In einer Studie des Alfred-Wegener-Instituts wurden jetzt die Auswirkungen der Vermüllung der Meere auf Artenvielfalt und Ökosysteme untersucht. Dabei wurde deutlich: Die Folgen der Plastikkrise sind für Seevögel, Meeresschildkröten und Meeressäuger besonders dramatisch. Und: Es ist die Summe menschlicher Einflussfaktoren, die den Unterschied macht.
Seevögel, Meeresschildkröten, Wale, Delfine und Robben - sie leiden am meisten unter der Plastikkrise im Meer. Viele Tiere, die mit Plastik im Meer konfrontiert werden, sterben einen langsamen und qualvollen Tod. Bilder von an Plastikmüll erstickten Tieren berühren uns und sind nur schwer zu ertragen. Doch kann Plastikmüll im Meer sich auch auf den Bestand einer ganzen Art auswirken?
Seevögel: Dauerflieger, Flugkünstler und Plastikopfer
Eissturmvögel, Albatrosse und Basstölpel sind faszinierende und majestätische Flugkünstler, die auch bei Stürmen elegant durch die Luft manövrieren können und fast ihr ganzes Leben auf dem offenen Meer verbringen. Der Wander-Albatros übertrifft mit bis zu dreieinhalb Metern Flügelspannweite jeden anderen Vogel der Welt. Sein nördlicher Verwandter, der nur möwengroße Eissturmvogel, verteidigt seine Jungen gegen Angriffe von Nesträubern, indem er sie mit einem zähen und stinkenden Magenöl anspuckt. Basstölpel sind für ihre spektakulären Sturzflüge bekannt, bei denen sie sich aus bis zu 45 Metern Höhe ins Meer stürzen, um nach Heringen und Makrelen zu jagen.
Ob Basstölpel, Albatros oder Eissturmvogel: In vielen Regionen hat inzwischen jeder dritte untersuchte Seevogel Plastik im Magen. Beim Eissturmvogel wurden nur noch in Einzelfällen keine Plastikteile im Verdauungssystem gefunden. Das Problem ist beim Eissturmvogel so verbreitet, dass Biolog:innen ihn als Indikatorart für die Belastung der Meere mit Plastik und auch für die Wirksamkeit von Maßnahmen gegen die Vermüllung der Ozeane nutzen. Vereinfacht gesagt: Hat der Eissturmvogel viel Plastik im Magen, sind auch die Meere insgesamt stark mit Plastik belastet.
Netze aus Fischerleinen und Feuerzeuge im Magen
Nur für wenige Wochen, in denen sie Eier legen und ihre Jungen ausbrüten, kommen Seevögel an Land. Basstölpel nutzen dabei zum Nestbau oft Reste von Fischereileinen. Auf Deutschlands einzigem Basstölpel-Brutfelsen auf Helgoland kann man die grellbunten Plastikfäden in fast jedem Nest gut erkennen - und leider auch die darin verendeten Jungvögel. Noch schlechter steht es um Albatrosse und Eissturmvögel. Sie jagen nicht im Sturzflug, sondern nehmen Nahrung von der Wasseroberfläche auf. Dabei verwechseln sie offenbar kleine Plastikteile, die an der Oberfläche schwimmen, mit Nahrung und verschlucken sie.
Untersuchungen von Küken des Laysan-Albatros, der auf Hawaii brütet, fanden bei mindestens 67 von 100 Küken Plastik im Magen. Dabei holten die Forscher:innen vollständig erhaltene Plastiktüten, Plastikspielzeug, Feuerzeuge und in einem Fall sogar eine Zahnbürste aus dem Verdauungssystem der Küken.
Überlebten sie trotz Plastik im Magen, waren die Albatros-Küken bei den Untersuchungen mit einem Endoskop oft für ihr Alter zu leicht. Weil sie nicht genug Fett ansetzten, verringerten sich auch langfristig ihre Überlebenschancen. Auch eine erhöhte Konzentration von Spurenmetallen wurde in ihren Federn festgestellt. Grund dafür ist, dass verschluckte Plastikteile gefährliche Gifte in die Körper der Albatrosse einbringen können.
