Vor seiner Tour besuchte er gemeinsam mit WWF-Artenschutzexperte Arnulf Köhncke den Chitwan-Nationalpark im fruchtbaren Tiefland am Fuße des Himalajas an der Grenze zu Indien. Tiger, Panzernashorn, Bären, Elefanten und zahlreiche andere bedrohte Tierarten leben in dieser tigerreichsten Region der Erde
Er ist Extrembergsteiger mit Mission. Ende August 2022 bestiegen Benedikt Böhm und der nepalesische Bergführer Prakash Sherpa den 7.126 Meter hohen Himalaja-Gipfel Himlung Himal in Rekordzeit. Neben der sportlichen Herausforderung liegt dem Extremsportler besonders der Schutz von Nepals Natur am Herzen, für die er sich als WWF-Botschafter einsetzt.
Interview mit Bergsteiger Benedikt Böhm und WWF-Artenschutzexperte Arnulf Köhncke
Im Interview erzählen Arnulf Köhncke und Benedikt Böhm von der Schönheit und Bedrohung des Chitwan-Nationalparks, von Begegnungen mit einem Nashornkalb und einem vorwitzigen Wiesel.
Sie berichten von Menschen, die sich vor Ort für den Schutz wilder Tiere einsetzen, obwohl sie selber von ihnen bedroht sind oder sogar schon angriffen wurden. Und davon, was wir alle tun können, um diesen faszinierenden Lebensraum zu bewahren.
WWF: Glückwunsch zur erfolgreichen Besteigung des Himlung Himal, Benedikt!
Benedikt: Danke schön! Das war wirklich eine tolle Expedition. Es ist einfach alles super gelaufen.
Das Besondere an deinen Touren ist ja die Geschwindigkeit, mit der du Berge mit minimaler Ausrüstung, nur mit Skiern und ohne Sauerstoffgerät besteigst. Wie lange habt ihr diesmal gebraucht?
Benedikt: Wir haben sechs Stunden und 43 Minuten bis zum Gipfel gebraucht und waren nach neun Stunden und 39 Minuten wieder zurück im Basecamp. Normalerweise braucht man dafür zwei bis drei Tage. Die Geschwindigkeit hat aber nichts mit Hektik zu tun, sondern vor allem mit perfekter Vorbereitung.
Ich bin mit Leistungssport groß geworden. Grenzen auszutesten, über mich hinauszuwachsen – das war schon als Kind für mich ein Thema. Wenn man eine Wettkampf-Methodik auf die höchsten Berge anwendet, kann man das eigene Risiko in den gefährlichen, sauerstoffarmen Zonen stark minimieren. Es geht darum, dort schnell rein, aber auch schnell wieder rauszukommen.
Hast du bei deinen Touren überhaupt Zeit, die Natur um dich herum wahrzunehmen?
Benedikt: Ja, der Weg ist ja das Ziel. Und diesmal begann die Expedition ja schon im Chitwan-Nationalpark mit seiner unglaublichen Artenvielfalt. In den Bergen sieht man dann immer mal Blauschafe oder Greifvögel. Vor allem erinnere ich mich an den Besuch eines Wiesels in unserem Lager auf 6.000 Metern mitten im Schnee.
Arnulf: Das war wahrscheinlich ein Altai-Wiesel, ähnlich wie ein Hermelin, aber mit orange-braunen Fell.
Benedikt: Dieses Wiesel hat auf jeden Fall unser ganzes Zelt leergefressen, verwüstet und – wie sagt man das – vollgekotet? Der kleine Kerl muss den ganzen Gletscher hochgelaufen sein! Schneeleoparden haben wir in den Bergen leider nicht gesehen, aber wir haben Leute getroffen, die dort erst vor kurzem welche gesehen hatten, sogar mit Jungen.
Bevor du den Himlung bestiegen hast, hast du mit Arnulf drei Tage im Tigerschutzgebiet im Chitwan-Nationalpark besucht. Arnulf, nimm uns einmal mit in die Region Chitwan. Wie sieht es dort aus?
Arnulf: Der Nationalpark ist riesig, größer als die Fläche Berlins und liegt im subtropischen Tiefland von Nepal. Chitwan bedeutet „Wald des Leoparden“. Das Land ist flach, aber hohe Bäume bilden dichte, eindrucksvolle Laubwälder, in denen man Dschungelgefühle bekommt.
Chitwan ist einer von nur zwei Orten auf der Welt, wo man gut Panzernashörner beobachten kann. Es gibt Tiger und natürlich auch Huftiere, Hirsche, große Rinder und sehr viele Vogelarten.
