330 Flussdelfine sind seit dem 23. September 2023 im Lago Tefé und im Caori-See im brasilianischen Bundesstaat Amazonas ums Leben gekommen – betroffen sind sowohl der rosa Flussdelfin als auch der Tucuxi, der grau und etwas kleiner ist. Das Massensterben der seltenen Tiere macht offenkundig, wovor Forscher:innen und Umweltschützer:innen schon lange warnen: Im Amazonasgebiet rückt der ökologische Kipppunkt näher.

Seit 2023 herrschen im Amazonasgebiet hohe Temperaturen, es gibt kaum Niederschläge. Eigentlich normal zu bestimmtem Jahreszeiten, doch 2023 wurde die Dürre durch El Niño verstärkt, ein Wetterphänomen, das alle paar Jahre auftritt. Und auch im Januar 2024 blieben die Niederschläge unter dem Durchschnitt. Die Folge: Nicht nur sind die Pegelstände extrem niedrig – in einigen Zuflüssen des Amazonas hat das Wasser so hohe Temperaturen erreicht, wie sie noch nie zuvor gemessen wurden.

Der Lago Tefé liegt an einem dieser Amazonaszuflüsse. Und wahrscheinlich haben die hohen Wassertemperaturen von bis zu 39,1 Grad Celsius zum Tod der Flussdelfine geführt. Die derzeit wahrscheinlichste Hypothese: Die Flussdelfine erlitten einen thermischen Schock, haben nicht mehr gefressen und so die Fähigkeit verloren, ihre Körpertemperatur zu regulieren. Vermutlich führte dies zu einem Blutstau im Gehirn, es kam zum Schlaganfall. Zwölf Prozent der Flussdelfin-Population sind allein im Lago Tefé gestorben.

„Ich bin mir sicher, dass es auch an anderen Orten Todesfälle gab”, sagt Mariana Paschoalini Frias, Naturschutzspezialistin beim WWF Brasilien. „Denn es gibt mehr als 50 Seen in der Region, die nicht überwacht wurden.

Die Situation ist umso dramatischer, als die Rote Liste der Weltnaturschutzunion IUCN beide Flussdelfin-Arten bereits als stark gefährdet listet. „Wir haben in zahlreichen Studien gezeigt, welchen Bedrohungen die Tiere ausgesetzt sind“, erklärt Mariana Paschoalini Frias. „Neben Wasserkraftwerken, Quecksilberverschmutzung und Konflikten mit Menschen sind die kleinen Süßwasserdelfine nun auch direkt vom Klimawandel betroffen!

 

Dürre trifft Menschen, Tiere und Pflanzen

Doch nicht nur die Flussdelfine, auch tausende andere Arten, die in den Wasserökosystemen des Amazonasgebiets leben, litten unter der verheerenden Dürre im Herbst 2023. Vor allem aber die lokale Bevölkerung war betroffen: Denn die Flüsse des Amazonasbeckens beherbergen nicht nur eine riesige Artenvielfalt, sie sind Einkommensgrundlage, sie dienen als Transportwege und als Quellen für Nahrung, Wasser und Energie. Der niedrige Wasserstand brachte die Menschen in unkalkulierbare Schwierigkeiten.

Das viel zu warme Wasser ließ außerdem die Fische sterben, was in zahlreichen Gemeinden eine Nahrungsmittelkrise auslöste. Und weil die verendeten Fische das Wasser verschmutzten, war auch der Zugang zu Trinkwasser in Gefahr.

Allein im brasilianischen Bundesstaat Rondônia waren im November 2023 640 Familien aus zehn Gemeinden ohne sauberes Wasser und ohne ausreichend Lebensmittel. Der WWF Brasilien unterstützte die Menschen vor Ort mit der Lieferung von Hilfspaketen.

Wettlauf gegen die Zeit

Der Flussdelfin ist ein Opfer der Dürre © Adriano Gambarini
Der Flussdelfin ist ein Opfer der Dürre © Adriano Gambarini

Auch für die noch überlebenden Flussdelfine war der WWF Brasilien im Einsatz: Doch die Rettung der Flussdelfine, die sich noch in den warmen Gewässern im Lago Tefé aufhielten, gestaltete sich als Wettlauf gegen die Zeit. Die Abgeschiedenheit der Region erschwerte den Einsatz der Hilfskräfte. „Zuerst haben wir versucht, die Kadaver aus dem Wasser zu holen, was bei der großen Anzahl toter Tiere aber unmöglich ist“, sagte André Coelho vom staatlichen Forschungsinstitut Mamirauá. „Die lebenden Delfine in andere Flüsse zu bringen, ist im Moment nicht sicher, da wir dort zunächst die Wasserqualität prüfen müssen“, ergänzte der Wissenschaftler. Deshalb brachten Freiwillige und Fachkräfte des Instituts und des WWF Brasilien die Delfine mit vereinten Kräften vom Ufer des Lago Tefé in tiefere Gewässer. Denn dort hatten sie bessere Überlebenschancen.