Seevögel sind ohnehin schon massiv durch Klimawandel, Beifang in der Fischerei sowie invasive Arten wie Katzen und Nagetiere bedroht. Die Auswirkungen, die Plastik auf den Bestand bestimmter Seevogelarten haben könnte, muss noch viel genauer untersucht werden.
Erste Ergebnisse zeigen aber: Während das Plastik auf die Bestandszahlen der Basstölpel bisher noch keinen Einfluss zu haben scheint, sieht die Lage für die Albatrosse viel schlechter aus. Alle 22 Albatrossarten gelten laut Roter Liste der bedrohten Tierarten als potentiell oder stark gefährdet. Drei sind sogar vom Aussterben bedroht. Das Plastikproblem könnte diese Gefahr erheblich verschärfen und der Tropfen sein, der schließlich das Fass zum Überlaufen bringt. Prognosen gehen davon aus, dass es ohne eine Umkehr in der Plastikproduktion schon im Jahr 2050 keinen einzigen Seevogel mehr geben wird, der kein Plastik im Magen hat.
Meeresschildkröten - Plastikfallen am Strand und im Meer
Ölverschmutzung, Klimawandel und direkte Ausbeutung - auch Meeresschildkröten sind einer Vielzahl an Bedrohungen durch den Menschen ausgesetzt. Das Verschlucken von Plastikteilen und das Verheddern in Tüten oder Netzen aus Kunststoff ist Expert:innen zufolge aber das größte Todesrisiko für Meeresschildkröten.
30 bis 40 Prozent aller sieben Meeresschildkrötenarten sind davon betroffen. Nicht nur im Wasser, auch am Strand werden herumliegende Plastikteile zur Gefahr, denn junge Meeresschildkröten müssen nach dem Schlüpfen schnell das Meer erreichen, um vor Fressfeinden sicher zu sein. Wenn sie am Strand in Plastikteilen hängenbleiben oder sich darin verfangen, sind sie leichte Beute für Fressfeinde. Besonders betroffen ist die Unechte Karettschildkröte, deren Bestand ohnehin schon bedroht ist. In einigen der untersuchten Gebiete hatte schon jede zweite Unechte Karettschildkröte Plastik im Magen.
Fleischfressende Schildkröten scheinen etwas weniger stark betroffen zu sein. Sie nehmen Plastik eher indirekt über Fische und andere Nahrung auf. Auf die Allesfresser unter den Meeresschildkröten jedoch, wie die weltweit bedrohte Lederschildkröte, hat der Plastikmüll besonders dramatische Auswirkungen. Lederschildkröten verwechseln durchsichtige und weiße Plastiktüten mit Quallen. Besonders dramatisch ist das für einige Unterpopulationen der Lederschildkröte, die bereits vom Aussterben bedroht sind.
Meeressäuger als Endlager für Plastikmüll?
Die Liste der Gegenstände, die man in einer Langzeitstudie um die Kanarischen Inseln über 16 Jahre in den Verdauungssystemen von gestrandeten Walen gefunden hat, gleicht eher der Beschreibung einer Müllkippe als einer Nahrungsanalyse: Plastiktüten, Verschlusskappen, Nylondrähte und zylindrische Kunststoffteile, aber auch Seile, Fäden, Kabel sowie Teile von plastikhaltigen Kleidungsstücken waren darunter.
13 von 465 untersuchten Walen waren direkt an den Folgen der Verstopfung ihres Verdauungssystems gestorben. Besonders schlecht war es Pottwalen oder Pilotwalen ergangen, die in großen Tiefen nach Nahrung tauchen.
