Zweieinhalb Jahre Planung waren erforderlich, bis das WWF-Schiff „Blue Panda“, testweise ausgestattet mit einem Seitensichtsonar aus den USA, am Cap Corse (Korsika) im Mittelmeer mit der Suche nach verlorenen Fischernetzen beginnen konnte. Eine wichtige Aufgabe und ein Testlauf für den weiteren Ausbau des WWF-Geisternetze-Projekts und der WWF „Ghost Diver“-App.

Fische in einem Geisternetz © Josephine Jullian / iStock / GettyImages
Fische in einem Geisternetz © Josephine Jullian / iStock / GettyImages

Plastikmüll im Mittelmeer ist ein riesiges Problem: Jahr für Jahr landen dort bis zu einer halben Million Tonnen Plastikmüll. Etwa zehn Prozent davon gehen auf verlorene oder zurückgelassene Fischereigeräte zurück, darunter Netze, Leinen, Reusen. Sie sind eine „unendliche“ Bedrohung für Fische, Meeressäuger und Seevögel. Unendlich deshalb, weil die Netze und Leinen aus Plastik sind und sich nur sehr langsam auflösen.

So fischen sie unendlich und sinnlos weiter und werden für die Meerestiere zur tödlichen Falle. Selbst wenn sich die Netze „auflösen“, entsteht dabei Mikroplastik, das von den Tieren im Meer aufgenommen wird – ganz verschwinden werden die Netze nie. Viele Meerestiere verenden an den Plastikteilen, die sie mit Nahrung verwechseln und fressen, qualvoll. Und so sind verlorene Fischereigeräte auch im Mittelmeer die tödlichste Form von Plastikmüll für Meereslebewesen.

Die Bergung ist schwierig

Geisternetzbergung Prezero Kran mit Netz © Andrea Stolte / WWF
Geisternetzbergung © Andrea Stolte / WWF

Verlorenes Fanggerät wird oft nicht geborgen, da sowohl Bergung als auch Entsorgung schwierig, zeitaufwändig und kostspielig sind. Noch schwieriger ist es, die so genannten „Geisternetze“ überhaupt unter Wasser zu finden. Genau hier setzt das WWF-Geisternetze-Projekt an. „Seit 2016 arbeiten wir an diesem Projekt in Deutschland und haben in der Ostsee erfolgreich mehrere Tonnen Geisternetze geborgen“, erzählt Gabriele Dederer, Geisternetze-Referentin beim WWF Deutschland.

GhostDiver-App: Taucher:innen helfen beim Verifizieren

Mit Hilfe der GhostDiver-App können sich Taucher:innen an der Vorbereitung von Geisternetz-Bergungsaktionen beteiligen. Die Taucher:innen können die Situation unter Wasser dokumentieren und überprüfen, ob es sich bei einem gemeldeten Objekt wirklich um ein Geisternetz handelt. Die Bergung erfolgt dann von erfahrenen Taucher:innen. Die App ist aktuell auf Deutsch, Englisch, Spanisch, Französisch, Italienisch, Kroatisch, Schwedisch, Japanisch und Polnisch verfügbar. Alle Infos zur App und Download

Mit der Blue Panda im Mittelmeer

Die Blue Panda © Maite Baldi / WWF Frankreich
Die Blue Panda © Maite Baldi / WWF Frankreich

Die Blue Panda ist ein Segelboot der WWF-Mittelmeer-Initiative. Seit 2019 ist die Crew mit dem Schiff an verschiedenen Orten im Mittelmeer unterwegs, um für dessen Schutz zu kämpfen. Zwischen Juni und November 2022 steuerte die Crew der Blue Panda einige der wichtigsten Meeresschutzgebiete des Mittelmeers an und erforschte marine Lebensräume und Arten. Die Besatzung hat sich zum Ziel gesetzt, gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung daran zu arbeiten, die Schätze des Mittelmeers vor Geisternetzen und anderen Bedrohungen zu schützen.

Im Oktober 2022 war Gabriele Dederer für sieben Tage an Bord der Blue Panda. Unterstützung gab es aus den USA: Crayton Fenn von Fenn Enterprises hat es sich nicht nehmen lassen, das WWF-Team einmal mehr mit seinem Know-how bei der Suche nach verlorenen Geisternetzen zu unterstützen. Mit im Gepäck hatte er ein eigenes Seitensichtsonar, das für die Tiefen des Mittelmeeres geeignet war. 

„Für uns war die Suche an der Westseite des Cap Corse komplett neues Terrain“, erzählt Gabriele Dederer. „Unser eigenes Sonar, das wir in der Ostsee verwenden, funktioniert bei Tiefen bis 40 Meter sehr gut – völlig ausreichend für die Suche in der Ostsee. Doch das Meer um Korsika ist sehr viel tiefer. Und so hat Crayton Fenn angeboten, ein Sonar aus den USA mitzubringen, das größere Tiefen abdecken kann. Für uns eine einmalige Gelegenheit, weiter zu lernen!“

Erfolgreiche Sonar-Suche

Sonar-Suche mit der Blue Panda © Florian Monot
Sonar-Suche mit der Blue Panda © Florian Monot

