Im Herzen des Kongobeckens erstreckt sich der zweitgrößte zusammenhängende Regenwald der Welt. Hier leben Waldelefanten, Flachlandgorillas, Leoparden, Flusspferde, seltene Nagetiere und hunderte Affen- und Fledermausarten. Die wilde Vielfalt ist in jedem Winkel der Wälder spürbar. Doch landwirtschaftliche Flächen, Kautschuk- und Palmölplantagen, die Holzwirtschaft und umfangreiche Bergbauprojekte fressen sich immer weiter in die Natur. Dieser sogenannte Landnutzungswandel ist die Hauptursache für neue Zoonosen.
Je weiter der Mensch in die Urwälder unserer Erde vordringt, desto mehr schwinden natürliche Barrieren, die uns auch vor den Krankheiten der Wildtiere schützen. Bis zu 75 Prozent aller neuen menschlichen Infektionskrankheiten sind Zoonosen, werden also von Tieren übertragen. Das Kongobecken in Zentralafrika gilt als Hotspot für Zoonosen. Gemeinsam mit indigenen und lokalen Gemeinschaften schützt der WWF hier wichtige Wildnis und richtet Feldlabore und ein Frühwarnsystem für Infektionskrankheiten ein.
Bis 2030 will der WWF im Kongobecken ein 100.000 Hektar großes Netzwerk an Wäldern schützen – nicht nur als wertvollen Lebensraum für bedrohte und endemische Arten, sondern auch als wichtige Barriere gegen Epidemien.
Frühwarnsystem für Zoonosen
„Wenn wir die Ursachen für den Tod von Tieren unmittelbar am Ort des Geschehens aufdecken, können wir Krankheiten auf der ganzen Welt verhindern.“ Frédéric Stéphane Singa holpert in seinem Jeep über matschige Straßen durch verregneten Dschungel im äußersten Südwesten der Zentralafrikanischen Republik. Er ist Wildtierarzt, momentan der einzige im ganzen Land und arbeitet für den WWF in Dzanga-Sangha, einem riesigen Schutzgebiet und UNESCO Weltnaturerbe. Frédéric Singa wurde von einem Ranger zum Kadaver einer Bongo Antilope gerufen, um sie so schnell wie möglich zu untersuchen – in Schutzkleidung: „Es besteht die Möglichkeit, dass in den Wäldern ein bislang unbekannter Keim verborgen ist, der den Beginn der nächsten Pandemie bilden könnte.“ Um die Ausbreitung gefährlicher Infektionen zu verstehen und zu verhindern, baut der WWF ein komplexes Datenportal als Frühwarnsystem auf.
Das Frühwarnsystem und der großflächige Schutz von Wäldern auch außerhalb bestehender Nationalparks sind die zwei zentralen Säulen eines umfassenden neuen Projektes mit dem Titel "INFORBIO" des WWF gemeinsam mit Partnerorganisationen im Kongobecken.
Feldlabore im Dschungel
In Dzangha-Sanga und dem rund 1000 Kilometer weiter westlich gelegenen Nationalpark Campo Ma’an in Kamerun betreibt der WWF Feldlabore, baut sie immer weiter aus und trainiert künftig auch Ranger:innen, um tote Wildtiere wie Gorillas, Fledermäuse und etliche kleine Säugetiere zu beproben. Die wilden Regenwälder Campo Ma’ans gehören zu den letzten Rückzugsgebieten Westlicher Flachlandgorillas, weshalb der WWF hier ein wichtiges Schutzprogramm für sie unterhält.
Ziel der Feldlabore in den WWF-Projektgebieten des Kongobeckens ist eine systematische Untersuchung auf Infektionskrankheiten. Tierkadaver werden durch ausgebildete Tierärzte unter Einhaltung von Sicherheitsstandards untersucht. Dies passiert in enger Zusammenarbeit mit dem Helmholtz-Institut für One Health, einen langjährigen Partner des WWF.
Auch im Lobéké-Nationalpark im Südosten Kameruns sollen in Zukunft Proben genommen werden können - von toten Wildtieren genauso wie von Fledermäusen und Nagetieren, die als Wirte für zahlreiche Krankheitserreger gelten, darunter zum Beispiel das Mpox-Virus.
Tonaufnahmen im Wald
Im Regenwald ist es niemals still. Vögel, Affen und auch Nagetiere pfeifen und rufen in hohen Tönen um die Wette. Mit Anbruch der Dunkelheit sind die Rufe kleiner Baumschliefer und der auch Buschbabys genannten Galagos kaum zu überhören.
Aufnahmegeräte des WWF zeichnen all diese Geräusche auf. Mit Hilfe künstlicher Intelligenz werden sie analysiert und die verschiedenen Arten identifiziert. Bioakustik nennt sich diese Form des Monitorings und hat in den letzten Jahren eine immer größere Bedeutung als Teil des Biomonitorings gewonnen. „Abgesehen von den Laboruntersuchungen müssen wir wissen, welche Tierarten genau wo vorkommen“, so Dr. May Hokan, die das umfassende Projekt für den WWF Deutschland betreut. „Denn auf diesen Informationen basiert die Umsetzung des Projektes und vor allem der wirksame Schutz der Wälder.”
