Dass in der Trockenzeit zwischen Juni und Oktober die Temperaturen steigen und die mächtigen Flüsse weniger Platz als sonst einnehmen, ist im größten Regenwaldgebiet der Welt nichts Neues, sondern ein natürlicher, regelmäßig wiederkehrender Prozess. Doch was sich im Herbst 2023 abspielte, ist beispiellos in der Geschichte Brasiliens. Im heißesten Oktober seit Beginn der Wetteraufzeichnung stiegen die Temperaturen in den Gewässern im Norden des Landes teilweise auf über 40 Grad Celsius, während gleichzeitig viele Amazonaszuflüsse auf die niedrigsten jemals verzeichneten Pegel fielen.
Im brasilianischen Amazonasgebiet stellt eine Jahrhundertdürre Menschen und Tiere vor immense Schwierigkeiten. Hinzu kommen zahllose Brände. Aktuell besonders betroffen sind zwei stark bedrohte Delfinarten. Der WWF leistet Soforthilfe in der Dürreregion.
Ernährungssicherheit und Gesundheit in Gefahr
Für die Bevölkerung, die an und von den Flüssen lebt, stellt die Dürre ein enormes Problem dar: Brunnen fallen trocken und Fische verenden im zu warmen Wasser. Vor allem aber verlieren die Flüsse ihre Funktion als Verkehrsweg. Viele Gemeinden in der Regenwaldregion sind nur per Schiff zu erreichen – und haben somit ihre einzige Verbindung zur Außenwelt verloren.
Trinkwasser und Lebensmittel werden knapp, ihre eigenen Waren können die Dorfbewohner:innen nicht mehr zu den Märkten bringen. Ohne die Wasserwege in die größeren Orte können Kinder nicht in die Schule, und Arztbesuche sind unmöglich. Und dort, wo noch Boote fahren, sind die Preise für alles stark gestiegen.
Die ersten Hilfspakete sind angekommen
Um den Menschen in Not zu helfen, haben unsere Kolleginnen und Kollegen vom WWF Brasilien eine erste Lieferung von fast sechs Tonnen Lebensmittel organisiert. Die Pakete gingen an 353 Familien in isolierten Gemeinden der Bundesstaaten Rondônia und Amazonas.
In Rondônia arbeitet der WWF Brasilien mit der Organisation der Kautschuksammler:innen zusammen, die im Naturschutzgebiet rund um den Cuniã-See leben. In Amazonas, wo die Hilfslieferungen Familien in den Naturschutzgebieten Piagaçu-Purus und Ituxi erreichten, gibt es eine Kooperation mit dem Umweltsekretariat des Bundesstaats.
Eine größere Hilfslieferung für weitere 4.000 Familien im Amazonasgebiet ist in Vorbereitung. Osvaldo Barassi Gajardo, Naturschutzspezialist beim WWF Brasilien erklärt: „Wir konzentrieren uns bei der humanitären Hilfe auf Gemeinden, die durch die niedrigen Flusspegel isoliert sind und unter Wasser- und Nahrungsmittelknappheit leiden. Mit unserem Einkaufs- und Verteilungsmanagement sorgen wir dafür, dass die Hilfen schnell bei den Menschen ankommen.“
Aufgeheizte Flüsse, sterbende Wassertiere
Ende September 2023 wurde deutlich, dass die historische Dürre im Amazonasgebiet auch für die Tierwelt eine tödliche Bedrohung darstellt.
Allein am 28. September 2023 verendeten im Tefé-See im Bundesstaat Amazonas 70 Flussdelfine. An diesem Tag wurde in einer Bucht des Sees eine Wassertemperatur von 39,1 Grad gemessen, stellenweise sogar fast 41 Grad. Das ist mehr als 10 Grad zu warm! Bis Anfang November summierte sich die Zahl der toten Delfine im Tefé-See und im Coari-See (ebenfalls im Bundesstaat Amazonas) auf 229.
- WWF startet Rettungsaktion für bedrohte Flussdelfine
Bei diesen Tieren handelte es sich um Amazonas-Flussdelfine (Inia geoffrensis, auch Bota oder Rosa Delfin genannt) und Tucuxi-Flussdelfine (Sotalia fluviatilis, auch Amazonas-Sotolia genannt). Beide Arten werden auf der Roten Liste der Weltnaturschutzunion (IUCN) als stark gefährdet geführt. Was genau zu dem Massensterben führte, ist noch unklar.