Was sind aus Sicht des Naturschutzes die größten Herausforderungen im Chitwan-Nationalpark?
Arnulf: Die größte Herausforderung bleibt, das Zusammenleben zwischen Wildtieren, vor allem Tigern, und Menschen möglich zu machen. Die Naturschutzarbeit im Chitwan-Nationalpark ist sehr erfolgreich: Die Tigerbestände haben sich in Nepal seit 2010 fast verdreifacht und auch die Panzernashorn-Bestände sind stabil.
Mehrere Jahre lang wurden sogar gar keine Nashörner gewildert. Gleichzeitig steigt der Druck auf die Lebensräume, weil die Bevölkerung wächst und es durch die Klimakrise zu längeren Regenfällen außerhalb der eigentlichen Saison kommt, die die Landwirtschaft erschweren.
Benedikt, was hat dich an der Region besonders beeindruckt, die ja so ganz anders ist als die schnee- und eisbedeckte Bergwelt, in der du dich sonst am wohlsten fühlst?
Benedikt: Genau diese Kontraste und diese Vielfalt liebe ich ja! Was für Tiere, Pflanzen, Früchte es dort gibt! Papayas, Bananen, Gemüse - und 200 Kilometer weiter stehen die Achttausender, das ist unfassbar.
Ich habe unheimlich viel gelernt auf dieser Reise, vor allem, dass man die Menschen gewinnen muss, wenn man die Natur schützen will. Da macht der WWF einen super Job. Auch die Initiativen fand ich total spannend: Biogasanlagen, mit denen die Menschen Energie gewinnen, die Homestays und die Fischteiche.
Wie gewinnt man denn die Menschen für den Naturschutz, Arnulf?
Arnulf: Dafür sind langjährige Beziehungen ganz wichtig. Die Kolleg:innen sind schon lange vor Ort aktiv und in den Gemeinden bekannt. Anstatt gleich mit irgendwelchen Maßnahmen zu kommen, muss man erstmal zuhören, was die Bedürfnisse der Menschen sind. Was gibt es hier für Probleme, was für Wünsche?
Und welche Probleme und Wünsche sind das?
Arnulf: Ein Problem sind Konflikte mit den Wildtieren. Und ein ganz klarer Wunsch ist der nach wirtschaftlicher Entwicklung und Absicherung. Im Idealfall gibt es Ansätze, die allen helfen. Die Biogasanlagen, die Benedikt erwähnt hat, sind dafür ein eindrucksvolles Beispiel: Die Menschen erzeugen Gas mit dem Kot ihrer eigenen Haustiere. Es gibt eine Leitung, die von der Gärgrube direkt zum Herd führt. Das spart Geld und Zeit – bis zu vier Stunden am Tag - die in der Regel die Frauen mit dem Sammeln von Feuerholz verbringen. So wird Freiraum für andere Arbeiten oder auch für Bildung geschaffen. Außerdem müssen sich die Frauen nicht dem Risiko aussetzen, beim Feuerholz sammeln im Wald von einem Tiger oder Bären angegriffen zu werden.
Was für Projekte unterstützt der WWF noch vor Ort?
Arnulf: Es gibt von den Gemeindemitgliedern betriebene Homestays, das sind einfache Pensionen, in denen vor allem nepalesische Tourist:innen die Natur erleben und übernachten können. Das funktioniert auch ziemlich gut.
Wir haben außerdem gesehen, dass die Menschen früher zum Fischen ins Schutzgebiet gingen. Deshalb wurden Fischteiche angelegt, wo sie Fische züchten können, was viel effizienter ist und auch wieder das Konfliktrisiko mit Wildtieren reduziert. Das sind alles Möglichkeiten, die ein Leben von und mit der Natur ermöglichen.
Welche Beobachtungen im Chitwan-Nationalpark sind euch besonders in Erinnerung geblieben?
Arnulf: Mich hat besonders eine Beobachtung fasziniert: Wir hielten am Abend auf einer Brücke, um uns den Sonnenuntergang anzuschauen, und dann schwamm eine Nashorn-Mutter mit ihrem Kalb durch den Fluss - vor der untergehenden Sonne. Ich glaub, eine tollere Nashorn-Beobachtung kann man sich gar nicht vorstellen.
Benedikt: Das Bild mit dem kleinen Nashorn-Kalb war wirklich unglaublich, fast kitschig. Aber auch die Krokodilfarm, wo dieses extrem seltene Krokodil gezüchtet wird, um es vorm Aussterben zu bewahren, hat mich beeindruckt.
