Kein Winkel des Ozeans ist mehr frei von Plastik, ob im 8.000 Meter tiefen Pazifikgraben oder direkt an der Meeresoberfläche. Seevögel, Meeresschildkröten, Wale, Delfine und Robben leiden am meisten unter der Plastikkrise im Meer. Ob durch Plastikteile im Magen, Verheddern oder Ersticken: Der Kunststoffmüll in unseren Meeren bedeutet nicht nur für einzelne Tiere einen langsamen und qualvollen Tod. Er kann sich auch auf den Bestand einer ganzen Art auswirken.
Tödliche Bedrohung für Wale und Delfine
Kaum ein Lebewesen auf der Erde fasziniert und berührt uns Menschen so sehr wie die Wale. Blauwale sind die größten Tiere der Erde, Schwertwale leben in engen sozialen Strukturen und Buckelwale kommunizieren über große Entfernungen hinweg mithilfe komplexer Gesänge. Im ökologischen Gefüge der Ozeane sind Wale unverzichtbar. Doch die Liste der Gegenstände, die man in einer Langzeitstudie um die Kanarischen Inseln in den Verdauungssystemen von gestrandeten Walen gefunden hat, gleicht eher der Beschreibung einer Müllkippe als einer Nahrungsanalyse: Plastiktüten, Verschlusskappen, Nylondrähte und zylindrische Kunststoffteile, aber auch Seile, Fäden, Kabel sowie Teile von plastikhaltigen Kleidungsstücken waren darunter.
13 von 465 untersuchten Walen waren direkt an den Folgen der Verstopfung ihres Verdauungssystems gestorben.
Jeder zweite Wal hat Plastik im Magen
Wale und Delfine verschlucken vermutlich deshalb so viele Plastiktüten, weil sie sie mit Beutetieren wie zum Beispiel Quallen oder Tintenfischen verwechseln. Sie verhungern, während ihr Magen mit Plastik vollgestopft ist.
Forscher:innen gehen davon aus, dass sich je nach Art und Region bei bis zu 60 Prozent der Wale Plastik im Magen befindet! Besonders stark davon betroffen sind Pottwale, die für die Jagd nach Tintenfischen in große Tiefen von mehreren tausend Metern tauchen. Im Magen eines vor Sardinien gestrandeten Pottwals wurden im April 2019 ganze 22 Kilogramm Plastikmüll gefunden. Besonders tragisch: Das Pottwalweibchen war schwanger, mit ihm starb auch sein Junges.
In Deutschland sorgte ein im Januar 2016 an der deutschen Nordseeküste gestrandeter männlicher Pottwal für Aufsehen, aus dessen Magen man ein Fischernetz holte, das fast so lang war wie der Wal selbst. Und er war kein Einzelfall:
Bis zu 25 Kilogramm Plastikmüll hatten 22 von 30 gestrandete Wale im selben Jahr jeweils im Magen, darunter auch ein 70 Zentimeter großes Teil der Innenverkleidung eines Autos. Ein trauriger Hinweis darauf, dass selbst in der Nordsee die Plastikverschmutzung weit verbreitet ist.
Messwerkzeug Finnwal: Indikator für Plastikverschmutzung
Finnwale haben keine Zähne, sondern Barten, mit denen sie Plankton und kleinste Meerestiere aus dem Wasser filtern. Das nach dem Blauwal zweitgrößte Tier der Erde hat vor allem mit Schadstoffen zu kämpfen, die sich über winzige Plastikteile an das Plankton anheften. Im westlichen Mittelmeer fanden Forscher:innen hohe Konzentrationen von Weichmachern, sogenannten Phthalaten sowohl im Plankton als auch in den Finnwalen. Phtalate stehen im Verdacht, eine hormonartige Wirkung zu haben und die männliche Fortpflanzung zu beeinträchtigen. Auch in Leber, Schilddrüse und Hirnanhangdrüse können Phtalate zu Vergiftungen führen. Im Fettgewebe von Finnwalen wurden überdies weitere Schadstoffe gefunden, die über Mikroplastik transportiert werden, wie die besonders giftigen und zum Teil verbotenen POPs (persistente organische Schadstoffe).
Wie die Eissturmvögel, zählt auch der Finnwal als Indikatorart für die Menge und die Auswirkungen von Plastikmüll im Meer. Im Rahmen der EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie weist die Belastung von Finnwalen mit Schadstoffen auf besonders verschmutzte Gebiete im Mittelmeer hin.