Indigene Völker und lokale Gemeinschaften einbeziehen
Nicht nur künstliche Intelligenz hilft beim Biomonitoring im Kongobecken, sondern auch lokales Wissen. Der WWF arbeitet eng mit den indigenen Völkern und lokalen Gemeinschaften zusammen, die in und um die Projektgebiete leben. Dazu gehören die Baka in Lobéké - eines der ältesten indigenen Völker der Welt, die Bagyéli in Campo Ma’an und die BaAka in Dzanga-Sangha. Die verschiedenen Gemeinschaften werden in Entscheidungsfindungen um den Waldschutz sowie das Frühwarnsystem und Monitoring einbezogen. Ihre Beobachtungen tragen sie in eine benutzerfreundliche App ein. Dazu gehören Hinweise auf Waldzerstörung und Wilderei. Das dient nicht nur dem Artenschutz. Gewilderte Tiere bergen ein hohes Risiko, Infektionen zu übertragen.
Komplexe Datenbank
Ein umfassendes Datenportal vereint alle relevanten Informationen aus den verschiedenen Quellen, darunter die Laboranalysen, das Biomonitoring, die Beobachtungen aus den Wäldern und in den Gemeinden sowie Fernerkundungsdaten zu Entwaldung und menschlichen Aktivitäten, beispielsweise durch Satellitenbilder. Vielseitige Datensätze werden verbunden und effizient ausgewertet. „Legt man zum Beispiel Gesundheitsdaten und Landnutzungsdaten übereinander, so erhält man Hinweise auf zoonotische Risikogebiete“, erklärt May Hokan vom WWF. Außerdem können besonders schützenswerte Regionen außerhalb der Schutzgebiete identifiziert und argumentiert werden - wie beispielsweise Wildtierkorridore und Areale mit hohem Waldverlust.
Intakte Wälder für unser aller Gesundheit
Große, gesunde Wälder auch außerhalb von Schutzgebieten sind fundamentales Ziel des WWF-Projekts im Kongobecken – als natürliche Barrieren vor Zoonosen und für den Arten- und Klimaschutz. Dafür schaffen und erweitern wir zusammen mit den indigenen und lokalen Gemeinschaften ein Netzwerk von Waldgebieten, die nachhaltig bewirtschaftet werden können und trotzdem aktiv zur Erhaltung der biologischen Vielfalt und Natur beitragen. OECMs nennen sich solche Gebiete im Fachjargon – als Abkürzung für Other Effective Area-based Conservation Measures, also “weitere effektive, flächenbezogene Naturschutzmaßnahmen” außerhalb der klassischen Schutzgebiete.
Mit den Gemeinden vor Ort identifizieren, registrieren, verwalten und überwachen wir entsprechende, geeignete Waldflächen. Wo die Wälder degradiert sind, forsten wir sie zusammen wieder auf. Dabei wählen die Gemeinden selbst die Baumarten, die ihnen nützlich sein können. Gemeinsam entwickeln wir nachhaltige Einkommensmöglichkeiten durch Nichtholz-Waldprodukte wie zum Beispiel Nüsse oder Naturkautschuk und fördern bessere landwirtschaftliche Praktiken, um die Wälder zu schonen. Baumschulen und das Pflanzen und die Pflege neuer Bäume bilden weitere Einkommen und fördern die Artenvielfalt.
Chance für Menschen, Wälder und das Klima
Rund um die Schutzgebiete des Kongobeckens konkurrieren Holzindustrie, Landwirtschaft und Bergbau um die großen, zusammenhängenden Waldflächen, die hier noch bestehen. Häufig wird den indigenen und lokalen Gemeinschaften sogar der Zugang verwehrt. Die Herausforderungen sind also enorm. Gleichzeitig bieten diese Wälder die einmalige Chance, die Schutzgebiete langfristig miteinander zu verbinden und ein großes, funktionierendes Ökosystem zu schaffen und zu erhalten.
Bis 2030 sollen 30 Prozent der Erde unter effektivem Schutz stehen, so das sogenannte 30x30-Ziel der UN im globalen Kampf gegen das Artensterben. Allein mit klassischen Schutzgebieten wie Nationalparks ist dieses Ziel nicht zu erreichen. Die nachhaltige Nutzung und lokale Schutzmaßnahmen in ökologisch bedeutenden Gebieten wie denen des Kongobeckens können diese Lücke schließen.
INFORBIO heißt das neue Projekt des WWF im Kongobecken, als Abkürzung für „INtact and effectively managed FORests and BIOdiversity as natural barriers to mitigate climate change and risk of pathogen spillover”. Also “Intakte und effektiv bewirtschaftete Wälder und biologische Vielfalt als natürliche Barrieren zur Abschwächung des Klimawandels und des Risikos der Ausbreitung von Krankheitserregern“. Das Projekt wird gefördert von der Internationalen Klimainitiative (IKI) des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) und der WWF führt es gemeinsam mit verschiedenen Partnerorganisationen durch.
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