Indigene wehren sich gegen Bolsonaros Politik: Der April ist der Monat des indigenen Protestcamps „Freies Land“ in Brasiliens Hauptstadt Brasília. Ein Protest, der mit jedem Jahr wächst und im Jahr 2022 aktueller nicht sein könnte. Tausende Indigene sind in die Hauptstadt gekommen, um gegen den Ausverkauf ihrer Heimat zu demonstrieren.
Es ist bunt in Brasílias Straßen dieser Tage. Bunt und laut. Farbige Kopfbedeckungen, Perlen und Bemalungen. Plakate und Banner, Lieder, Tänze und Protestchöre: Bereits seit 18 Jahren wiederholen sich die Szenen des indigenen Aprils in der brasilianischen Hauptstadt.
Das elf Tage andauernde Protestcamp „Freies Land“ (Portugiesisch: Acampamento Terra Livre - ATL) ist die größte indigene Mobilmachung Brasiliens und wird von der brasilianischen indigenen Dach-Organisation APIB organisiert. Mehr als 40 verschiedene indigene Völker aus allen Landesteilen erfüllen Brasília mit ihren kulturellen Ausdrucksformen und fordern in diesem Jahr: „Brasilien zurückerobern: Demarkierung indigener Territorien und Indigenisierung der Politik.“
Brasilien zurückerobern: Landraub und Bergbau bedrohen indigene Territorien
In den letzten 40 Jahren wurden 20 Prozent des brasilianischen Amazonasgebietes zerstört. Indigene Gebiete wirken wie Schutzschilde gegen die Zerstörung und haben im gleichen Zeitraum nur etwa zwei Prozent ihrer ursprünglichen Fläche verloren. Doch der Druck nimmt zu. Laut Daten des Nationalen Instituts für Weltraumforschung ist die Entwaldung in den indigenen Gebieten zwischen 2019 und 2021 im Vergleich zu den drei vorangegangenen Jahren um 138 Prozent gestiegen.
Abholzung, Bergbau, die Expansion der Agrarindustrie und Infrastrukturprojekte wie der Straßenbau und Wasserkraftwerke bedrohen mit den indigenen Territorien Regenwaldgebiete, die auch für den Klima- und Artenschutz von großer Bedeutung sind. Doch Brasiliens Politik schert sich wenig um Natur und Indigene, wenn es um Wirtschaftswachstum und beispielsweise die Förderung von Gold und seltenen Erden geht.
Bergbau in Schutzgebieten
Grundsätzlich verbietet die brasilianische Verfassung – zumindest im Moment noch – Bergbauaktivitäten auf indigenem Land.
Doch die Gebiete der Kayapó, Munduruku und Yanomami beispielsweise leiden seit Jahrzehnten unter illegalem Bergbau. Ein Problem, das sich in den letzten Jahren verschärft und tiefgreifende Auswirkungen auf die Natur und ihre Bevölkerung hat. „Illegale Minenarbeiter fallen wie Heuschrecken in indigenes Land ein, zerstören alles und dringen überall ein. Es ist wie ein Krieg.“, sagt Maial Paiakan vom Volk der Kayapó aus dem Amazonasgebiet der brasilianischen Bundesstaaten Pará und Mato Grosso.
„Indigene Völker und ihre Territorien sind der Schlüssel zur Bekämpfung der Klimakrise.“
Luiz Henrique Eloy Amado Terena, Anwalt der Organisation ABIP
Anti-indigene Agenda in Brasilien
Das diesjährige Protestcamp „Freies Land“ in Brasilía – die ATL 2022 – könnte zum Meilenstein in der Geschichte der indigenen Völker Brasiliens werden und alle bisherigen Teilnehmerrekorde übertreffen.
