Die Meere sind das größte Ökosystem der Erde. Sie bilden die Hauptnahrungsquelle für eine Milliarde Menschen weltweit und beherbergen eine kaum vorstellbare Vielfalt faszinierender Lebensräume und Arten. Doch immer wieder verfangen sich Schildkröten, Fische und andere Meerestiere in sogenannten Geisternetzen und sterben einen grausamen und unnötigen Tod.
Was sind Geisternetze?
Als Geisternetze werden herrenlose Fischernetze bezeichnet. Sie geistern durchs Meer und werden dort zur Gefahr für Meeresbewohner, weil sie endlos, wahllos und sinnlos weiter fischen. Oder sie liegen am Meeresgrund und lösen sich langsam in winzige Plastikfasern auf und tragen so zur Mikroplastik-Belastung der Meere bei.
Neben Fischen werden Geisternetze auch für Robben, Wale, Meeresschildkröten und Tauchvögel zur Falle. Vögel und Meeressäuger verheddern sich in den Netzen oder gelangen darunter und finden nicht mehr an die Oberfläche zum Atmen. Ein qualvoller Tod.
Wie viele Geisternetze schwimmen in unseren Meeren?
„Das Problem ist enorm – und lässt sich doch nur sehr schwer messen und beziffern“, so Gabriele Dederer vom WWF Deutschland. „Weltweit geht laut einer umfassenden Studie jährlich etwa die Fläche von Bayern an Hochseenetzen verloren. Und mit den Langleinen und Seitenleinen, die im Jahr verloren gehen und mit denen zum Beispiel Thunfisch gefischt wird, könnte man 21mal zum Mond und zurückfliegen. Doch wahrscheinlich liegt die Dunkelziffer noch weit höher.“ In europäischen Meeren gehen schätzungsweise 1700 bis 3000 Tonnen Fanggeräte pro Jahr verloren. Allein in der Ostsee sind es jedes Jahr zwischen 5.000 und 10.000 Netzteile.
Geisternetze werden heute zumeist nicht absichtlich in den Meeren entsorgt, sondern gehen durch Unfälle verloren. Die Netze oder Teile davon reißen sich von Fangschiffen los, wenn beispielsweise ein anderes Schiff darüberfährt oder sie sich an Hindernissen am Meeresboden verhaken. Bevor es die genaue GPS-Standortbestimmung gab, blieben Schleppnetze häufig an Wracks hängen. Daher findet man gerade in den flachen Bereichen von Nord- und Ostsee Wracks, die mit Netzen bedeckt sind. Stellnetze werden auch immer wieder bei Sturm aus den ihren Verankerungen gerissen.
„Eine Ursache ist in manchen Ländern Südamerikas, Afrikas und Asiens leider auch die illegale Fischerei“, so Gabriele Dederer vom WWF. „Droht ein illegales Fischerboot gefasst zu werden, kappen die Fischer die Netze, um zu flüchten. Die Netze bleiben dann aufrecht in der Wassersäule stehen und fischen weiter, auch wenn sie niemand mehr einsammelt.“ Durch solche Netze ist zum Beispiel der mexikanische Schweinswal Vaquita („Kälbchen“) hochgradig vom Aussterben bedroht.
Geisternetze: Ein Teil des Plastikproblems im Meer
Der Eintrag von Plastik in die Meere belastet marine Lebewesen von den kleinsten Krebstieren bis zu den größten Haien und Walen. Geisternetze machen nach neuesten Studien zwischen 30 und 50 Prozent des Meeresplastiks aus.