Robben - Der Tod kommt als Ring um den Hals
Kegelrobben, Seelöwen und Seehunde sowie andere Robben verheddern sich aufgrund ihres Jagdverhaltens häufig in Kunststoffringen oder Seilen. Solche Plastikringe um den Hals schränken ihre Bewegung ein, so dass sie mehr Energie für die Fortbewegung benötigen. Besonders schmerzhaft ist das für die Jungtiere: Wenn sie wachsen, werden sie langsam und qualvoll von der Plastikfessel um ihren Hals erwürgt. Gerade für gefährdete Tierarten kann schon eine geringe Anzahl an strangulierten Tieren entscheidend für das Überleben der ganzen Art sein. Vom Aussterben bedroht ist zum Beispiel die seltene Mittelmeer-Mönchsrobbe (Monachus monachus) mit einer Population von nur 500 - 600 Individuen. Hier zählt jedes einzelne Tier.
Weltweit stirbt jede fünfte Meeresschildkröte an Plastik
Ölverschmutzung, Klimawandel und direkte Ausbeutung - auch Meeresschildkröten sind einer Vielzahl an Bedrohungen durch den Menschen ausgesetzt. Das Verschlucken von Plastikteilen und das Verheddern in Tüten oder Netzen aus Kunststoff ist Expert:innen zufolge aber das größte Todesrisiko für Meeresschildkröten.
30 bis 40 Prozent aller sieben Meeresschildkrötenarten sind davon betroffen. Besonders bedroht ist die Unechte Karettschildkröte. In einigen untersuchten Gebieten hatte bereits jede zweite Unechte Karettschildkröte Plastik im Magen.
Auf die Allesfresser unter den Meeresschildkröten, wie die Lederschildkröte, hat der Plastikmüll dramatische Auswirkungen. Immer wieder verwechseln sie Plastiktüten mit Quallen.
Auch 90 Prozent der Grünen Meeresschildkröten vor der Küste Brasiliens tragen bereits Plastik in sich, so Forscher:innen.
Schildkröten: Es trifft vor allem die Kleinsten
Sie sind unerfahren – das wird ihnen zum Verhängnis. Junge Meeresschildkröten tragen deutlich mehr Plastik im Körper als ausgewachsene. Und laufen so größere Gefahr, dadurch zu sterben. Das belegt eine australische Studie. Mehr als jedes zweite kleine tote Jungtier, das die australischen Forscher:innen untersuchten, hatte bunt-schillernde Plastikteile im Magen-Darm-Trakt. Es muss ein schrecklicher Anblick gewesen sein. Bei den größeren Jungtieren war es knapp jedes vierte. In manchen verendeten Meeresschildkröten fanden die Forscher:innen nur ein einziges Plastikteil. In anderen Tieren waren es Hunderte. Manche davon mehrere Gramm schwer. Rein rechnerisch, so das Ergebnis der Forschungen, besteht eine 50-Prozent-Chance zu sterben, wenn ein Tier 14 Plastikteile in sich trägt. Ab 200 Plastikteilen ist der Tod unausweichlich.
Von innen aufgeschlitzt
Ein einziges, beim Fressen verschlucktes scharfkantiges Plastikstück kann reichen. Es verletzt die empfindliche Magen- oder Darmwand. Die Meeresschildkröte hat keine Chance. Sie verblutet innerlich und stirbt qualvoll. Dieses traurige Schicksal erleiden immer mehr Jungtiere weltweit. Dass ausgerechnet die kleinsten Jungtiere am häufigsten Plastikteile verschlucken, hat - so vermuten es die australischen Forscher - hat einen einfachen Grund: Wahrscheinlich fressen Jungtiere meistens dort, wo tendenziell mehr Plastikreste im Meer schwimmen. In Küstennähe und an der Wasseroberfläche. WWF-Meeresbiologe Philipp Kanstinger vermutet auch einen Lerneffekt bei den erfahrenen älteren Schildkröten: „Sie wissen eher, was sie fressen dürfen.“
Verheerend: Wenn Plastik den Nachwuchs killt
Die Gefahr, die vom weltweit wachsenden Plastikmüllproblem für Meeresschildkröten ausgeht, ist enorm. Wenn die Tiere schon ganz jung sterben, haben sie keine Nachkommen. Der Bestand schrumpft immer weiter. Mittlerweile sind alle Meeresschildkröten-Arten vom Aussterben bedroht.
Der dramatische Rückgang ihrer Populationen betrifft auch die sensiblen Meeres-Ökosysteme und ihre anderen Bewohner. Denn Schildkröten haben eine Schlüsselrolle im Ökosystem: Sie jagen oder grasen, sie fressen Schädlinge und Aas oder sie werden selber gefressen. Damit sind Meeresschildkröten elementarer Teil der Nahrungskette. Ob im Sand, im Schlamm oder im Meeresboden, verbessern sie außerdem überall durch ihr Graben und Aufwirbeln die Bodenqualität.
