Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD ist für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen zu schwach und in Teilen soll Gutes, dass schon erreicht wurde, wieder abgeschafft werden. Wichtige Fortschritte der vergangenen Jahre – etwa beim Klimaschutz, der Wärmewende oder bei sozialen und ökologischen Standards in globalen Lieferketten – drohen ausgebremst oder zurückgedreht zu werden. In einer Zeit, in der Deutschland die Folgen der Klimakrise bereits deutlich spürt, bleibt die Koalition hinter dem Notwendigen zurück: Statt Klimaschutz, Klimaanpassung und Naturschutz ins Zentrum ihrer Politik zu stellen, setzt sie vielfach auf fossile Pfade und unverbindliche Absichtserklärungen. Das ist nicht nur klimapolitisch problematisch, sondern auch ein Risiko für wirtschaftliche Stabilität und gesellschaftliche Sicherheit.
Wir haben den am 9. April 2025 veröffentlichten Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD anhand unserer Hauptforderungen zur Bundestagswahl 2025 analysiert. Ziel unseres Checks ist es, zu prüfen, ob die neue Bundesregierung den Herausforderungen unserer Zeit mit wirksamen Maßnahmen für Klima-, Arten- und Ressourcenschutz begegnet – und welche politischen Weichen für eine zukunftsfähige Gesellschaft gestellt werden.
Auf einen Blick

Klimaneutralität bis 2045 sichern?

Die schwarz-rote Koalition betont, dass Deutschland Industrieland bleiben und Klimaneutralität 2045 erreicht werden soll. Dafür aber CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) auch an Gaskraftwerken zuzulassen und diese nicht nur auf nicht vermeidbare Emissionen zu beschränken sowie Negativemissionen und internationalen Emissionshandel auf Minderungsziele anzurechnen, sind eindeutig Schritte in die falsche Richtung und würde das Reduktionsziel für 2040 sogar verwässern. Effektiver Klimaschutz kann so nicht erreicht werden. Positiv ist, dass der Koalitionsvertrag zentrale Vorhaben wie Leitmärkte und Klimaschutzverträge enthält. Die Stärkung des deutschen Klimaschutzgesetzes (KSG) hingegen bleibt außen vor.
Erneuerbare und Stromnetze naturverträglich ausbauen?

CDU/CSU und SPD setzen Akzente, die für die Transformation des Energiesystems notwendig sind. Erneuerbare Energien, Netze und Speicher bleiben wichtig. Auch der Bedarf für mehr Energiesouveränität Deutschlands ist erkannt worden. Demgegenüber öffnen die Parteien jedoch die Tore für mehr fossiles Erdgas, etwa in neuen Kraftwerken, durch Gasförderung im Inland, bei blauem Wasserstoff oder durch internationale Gaslieferverträge. Für das Klima ist dies ein fatales Signal – und auch aus strategischer Sicht risikobehaftet. An weiteren Stellen, etwa beim Energiewende-Monitoring, bleiben die Vereinbarungen im Ungefähren. Ob daraus ein positives Signal für die Energiewende abzuleiten ist, lässt sich nicht sagen.
Klima- und sozialverträgliche Gebäudesanierung und Wärmeplanung?

Obwohl Union und SPD den Gebäudesektor als Schlüssel zur Erreichung der Klimaneutralität anerkennen, fehlt ein Maßnahmenpaket, das den Sektor auf den erforderlichen Klimaschutzpfad führt. Stattdessen sind an vielen Stellen sogar eklatante Rückschritte zu erkennen. Einige der vorgeschlagenen Instrumente deuten zwar in die richtige Richtung, sind jedoch zu unkonkret und offen interpretierbar, was das Risiko birgt, die Klimakrise im Gebäudesektor nicht sozialgerecht und adäquat zu adressieren. Insgesamt lässt die neue Bundesregierung das Potenzial für den Klimaschutz, das in diesem Sektor steckt, weitestgehend ungenutzt.
Schuldenbremse anpassen – Zukunft nachhaltig finanzieren?