„Wir haben insgesamt 24 Sonar-Fahrten mit der Blue Panda gemacht“, erzählt Gabriele Dederer. „Sie eignet sich sehr gut dafür, denn sie ist groß und träge. Deshalb gleicht sie Wellenbewegungen gut aus und überträgt sie nicht an den Sonar-Fisch. So bekommen wir bessere Bilder.“

„Die Sichtweiten auf Korsika sind phänomenal“, schwärmt Gabriele Dederer. „Mehr als 20 Meter Sicht hatten wir unter Wasser.“ Zum Vergleich: In der Ostsee herrschen Sichtweiten von um die fünf Meter. „Das Team und Crayton waren so begeistert davon, dass daraus eine Idee für die nächsten Fahrten und für die Weiterentwicklung des Sonars entstand: Crayton wird vorn am Fisch eine Kamera anbringen. So können Unterwasserhindernisse erkannt und das Sonar rechtzeitig gehoben werden.“

Die nächsten Schritte sind in Planung

Um auch zukünftig und ohne Hilfe aus den USA Sonar-Fahrten durchführen zu können, wollen der WWF Frankreich und der WWF Deutschland gemeinsam ein Seitensichtsonar kaufen, das auch speziell für das Mittelmeer geeignet ist. Ein Seitensichtsonar ermöglicht es mit Hilfe von Schallwellen den Meeresboden zu kartieren und somit Geisternetze aufzuspüren.

Im Anschluss an die Fahrten müssen die Ergebnisse dann noch verifiziert werden. Wenn sich bestätigt, dass es sich bei den Sonar-Aufnahmen tatsächlich um Geisternetze handelt, geht die Arbeit des WWF-Teams und die von Crayton Fenn erst richtig los. „Geisternetze aus den Meeren zu bekommen ist für Crayton Fenn ein Herzensthema. Sollten die Positionen verifiziert werden, wird er mit einem Unterwasserfahrzeug anreisen, das für die Tiefen im Meer um Korsika geeignet ist, und mir zeigen, wie man damit umgeht“, so Gabriele Dederer. „Wenn alles klappt, können wir die Netze mit Craytons Hilfe dann auch gleich bergen.“

„Für mich ist dieser Lernprozess essentiell und eine großartige Chance. All das Wissen, das wir sammeln, teilen wir mit unseren Kolleg:innen auf der ganzen Welt, die am selben Thema arbeiten. So schaffen wir es vielleicht irgendwann, die Meere nachhaltig von Geisternetzen zu befreien.“

Helfen Sie uns bei der Bergung von Geisternetzen im Mittelmeer

Théa Jacob vom WWF Frankreich im Interview

Liebe Théa, erzähl uns doch ein bisschen was von dir.

„Ich wurde in Südfrankreich geboren und habe meine Kindheit auf dem Land verbracht – meist im Freien und in engem Kontakt mit der Natur. Solange ich denken kann, habe ich mich für Tiere und die Natur begeistert und auch für ihren Schutz habe ich mich schon sehr früh eingesetzt. Ich begann ein Studium des Umweltrechts, bevor ich mich der Meeresbiologie zuwandte. Ich habe im Indischen Ozean, in Australien und in Neukaledonien im Bereich des Schutzes von Meerestieren gearbeitet, bevor ich als WWF-Expertin für Meerestiere und nachhaltige Fischerei nach Marseille ging.“

Théa Jacob (WWF Frankreich) © privat
Théa Jacob (WWF Frankreich) © privat
Was macht das Geisternetze-Projekt so wichtig für dich?

„Das Problem der Geisternetze ist weithin bekannt. Sie sind die schädlichste Form des Meeresmülls und gefährden alle Meereslebewesen. In einer Zeit, in der alle marinen Arten und Ökosysteme zusätzlich zur Klimakrise immer stärker auch von menschlichen Aktivitäten bedroht werden, müssen wir sie ganz besonders schützen und stärken. Die Arbeit an der Geisternetz-Problematik ist ein effizienter Weg, um zumindest eines der Probleme mit denen die Meere konfrontiert sind, abzumildern.“

Welches Ziel verfolgt das Projekt?

„Das Ziel, das über allem steht: Wir wollen die Menge an Geisternetzen im (französischen) Mittelmeer drastisch reduzieren und damit auch das Risiko des Beifangs von gefährdeten und kommerziell genutzten Arten verringern. Ein weiteres Ziel ist es, französische Interessengruppen – vor allem Regierungsstellen und Behörden – für die WWF-Arbeit mit dem Seitensichtsonar und die GhostDiver-App zu sensibilisieren.“

Vor welchen Herausforderungen steht das Team bei der Suche nach Geisternetzen im Mittelmeer?

„Eine große Herausforderung besteht darin, neben den bekannten Wrackpositionen (an denen die Netze oft hängen bleiben) die genaue Position der Geisternetze zu bestimmen. Der WWF Deutschland hat daher die Methode der Seitensichtsonartechnik angewandt und weiterentwickelt, um Geisterfanggeräte systematisch und umweltfreundlich zu orten und auch größere Gebiete abdecken zu können. Dennoch können wir nicht das gesamte französische Mittelmeer abdecken. Deshalb arbeiten wir eng mit den Manager:innen der Meeresschutzgebiete und den Fischer:innen zusammen, um die am meisten gefährdeten Gebiete für Geisternetze zu lokalisieren.“

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