sich andere sesshafte Organismen wie zum Beispiel Korallen ansiedeln. Nicht zuletzt dienen sie auch als Schutz und Versteckmöglichkeiten für Nachwuchs von Fischen und andere Bewohner der Tiefsee. Die Spikulae-Skelette der Schwämme bleiben nach dem Tod eines Schwammes übrig und formen in Mengen dichte Matten, die wesentlich zur Stabilisierung des Meeresgrundes beitragen können. 

Seeberge

Manche der größten Berge der Erde hat noch kein Mensch je gesehen. Die Weltmeere halten sie verborgen. Ganze Gebirge durchziehen sie – so wie der mittelatlantische Rücken. Aber auch als einzelne Kuppen ragen sie mitunter vom Meeresboden mehrere tausend Meter aufwärts Richtung Wasseroberfläche. Viele Inseln sind, so wie die Spitze vom Eisberg, nur der Gipfel eines Bergriesen. Viele Arten von Meeresbewohnern kommen nur isoliert an einzelnen Seebergen vor. Andere benutzen sie als Trittsteine auf ihrem Weg durch den Ozean, als "Rastplatz" sozusagen – oder um auf diese Weise sich weiter über die Ozeane zu verbreiten. Seeberge haben deshalb eine wichtige Funktion für die Artenvielfalt unserer Meere.

Schwarze Raucher

Ein schwar­zer Rau­cher im Lo­gat­chev Hydro­ther­mal­feld am Mit­telat­lan­ti­schen Rü­cken © MARUM / Zentrum für Marine Umweltwissenschaften / CC BY4.0
Ein schwar­zer Rau­cher im Lo­gat­chev Hydro­ther­mal­feld am Mit­telat­lan­ti­schen Rü­cken © MARUM / Zentrum für Marine Umweltwissenschaften / CC BY4.0

Schwarze Raucher entstehen an den Schwächezonen der ozeanischen Erdkruste – meist dort, wo sie besonders dünn ist. Überall dort dringt Meerwasser in Tiefen von einigen hundert bis mehreren tausend Metern durch Risse in tiefere Schichten der Erdkruste ein. Hier trifft es auf glühende basaltische Magma, erhitzt sich auf bis zu 400 Grad Celsius und reichert sich mit vulkanischen Gasen an. So entsteht ein explosives Gemisch, das durch die Erdkruste zurück auf den Meeresboden schießt. Auf seiner Reise durch die Unterwelt nimmt das Meerwasser viele Mineralstoffe aus der sich abkühlenden basaltischen Schmelze auf – von Schwefelverbindungen bis zu Schwermetallen. Das heraus schießende Wasser ist deshalb nicht nur saurer als Essig, sondern auch schwarz gefärbt – daher der Name. In diesem brodelndem Hexenkessel in sonst eisiger Dunkelheit ist Leben entstanden. Mehr noch, ganze Ökosysteme mit einer Vielfalt von Arten existieren hier.

Ausbeutung schneller als Erforschung

Das tun wir leider vor allem, um ihn baldmöglichst genauso auszubeuten wie den Rest der Erde. Denn schneller noch als der Fortschritt der Wissenschaft schreitet die Nutzung der Meere voran. Tiefseefischerei findet heute bereits bis in 2.000 Metern Wassertiefe statt. Es werden Rohstoffe wie Erdöl, Methanhydrat, Kobalt und seltene Erden abgebaut. Das Interesse an biologischen Ressourcen aus der Tiefsee für Pharma- und Kosmetikindustrie wächst (Bioprospektion).

Der WWF arbeitet bereits seit den 1990er Jahren am Schutz dieses größten Lebensraumes der Erde – mit Erfolgen wie der Schaffung von Meeresschutzzonen für Korallenriffe vor Norwegen, Irland und Schottland sowie für Seeberge und Schwarze Raucher bei den Azoren und Tiefseeschwämme am Mittelatlantischen Rücken. Diese Tiefseelebensräume wurden von den Vereinten Nationen als besonders empfindliche und schützenswerte Ökosysteme, so genannte „Vulnerable Marine Ecosystems (VMEs)“ eingestuft.

Nicht nachhaltige Fischerei ist größte Gefahr für die Tiefsee

Aus heutiger Sicht stellt vor allem die expandierende, nicht nachhaltige Fischerei die größte Gefahr für die Produktivität und den Artenreichtum der tiefen und offenen Ozeane dar. Und zwar aus zwei Gründen:

  • Fische, Korallen und andere Organismen der Tiefsee wachsen in der Regel sehr langsam (das nachgewiesene Alter von einigen Korallen und Fischen ist höher als das von Menschen), pflanzen sich nur spät und selten fort und können daher keiner Fischerei standhalten. Dezimierte Bestände erholen sich nur äußerst langsam. Wissenschaftliche Grundlagen zur nachhaltigen Befischung fehlen noch gänzlich.
  • Außerdem setzen Trawlerflotten häufig tief reichende Grundschleppnetze ein, welche die wichtige Bodenfauna aus Korallen oder Schwämmen zerstören. Eine Regeneration wird, wenn sie denn überhaupt stattfindet, mehrere hundert bis mehrere tausend Jahre dauern. Den ohnehin schon bedrohten Bewohnern wird so der Lebensraum entzogen.

Abwägen zwischen Nutzung und Schutzbedarf

Neben der Fischerei haben auch Erdöl- und Erdgasförderer und sogar Tourismusunternehmen, die Tauchfahrten zu besonderen Schönheiten anbieten, einen begehrlichen Blick auf die Ressourcen der Tiefsee geworfen. Die Risiken der Ölförderung aus der Tiefsee sind seit der Katastrophe im Golf von Mexiko offensichtlich geworden. Für ihre Erhaltung durch sorgfältiges Abwägen zwischen Nutzung und Schutzbedarf setzt sich der WWF ein – insbesondere für ein Aussetzen der Fischerei mit Grundschleppnetzen in bestimmten, besonders empfindlichen Gebieten und die Einrichtung eines Netzwerks von Meeresschutzgebieten.