Seit den 1960er Jahren werden Fischernetze nicht mehr aus den leicht vergänglichen Naturstoffen Hanf, Sisal oder Leinen hergestellt, sondern aus synthetischen Stoffen wie Polypropylen, Polyethylen und Nylon (Polyamid). Verlorene Netze verrotten am Meeresgrund erst nach 400 bis 600 Jahren und tragen damit zur Plastikverschmutzung unserer Meere bei. Sehr langsam werden sie zu immer kleineren Teilen zerrieben. Als sogenanntes Mikroplastik belasten sie die Unterwasserwelt. Gerade diese Kleinstteile sind im Meer problematisch. Fische halten die winzigen Kunststoffpartikel für Nahrung und fressen sie. Auf diese Weise kann sich Kunststoff aus Geisternetzen auch in der Nahrungskette anreichern. Auch in vielen kleineren Organismen wie Muscheln, Würmern oder Schnecken konnte Mikroplastik nachgewiesen werden. Mikroplastik nimmt im Meer befindliche Schadstoffe auf, die sich im Plastik anreichern.
Das macht der WWF gegen Geisternetze
Alles zum Geisternetze-Projektfortschritt
Lesen Sie hier regelmäßige Updates, was der WWF bezüglich Geisternetze erreicht.
Der WWF Deutschland verfügt inzwischen über jahrelange, traurige Erfahrung in der Befreiung der Meere von den sinnlos tödlichen Netzen. Wir haben unsere eigene Methode entwickelt zur Suche, umweltverträglichen Bergung und Entsorgung von Geisternetzen.
Im Mittelmeer und in der Ostsee lokalisieren wir mit Hilfe von Sonarsystemen und unserer Ghostdiver App regelmäßig herrenlose Netze und arbeiten mit Fischern und professionellen Tauchteams zusammen, um die verhakte Netze vom Boden zu lösen und mithilfe eines Bergungsankers und der Schiffswinde aufwendig aus dem Meer zu holen. Altes Netzmaterial führen wir dem Recycling und damit dem Wertstoffkreislauf wieder zu.
Unser Wissen und unsere Erfahrungen teilen wir mit unseren WWF-Kolleg:innen auf anderen Kontinenten. Doch gerade um weltweit gegen Geisternetze vorzugehen – und natürlich auch hier in Europa – darf es nicht dabeibleiben, hinterher aufzuräumen. Wir müssen das Problem bei der Wurzel packen:
Strengere Gesetze
In Europa ist die Entsorgung von Fischereigerät auf See verboten. Geht ein Netz verloren, muss der Fischer zunächst versuchen, es zu bergen. Gelingt dies nicht, muss es den jeweiligen, nationalen Behörden gemeldet werden. Die Verantwortung für gemeldete Netze liegt dann beim Staat. Jedoch gibt es in Deutschland keine Pflicht, gemeldete Netze aus dem Meer zu bergen. Im Vergleich zu anderen Ländern wie etwa Norwegen wird dies auch auf Grund von fehlenden Meldungen in Deutschland kaum umgesetzt. Das muss sich dringend ändern! Der WWF fordert außerdem – vor allem auch weltweit und auf Hoher See – eine bessere Markierung der Netze.
Aufklärung und Hilfe zur Problemlösung
Um das weltweite Problem der Geisternetze in den Meeren in den Griff zu bekommen, ist Aufklärung das wichtigste Mittel. Kontrollen können in der Küstenfischerei helfen, sind jedoch auf der Hohen See unrealistisch. Hier ist es am wichtigsten, den Fischer:innen und Hilfsarbeiter:innen zu vermitteln, dass der Lebensraum Meer wertvoll ist. Verlorene oder über Bord geworfene Netze schädigen diesen Lebensraum und mit den Fischen auch die Fischerei. In kleinen Fischereigemeinden an Küsten weltweit entstehen immer mehr Projekte, um Netze aus dem Meer zu bergen oder aussortierte Netze zu recyceln, damit sie nicht bei einem Sturm ins Meer gelangen. In solchen Gegenden haben die Menschen bereits verstanden, dass Geisternetze ihre lebenswichtigen Fanggründe zerstören und dass sie sich die Fischer mit entsorgtem Netzmaterial selbst schaden. Gemeinsam mit Projektpartnern wie den WWF-Teams in Peru, Mexiko oder Hong Kong möchte verfolgt der WWF diese Ansätze und baut sie aus.
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