Das Drama spielt sich aber nicht nur im Atlantik, sondern auch direkt vor unserer Haustür ab. An der Nordseeküste wurden im Januar und Februar 2016 in 22 von 30 gestrandeten Pottwalen Plastikmüll gefunden. Bis zu 25 Kilogramm Plastikmüll hatten die Wale jeweils im Magen, darunter ein über dreizehn Meter langes Fischernetz - so lang wie der Wal selbst - sowie ein 70 Zentimeter großes Teil der Innenverkleidung eines Autos. Ein trauriger Hinweis darauf, dass auch in der Nordsee die Plastikverschmutzung weit verbreitet ist.
Robben - der Tod kommt als Ring um den Hals
Kegelrobben, Seelöwen und Seehunde sowie andere Robben verheddern sich aufgrund ihres Jagdverhaltens häufig in Kunststoffringen oder Seilen. Solche Plastikringe um den Hals schränken ihre Bewegung ein, so dass sie mehr Energie für die Fortbewegung benötigen. Besonders schmerzhaft ist das für die Jungtiere: Wenn sie wachsen, werden sie langsam und qualvoll von der Plastikfessel um ihren Hals erwürgt. Gerade für gefährdete Tierarten kann schon eine geringe Anzahl an strangulierten Tieren entscheidend für das Überleben der ganzen Art sein. Vom Aussterben bedroht ist zum Beispiel die seltene Mittelmeer-Mönchsrobbe (Monachus monachus) mit einer Population von nur 500 - 600 Individuen. Hier zählt jedes einzelne Tier.
Messwerkzeug Finnwal: Indikator für Plastikverschmutzung
Anders als Pottwale haben Finnwale keine Zähne, sondern Barten, mit denen sie Plankton und kleinste Meerestiere aus dem Wasser filtern. Das nach dem Blauwal zweitgrößte Tier der Erde hat vor allem mit den Schadstoffen zu kämpfen, die sich über winzige Plastikteile an das Plankton anheften. Im westlichen Mittelmeer fanden Forscher:innen hohe Konzentrationen von Weichmachern, sogenannten Phthalaten sowohl im Plankton als auch in den Finnwalen. Phtalate stehen im Verdacht, eine hormonartige Wirkung zu haben und die männliche Fortpflanzung zu beeinträchtigen. Auch in Leber, Schilddrüse und Hirnanhangdrüse können Phtalate zu Vergiftungen führen. Im Fettgewebe von Finnwalen wurden auch andere Schadstoffe gefunden, die über Mikroplastik transportiert werden, wie die besonders giftigen und zum Teil verbotenen POPs (persistente organische Schadstoffe).
Wie die Eissturmvögel, zählt auch der Finnwal zu einer sogenannten Indikatorart für die Menge und die Auswirkungen von Plastikmüll im Meer. Im Rahmen der EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie weist die Belastung von Finnwalen mit Schadstoffen auf besonders verschmutzte Gebiete im Mittelmeer hin.
Wird die Plastikrise zur Frage des Überlebens?
Für Tierarten, deren Populationen ohnehin durch Klimawandel, Überfischung, Beifang, invasive Arten oder Verschmutzung erheblich belastet sind, kann die Plastikkrise zum Zünglein an der Waage und zur echten Überlebensfrage werden. Es ist die Summe der Belastungen, die eine Tierart langfristig nicht mehr ausgleichen kann.
Plastikmüll im Meer ist einer von vielen Bausteinen, die dazu beitragen, die Artenvielfalt unserer Ozeane zu gefährden. Ein Baustein, der durch das exponentielle Wachstum der Produktion von Kunststoffen auch noch stetig gefährlicher wird. Nur der Mensch hat es in der Hand, die Plastikkrise zu stoppen und die Vielfalt der Unterwasserwelt mit all ihren wunderbaren und faszinierenden Bewohnern zu erhalten. Stoppen wir die Plastikkrise - jetzt!
- Plastikkrise - Wie Plastikmüll im Meer ganze Ökosysteme bedroht
- Die fünf Effekte der Plastikkrise auf Arten und marine Ökosysteme