Viel neues Geld, davon viel zu wenig und zu unkonkret für Klima und Biodiversität. Das muss sich durch die Reform der Schuldenbremse ändern. Fossile Abhängigkeiten werden ausgebaut und konterkarieren teilweise klimapositive Finanzanreize. Ein ganzheitliches Finanzkonzept für ein zukunftsfittes Deutschland fehlt. Deregulierung und Entbürokratisierung bei Sorgfaltspflichten in der Lieferkette und Nachhaltigkeitsberichterstattung bringen hohe Risiken für Mensch und Natur und setzen falsche Anreize für Investitionen.
Weg von der Wegwerfgesellschaft, hin zur Kreislaufwirtschaft?

Im Bereich Kreislaufwirtschaft will die schwarz-rote Koalition den Primärrohstoffverbrauch so weit wie möglich reduzieren, die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie pragmatisch umsetzen und Abfallvermeidung, Recycling sowie Shared Economy stärken. Das ist gut. Doch der politische Rahmen bleibt unverbindlich und unvollständig – und Circular Economy damit in weiter Ferne. Denn Ressourcenziele fehlen ebenso wie ein Fokus auf Gebäude-Sanierung oder eine verpflichtende, nachhaltige, öffentliche Beschaffung. Konkrete und vor allem langfristig wirksame Maßnahmen zur Förderung zirkulärer Geschäftsmodelle und zu Vermeidung, Wiederverwendung und Langlebigkeit finden sich im Koalitionsvertrag kaum.
Verantwortungsvolle und nachhaltige Lieferketten etablieren?

Union und SPD planen unter dem Motto Bürokratieabbau Umwelt- und Sozialstandards für Unternehmen abzubauen. Der Koalition fehlt das Verständnis dafür, wie wichtig ein Risiko-basierter Ansatz in der Lieferkette für eine resiliente und zukunftsfähige Wirtschaft ist und dass dies mit verpflichtender Übernahme von Umwelt- und Sozialstandards entlang der Lieferketten durch Unternehmen befördert wird. Im Koalitionsvertrag fehlt in der Konsequenz auch die Anerkennung für durch die Wirtschaft bereits getätigte Anstrengungen und Investitionen. Insgesamt tragen die beschriebenen Maßnahmen zur weiteren Verunsicherung von Unternehmen bei.
Meeresschutz stärken?

Schwarz-Rot bleibt mit dem Bekenntnis zum „Kampf gegen die Verschmutzung und für den Erhalt der Biodiversität“ sehr vage und weit hinter den Erfordernissen zurück. Konkrete Maßnahmen sind hier nur vereinzelt geplant. Das Kernproblem, der starke Nutzungsdruck verbunden mit dem fehlenden Bekenntnis zu (inter)nationalen Schutzzielen, spart die Koalition fast vollständig aus. Im Gegenteil: Augenscheinlich steht die industrielle Nutzung der Meere für Union und SPD deutlich über ihrem Schutz.
Natur schützen und wiederherstellen - Klimafolgen abpuffern?

Der existenziellen Bedeutung von Naturschutz und Artenvielfalt für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen werden die Vorhaben der Koalitionäre bei weitem nicht gerecht. Teilweise wird sogar der Rückwärtsgang eingelegt. So zum Beispiel bei der Natur-Wiederherstellungsverordnung, die nur unter Vorbehalten und mit Ausnahmen umgesetzt werden soll. Auch naturschutzrechtlich verbindliche Ausgleichsmaßnahmen sollen unter dem Deckmantel der Beschleunigung wegfallen. Gut ist der Plan, die Finanzierung des Naturschutzes und der Klimaanpassung zu sichern. Auch das angekündigte Naturflächengesetz wäre – richtig umgesetzt - ein Plus.
Mensch-Wildtier-Konflikte lösen?