Die Untersuchung der Kadaver brachte keinerlei Hinweise auf potenziell tödliche Infektionserreger. Die derzeit wahrscheinlichste Hypothese: Die Flussdelfine haben einen thermischen Schock erlitten, nicht mehr gefressen und so die Fähigkeit verloren, ihre Körpertemperatur zu regulieren. Vermutlich führte dies zu einem Blutstau im Gehirn, es kam zum Schlaganfall.
„Es passiert weltweit nun zum ersten Mal, dass Wassersäugetiere durch Hitze sterben. Was den Flussdelfinen im Amazonas passiert, ist vergleichbar mit dem, was den Eisbären und Walrossen in der Arktis widerfährt.“
Flussdelfine als Eisbären der Tropen
Und die Gefahr ist noch nicht gebannt. Die Ozeanografin Miriam Marmontel vom staatlichen Mamirauá-Institut leitet eine Forschungsgruppe zu Wassersäugetieren im Amazonasgebiet. Sie fürchtet, dass auch in anderen Seen der Region mit verendeten Flussdelfinen zu rechnen ist. Die Forscherin macht den Zusammenhang des Flussdelfinsterbens mit der Klimakrise deutlich: „Es passiert weltweit nun zum ersten Mal, dass Wassersäugetiere durch Hitze sterben. Was den Flussdelfinen im Amazonas passiert, ist vergleichbar mit dem, was den Eisbären und Walrossen in der Arktis widerfährt.“
Große Sorgen bereitet der Forschungsgruppe, dass die Hitzewelle im Amazonasgebiet durch El Niño verschärft wird und man für 2024 mit einem noch stärkeren Auftreten dieses Klimaphänomens rechnet.
Für die Flussdelfine sind das sehr schlechte Aussichten, wie Miriam Marmontel befürchtet: „Sie können perfekt mit Überschwemmungen umgehen, sie bewegen sich sehr geschickt in überfluteten Wäldern. Aber an Trockenheit sind sie nicht angepasst.“
Der WWF Brasilien unterstützt die Untersuchungen zu den Ursachen des Flussdelfinsterbens und stellt unter anderem Treibstoff für Boote, Schutzausrüstung und veterinärmedizinische Ausstattung zur Verfügung.
Trockenheit begünstigt Waldbrände
Als sei die historische Dürre für Menschen und Tiere noch nicht schwierig genug, hat die Amazonasregion in der Trockenzeit 2023 mit deutlich mehr Waldbränden als sonst zu kämpfen. Die Brände entstehen allerdings nicht von selbst, sondern sind Ergebnis von Brandstiftung – mit der Brandrodung wird Wald in landwirtschaftlich genutzte Fläche umgewandelt. Dies geschieht sehr häufig illegal.
Allein im Oktober 2023 wurden 22.061 Brände registriert – 59 Prozent mehr als im Vorjahresmonat und 34 Prozent mehr als im langjährigen Durchschnitt seit 1998. Damals zeichnete das Nationale Institut für Weltraumforschung (Inpe) erstmals Brände in der Regenwaldregion systematisch auf. Besonders viele Feuer wüteten 2023 in den Bundesstaaten Roraima, Amazonas, Amapá, Pará und Acre.
Waldbrände im Amazonasgebiet stehen oft in direkter Verbindung mit der Abholzung. Doch obwohl die Entwaldung 2023 erfreulicherweise sieben Monate in Folge zurückging, nahm die Zahl der Brände zu. „Diese Dynamik kann als Teil der Dürre verstanden werden, der verheerendsten für den Amazonas in den letzten 120 Jahren", erklärt Mariana Napolitano, Direktorin für Strategie beim WWF Brasilien. „In dieser Situation neigen Brände dazu, sich besonders an den Waldrändern und in stark degradierten Wäldern auszubreiten.“
- Trauriger Rekord: Fast 4.000 Brände im Pantanal
Waldschutz jetzt!
Deshalb fordert der WWF, die Maßnahmen zum Waldschutz deutlich zu verstärken und die Entwaldung zu stoppen.
Um die Brände vor Ort einzudämmen, unterstützt der WWF Brasilien schon seit 2019 rund 50 freiwillige Feuerwehren. In der jetzigen Krisensituation haben die Kolleginnen und Kollegen vom WWF Brasilien ihren Einsatz noch einmal ausgeweitet. Sie haben zusätzliche Feuerwehrausrüstung geliefert, die nun vor allem in abgelegenen Siedlungen an Flussufern und in indigenen Gemeinden zum Einsatz kommt.