Parallel dazu organisierten die Wissenschaftler:innen und Naturschützer:innen eine Art Floß mit einem Wasserbecken, in dem die überlebenden Delfine aufgenommen und kontinuierlich überwacht werden konnten. Um die Ursache des Massensterbens im Detail zu klären, wurden Boden- und Wasserproben entnommen und analysiert, die Forscher:innen prüften außerdem, ob eventuell ein Algengift eine Rolle beim Tod der Delfine gespielt hat.

Tatsächlich fanden die Forscher:innen an einer Stelle des Sees eine ungewöhnlich hohe Anzahl einer Algenart fest, die ein Toxin produziert, das bei Fischen zum Tod führen kann. Die Untersuchung der Flussdelfine hatte jedoch nicht bestätigt, dass diese Toxine auch bei den Delfinen zum Tod geführt haben könnten, auch Hinweise auf Krankheitserreger gab es nicht. Wahrscheinlicher für das Massensterben ist der Hitzestress, verursacht durch Wassertemperaturen von fast 40 Grad Celsius.

Klimakrise verschärft die Folgen der Trockenheit

Abholzung in Brasilien © Edward Parker / WWF
Abholzung in Brasilien © Edward Parker / WWF

Laut Weltklimarat (IPCC) verschärft die Erderhitzung die Intensität von Dürren und Trockenzeiten – mit jedem Grad der globalen Erwärmung nehmen die mit Wassermangel verbundenen Risiken zu. Laut MapBiomas hat Brasilien in nur drei Jahrzehnten rund 1,5 Millionen Hektar Wasserfläche verloren, das entspricht ungefähr der zehnfachen Größe des Großraums London.

Auch Forscher:innen der „World Weather Attribution“ – einer Gruppe von 18 Forscher:innen aus Brasilien, Großbritannien, der Niederlande und den USA – sehen als Hauptursache für die extreme Trockenheit im Amazonas die Klimakrise: Sie sei zu 75 Prozent verantwortlich, das Wetterphänomen El Nino, das 2023 begann, habe nur zu 25 Prozent dazu beigetragen.

El Nino wird sich wahrscheinlich bis Mitte des Jahres abschwächen, „doch wenn nicht, könnte den Amazonas eine weitere heftige Dürre treffen bevor er sich wieder erholt hat“, so José Marengo, coordinator of Cemaden (National Center for Monitoring and Alerts of Natural Disasters). „Im Moment geht der Trend zum Besseren, denn es beginnt zu regnen. Allerdings haben die Regenfälle erst zum Jahreswechsel eingesetzt und damit fast zwei Monate später als normal“, so Marengo. „Und sie kommen nur langsam zurück und immer noch nicht in der Menge, die notwendig wäre, um die Flüsse vollständig aufzufüllen und das Dürreproblem zu lösen."

Traurige Warnung an uns alle

Fang eines Flussdelfins © Adriano Gambarini / WWF-Brazil
Fang eines Flussdelfins © Adriano Gambarini / WWF-Brazil

Flussdelfine sind ein Indikator für ein intaktes Ökosystem. Ihr Massensterben ist eine traurige und eindeutige Warnung an uns alle: Der Amazonas muss dringend geschützt und der Kampf gegen die Klimakrise verstärkt werden. Bei diesem Kampf geht es primär darum, den Einsatz fossiler Brennstoffe zu reduzieren und die Abholzung der Wälder zu stoppen.

Denn verliert der Amazonas mehr als 25 Prozent seiner ursprünglichen Fläche, ist der sogenannte Kipppunkt erreicht. Das regionale Klima könnte sich derart ändern, dass sich große Teile des verbliebenen Regenwaldes langfristig in eine Steppe verwandeln. Und das wiederum hätte fatale Folgen für das Weltklima.

Der WWF fordert deshalb: Die Entwaldung muss gestoppt werden und 80 Prozent des Amazonasgebiets müssen bis spätestens 2030 unter Schutz gestellt werden – begleitet von weltweiten Anstrengungen, den durchschnittlichen Temperaturanstieg unter 1,5 Grad Celsius zu halten.

World River Dolphin Day macht Hoffnung

Am 24. Oktober 2023 war World River Dolphin Day, also Welttag der Flussdelfine. Und in diesem Jahr unterzeichneten die Teilnehmenden eine globale Erklärung, um den Rückgang der Flussdelfinpopulationen in Südamerika zu stoppen und die Flussdelfinpopulationen in Asien zu verdoppeln.

Zu den Unterzeichnenden der Deklaration gehörten 11 Regierungsvertreter:innen der 14 Verbreitungsländer der Flussdelfine, Vertreter:innen der Vereinten Nationen, Nichtregierungsorganisationen, Universitäten, Unternehmen und öffentliche Geldgeber:innen. Sie verpflichteten sich unter anderem dazu, nicht-nachhaltige Fischereipraktiken abzuschaffen und ein gut verwaltetes Schutzgebietsnetzwerk für die Flussdelfine zu schaffen.

Die globale Deklaration ist ein großer Schritt in die richtige Richtung: Denn wir müssen gemeinsam handeln, um die Flussdelfine und die Flüsse, in denen sie leben, weltweit zu schützen. Nur so können wir den Millionen von Menschen helfen, deren Lebensgrundlage von diesen Flüssen abhängt!