Es ist Wahljahr in Brasilien. Der amtierende Präsident Jair Bolsonaro hatte vor seinem Amtsantritt damit geworben, „keinen Zentimeter Land mehr“ für Indigene auszuweisen und bestehende Schutzgebiete für den Bergbau zu öffnen. Mit verschiedenen aktuellen Gesetzesentwürfen erreicht die anti-indigene Agenda der Bolsonaro-Regierung nun ihren vorläufigen Höhepunkt. „Dazu gehört eines der gefährlichsten Gesetze für indigene Völker heute überhaupt“, kritisiert Roberto Maldonado, Südamerika-Referent beim WWF Deutschland. „Brasiliens Umweltbilanz ist unter Präsident Bolsonaro verhehrend, und indigene Völker leiden besonders darunter.“
Gefährliche neue Gesetzesentwürfe
Vorrangig für Brasiliens Regierung ist der Gesetzesentwurf PL 191/2020 „Anything Goes in Indigenous Lands Bill“ – „alles ist erlaubt in indigenen Territorien“. Dieses Gesetz würde Bergbau, Wasserkraftwerke, Landwirtschaft und große Infrastrukturprojekte auf indigenem Land legalisieren und den hier heimischen Völkern jede Möglichkeit entziehen, juristisch dagegen vorzugehen.
„Der Vorschlag verstößt gegen nationales und internationales Recht. Der Amazonas und die Wälder im Allgemeinen sind unsere Heimat. Ohne den Amazonas gibt es kein Leben auf der Erde, wie wir es heute kennen. Und das betrifft alle Brasilianer:innen ohne Ausnahme.“ Der 34-jährige Anwalt der APIB, Eloy Terena stammt aus dem indigenen Land Taunay-Ipegue im Bundesstaat Mato Grosso do Sul und ist derzeit eine der aktivsten Stimmen der indigenen Bewegung.
Indigene in die Parlamente!
„Todesprojekte“ nennt Eloy Terena die Entwürfe der Bolsonaro-Regierung, zu denen weitere Vorschläge gehören, welche die Rechte der indigenen Völker verletzen, die Grenzen ihrer Territorien aufweichen, Landraub legal ermöglichen und schwere sozio-ökologische Folgen haben werden. „Immer wieder wird versucht, unsere Gebiete und unser Leben zu vernichten. Wir beobachten eine völkermordende Regierung. Doch dieses Jahr, das Wahljahr, soll ihr letztes sein!“ verkündet Eloy Terena kämpferisch.
Neben dem sich immer stärker formierenden Protest ist ein wichtiger Schritt für die indigenen Völker Brasiliens ihr Einzug in die Politik. Auf dem Programm des 18. Protestcamps „Freies Land“ in Brasília stehen deshalb auch Debatten über die Interessenvertretung der Indigenen, die Beteiligung indigener Frauen und Jugendlicher, die indigene Bildung und die Unterstützung indigener politischer Kandidaturen.
Große Bedeutung für den Klima- und Umweltschutz
Gesetzesentwürfe wie das „Anything Goes in Indigenous Lands Bill“ bedrohen nicht nur die Territorien und das Leben indigener Völker, sondern auch das Überleben unseres gesamten Planeten. „Wir haben sowohl im Inland als auch in der internationalen Gemeinschaft immer wieder betont, dass die indigenen Völker und ihre Gebiete eine Schlüsselrolle bei der Bekämpfung der Klimakrise spielen. Unsere Existenz ist ein Teil der Lösung für die Erhaltung des Lebens“, so Eloy Terena. „Indigenes Land und Schutzgebiete wirken als territoriale Barrieren gegen die Entwaldung. Es sind Klimasicherheitsgebiete, die wirksam geschützt werden müssen.“
Und so ist das ATL-Protestcamp in Brasilía noch weit mehr als eine starke Bewegung gegen die größte Bedrohung, der die indigenen Völker heute ausgesetzt sind. Es ist ein Akt der politischen und kulturellen Manifestation im Sinne von uns allen und unseres Planeten.
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