Arnulf: Ghariale heißen diese, total coolen Krokodile mit ganz langen, dünnen Schnauzen, die Fischspezialisten sind und von denen es weltweit nur noch rund 650 Tiere gibt und die vom Aussterben bedroht sind.
Benedikt: Und einfach diese Vielfalt: Hier laufen die Affen rum und da kommen Pfaue um die Ecke. Aber auch die Begegnungen mit den Menschen. Wir haben zum Beispiel einen älteren Mann getroffen, der durch einen Bärenangriff vor 20 Jahren ein Auge verloren hatte.
Arnulf: Dieser Mann tritt bis heute als Redner für das Zusammenleben mit wilden Tieren ein! Es ist kein einfaches Leben, wenn der eigene Besitz oder das eigene Leben ständig von wilden Tieren bedroht sind. Deshalb muss ein Hauptaugenmerk darauf liegen, vor allem die Konflikte mit Tigern zu vermeiden. Darauf wird sich der WWF hier in Zukunft auch fokussieren.
Die größte Herausforderung, vor der der Himalaja steht, ist der Klimawandel. Das Gebiet erwärmt sich dreimal schneller als der weltweite Durchschnitt. Wie wird der Klimawandel vor Ort sichtbar und spürbar?
Arnulf: Im Moment merkt man die Auswirkungen der Klimakrise hier im Kathmandu-Tal ganz massiv, weil es plötzlich Dengue-Fieber gibt. Eigentlich war Kathmandu zu hoch und zu kühl für große Ausbrüche durch die Tigermücken, die diese Viruskrankheit übertragen. Hier wirkt sich die Erderhitzung ganz deutlich auf die Gesundheit der Menschen aus. Das hat inzwischen epidemische Ausbrüche angenommen, es sind dieses Jahr auch schon Menschen am Dengue-Fieber gestorben.
Man merkt es auch an den zeitlich verschobenen Monsun-Regenfällen, die im letzten Jahr viele Reisernten zerstört haben. Auch die Erdrutsche nehmen zu, von denen es in Nepal immer schon viele gab.
Benedikt: In den Bergen sieht man den Klimawandel natürlich ganz krass. Wir mussten ja einen gewaltigen Gletscher überqueren, und da siehst du links und rechts die Ränder, wo der Gletscher vor Jahren mal gewesen ist. Dann kracht und rumort es die ganze Zeit heftig, wenn das Eis bricht. Und dann die Wärme! Im ersten Basecamp auf 4.800 Metern hatten wir überhaupt keinen Frost! Das war die wärmste Expedition, die ich je hatte. Es war teilweise auch auf sechs-, siebentausend Metern noch abartig heiß, die Sonne knallte auf uns runter und die Gletscher schmolzen mir förmlich durch die Hände.
Dazu muss man aber nicht unbedingt nach Nepal reisen. Ich bin ja an der Zugspitze aufgewachsen und sehe, wie sich dort der Gletscher verändert hat. Man muss sich sputen, wenn man seinen Kindern noch den Gletscher zeigen will. Deshalb hab ich auch meine Initiative „Helping Bands“ gegründet. Das sind Armbänder mit einer Botschaft, deren Erlös an den WWF geht.
Was können wir tun, um den Himalaja zu schützen – aus Sicht des Artenschützers und aus Sicht des Bergsteigers?
Arnulf: Man kann mit andern über die Arten- und Klimakrise sprechen. Natürlich hilft es auch, an Naturschutzorganisationen spenden. Es geht nicht nur darum, das eigene Verhalten zu verändern, weniger Fleisch zu essen und so weiter, sondern es geht um systemische Veränderungen. Wir müssen es schaffen, in den Grenzen der Ressourcen unserer Erde zu leben. Wenn man die Möglichkeit hat, kann man auch versuchen, politische Entscheidungsträger:innen zu beeinflussen. Oder man geht demonstrieren wie beim Klimastreik und wird laut für diese Transformation unseres Konsums und unserer Produktion, die dringend nötig ist.
Benedikt: Ich glaube, man muss den Menschen die Schönheit der Natur näherbringen. Damit alle verstehen, dass es die Aufgabe aller Menschen ist, dafür zu sorgen, dass wir Nashörner und Tiger in Zukunft nicht nur in Zoos sehen können. Ich glaube, man kann auch viel mitgeben, wenn man selber ein Vorbild ist.
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