Die neue Koalition setzt bei Mensch-Wildtier-Konflikten eher auf Stimmungen statt auf Stimmen aus der Wissenschaft. Der Wolf soll möglichst schnell abgeschossen werden können. Vor Wolfsrissen schützt das aber nur wenig, wie Studien zeigen. Mittel der Wahl ist vielmehr ein besserer Herdenschutz. Der soll auch weiter unterstützt werden. Gut so! Doch durch die Aufweichung des europäischen Schutzes beim Wolf droht anderen streng geschützten Tieren wie Biber oder Fischotter dasselbe Schicksal.
Wildnisziel bis 2030 erreichen?

Für den Schutz der biologischen Vielfalt spielt Wildnis eine besondere Rolle. Viele bedrohte Tiere und Pflanzen finden nur dort Lebens- und Rückzugsräume. Schon in der Biodiversitätsstrategie von 2007 wurde deshalb ein Wildnisziel von zwei Prozent der Landesfläche festgelegt, das bis heute bei Weitem nicht erreicht ist. Der Koalitionsvertrag sagt dazu nichts.
Flüsse frei fließen lassen und Wasserhaushalt absichern?

Klare und mutige Bekenntnisse zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie bis zum Zieljahr 2027 fehlen ebenso wie zur Wiederherstellungsverordnung. Auch die Wasser- und Biodiversitätsstrategien finden zu wenig Gewicht, obgleich die angekündigte Umsetzung der Wasserstrategie einen großen Schritt in die richtige Richtung darstellen würde. Dem steht jedoch die Absicht des Wasserkraftausbaus diametral entgegen.
Beteiligungsrechte von Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft stärken?

Die Koalition will Transparenz-, Beteiligungs- und Klagerechte im Umweltschutz massiv einschränken und würde damit in unbekanntem Maße gegen Grundlagen bürgerschaftlichen Engagements als zentrale Säule eines modernen und demokratischen Rechtsstaates vorgehen. Europarechtlich unmissverständlich abgesicherte Rechte würden beschnitten. Dabei wird beispielsweise das mitbetroffene Verbandsklagerecht von den Umweltverbänden sehr maßvoll eingesetzt. Sie tragen damit zur Behebung von Vollzugsdefiziten im Umweltrecht bei.
Einsatz für Klima- und Naturschutz in Europa und der Welt?

Die neue Bundesregierung beschränkt sich auf die Erwähnung des Pariser Abkommens. Allerdings ist weder erkennbar, dass sie Klimaschutz national ehrgeizig umsetzt, noch international eine verantwortungsvolle Führungsrolle einnehmen wird. Der Schutz von Biologischer Vielfalt wird erwähnt, aber nicht durch konkrete Instrumente deutlich.
So haben wir bewertet und analysiert
Der WWF-Check des Koalitionsvertrags basiert auf einer Bewertung entlang unserer 13 zentralen Forderungen zur Bundestagswahl 2025. Wir analysieren, inwieweit die Maßnahmen der Koalition konkrete Fortschritte, Rückschritte oder Leerstellen in zentralen Themenbereichen wie Klima, Natur, Ressourcen, globale Verantwortung und Beteiligungsrechte bedeuten. In der Gegenüberstellung bewerten wir jeweils, wie detailliert ein Themenkomplex aufgegriffen wurde und wie hoch der Übereinstimmungsgrad mit den WWF-Forderungen ist. Wo der Koalitionsvertrag Forderungen des WWF gänzlich widerspricht, ist die Bewertung negativer ausgefallen, als wenn die neue Koalition eine neutrale Haltung dazu einnimmt oder Forderungen fehlen.
Weitere Informationen:
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Der WWF Zukunftswahl-Check zur Bundestagswahl
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Klima- und Naturschutz nicht vergessen – unser Appell zum Start des Bundestags