Seevögel - Dauerflieger, Flugkünstler und Plastikopfer
Eissturmvögel, Albatrosse und Basstölpel sind faszinierende und majestätische Flugkünstler, die fast ihr ganzes Leben auf dem offenen Meer verbringen. Basstölpel sind für ihre spektakulären Sturzflüge bekannt. Der Wander-Albatros übertrifft mit bis zu dreieinhalb Metern Flügelspannweite jeden anderen Vogel der Welt. Sein nördlicher Verwandter, der nur möwengroße Eissturmvogel ist inzwischen als trauriges Messwerkzeug für den Plastikmüll im Meer bekannt.
Es wurde herausgefunden, dass Plastikteile im Meer einen Geruch annehmen, der von Vögeln als Geruch von Nahrung wahrgenommen wird. In vielen Regionen hat inzwischen jeder dritte untersuchte Seevogel Plastik im Magen. Die Tiere ersticken, erleiden tödliche Verstopfungen oder verhungern bei vollem Bauch.
Prognosen gehen davon aus, dass es ohne eine Umkehr in der Plastikproduktion schon im Jahr 2050 keinen einzigen Seevogel mehr geben wird, der kein Plastik im Magen hat. Bei ohnehin gefährdeten Arten hat Meeresplastik das gefährliche Potential, der Tropfen zu sein, der schließlich das Fass zum Überlaufen bringt.
Netze aus Fischerleinen und Feuerzeuge im Magen
Nur für wenige Wochen im Jahr, in denen sie Eier legen und ihre Jungen ausbrüten, kommen Seevögel an Land. Basstölpel nutzen dabei zum Nestbau oft Reste von Fischereileinen. Auf Deutschlands einzigem Basstölpel-Brutfelsen auf Helgoland kann man die grellbunten Plastikfäden in fast jedem Nest gut erkennen - und leider auch die darin verendeten Jungvögel. Noch schlechter steht es um Albatrosse und Eissturmvögel. Sie jagen nicht im Sturzflug, sondern nehmen Nahrung von der Wasseroberfläche auf. Dabei verwechseln sie offenbar kleine Plastikteile, die an der Oberfläche schwimmen, mit Nahrung und verschlucken sie.
Untersuchungen von Küken des Laysan-Albatros, der auf Hawaii brütet, fanden bei mindestens 67 von 100 Küken Plastik im Magen. Dabei holten die Forscher:innen vollständig erhaltene Plastiktüten, Plastikspielzeug, Feuerzeuge und in einem Fall sogar eine Zahnbürste aus dem Verdauungssystem der Küken.
Überlebten sie trotz Plastik im Magen, waren die Albatros-Küken für ihr Alter zu leicht. Weil sie nicht genug Fett ansetzten, verringerten sich auch langfristig ihre Überlebenschancen.
Der Eissturmvogel als traurige Plastik-Berühmtheit
Beim Eissturmvogel wurden nur noch in Einzelfällen keine Plastikteile im Verdauungssystem gefunden. Das Problem ist beim Eissturmvogel so verbreitet, dass Biolog:innen ihn als Indikatorart für die Belastung der Meere mit Plastik und auch für die Wirksamkeit von Maßnahmen gegen die Vermüllung der Ozeane nutzen. Vereinfacht gesagt: Hat der Eissturmvogel viel Plastik im Magen, sind auch die Meere insgesamt stark mit Plastik belastet.
Wird die Plastikkrise zur Frage des Überlebens für ganze Arten?
In einer Studie des Alfred-Wegener-Instituts hat der WWF 2022 die Auswirkungen der Vermüllung der Meere auf Artenvielfalt und Ökosysteme untersuchen lassen. Dabei wurde deutlich: Die Folgen der Plastikkrise sind für Seevögel, Meeresschildkröten und Meeressäuger besonders dramatisch. Und: Es ist die Summe der Belastungen, die eine Tierart langfristig nicht mehr ausgleichen kann.
Für Tierarten, deren Populationen ohnehin durch Klimawandel, Überfischung, Beifang, invasive Arten oder Verschmutzung erheblich belastet sind, kann die Plastikkrise zum Zünglein an der Waage und zur echten Überlebensfrage werden.
Plastikmüll im Meer ist also ein Baustein, der dazu beiträgt, die Artenvielfalt unserer Ozeane zu gefährden. Ein Baustein, der durch das exponentielle Wachstum der Produktion von Kunststoffen stetig gefährlicher wird. Innerhalb von nur einer Generation ist Plastikmüll im Meer bereits zu einer dramatischen Bedrohung geworden. Nur der Mensch hat es in der Hand, die Plastikkrise zu stoppen und die Vielfalt der Unterwasserwelt mit all ihren wunderbaren und faszinierenden Bewohnern zu erhalten. Stoppen wir die Plastikkrise - jetzt!
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