Den deutschen Wäldern geht es schlecht. Vier von fünf Bäumen sind laut aktueller Waldzustandserhebung krank. Monokulturpflanzungen, Klimawandel und Wassermangel zeigen ihre deutlichen Folgen. Doch es gibt auch Positives zu berichten. Der WWF arbeitet schon lange daran, hierzulande wieder ursprünglichere, wilde Wälder entstehen zu lassen. Ein Blick in den Waldschutz in Deutschland.

Schwarzspecht im Steigerwald, Bayern. @ Thomas Stephan / WWF
Schwarzspecht im Steigerwald, Bayern. @ Thomas Stephan / WWF

Laut rufend ziehen krähengroße Schwarzspechte mit ihrem typisch roten Schopf durch die Zerweliner Heide in Brandenburg und bauen trommelnd ihre Höhlen in die alten Bäume. Die scheuen, aber stimmfreudigen und unverwechselbaren Vögel sind die größten Spechte Europas. Über dem Großen Petznicksee – mit dem Fahrrad nicht einmal eine Stunde von der Stadt Prenzlau entfernt – kreist majestätisch ein Seeadler und zieht in einer nahen Baumkrone seine Jungen groß.

Wo ist Deutschland noch wild?

Großer Fürstenseer See an der Mecklenburger Seenplatte @ imago images / imagebroker
Der Blick trügt. Selbst den Wäldern an der Mecklenburger Seenplatte wie hier am Großen Fürstenseer See geht es nicht gut. @ imago images / imagebroker

Wer in der Brandenburgischen Uckermark den Geräuschen des Waldes lauscht und seinen Duft atmet – oder wer an die weiträumig wildnishafte Mecklenburger Seenplatte oder den Bayerischen Wald denkt, sollte kaum glauben, wie schlecht es um Wälder und Natur in Deutschland bestellt ist. Fährt man jedoch mit dem Zug durch unser Land, ändert sich der Blickwinkel. Wo man hinsieht hauptsächlich Felder, landwirtschaftliche Flächen, Bewirtschaftung und Bebauung. Auch hier standen einst Bäume. Denn Deutschland war früher fast vollständig bewaldet.

 

Trotzdem noch eines der waldreichsten Länder Europas

Blick in einen der Urwälder von morgen im Thüringer Wald. @ Ralph Frank
Mitten im Thüringer Wald entsteht einer der neuen „Urwälder von morgen“. @ Ralph Frank

Heute ist unser Land immerhin noch zu einem Drittel von Wald bedeckt – das ist mehr als in den meisten anderen Ländern Mittel- und Westeuropas. Woran liegt es also, dass die biologische Vielfalt fast nirgendwo in Europa so sehr in Gefahr ist wie bei uns?

Es liegt an der Art, wie wir unsere Wälder behandeln. Denn von Wildnis sind diese meist weit entfernt. Sie gleichen vielmehr oft monotonen Holzplantagen und werden nahezu auf ganzer Fläche bewirtschaftet. Dabei brauchen wir dringend wilde Wälder. Ob ganz persönlich für unsere Psyche und Gesundheit, ob für Specht, Biber, Wolf und Co., ob als Schutz vor Unwettern und Hochwasser – oder für das Überleben unserer Erde. 

Neuer „Urwald“ in Thüringen

Dichtes Grün, moosbewachsene Baumstämme, Äste und Totholz auf dem Boden: Entlang der Höhenzüge Thüringens kann man heute wieder einen Eindruck davon bekommen, wie sich der Urwald in Deutschland einst anfühlte. In Zukunft wird sich dieser Eindruck noch verstärken: In einem großen Halbkreis rund um das Thüringer Becken entstehen neue Urwälder von morgen. Natürlich werden sie nie echte Urwälder sein. Denn der Begriff Urwald oder Primärwald spricht von einer Ursprünglichkeit, in die der Mensch nicht eingegriffen hat. Solche Wälder gibt es in Deutschland nicht mehr. 

Thüringens Wälder waren alle in forstwirtschaftlicher Nutzung, sind zerschnitten und in ihrer Artzusammensetzung verändert. Doch inzwischen stehen einige besonders arten- und strukturreiche Waldregionen unter Prozessschutz, werden also wieder der Natur überlassen. Welcher Gewinn das für die Wälder ist, lässt sich auf insgesamt 16 „Thüringer Urwaldpfaden“ erwandern. Sie sind ein Projekt des WWF mit dem Ziel, Deutschlands neue Urwaldperlen erlebbar zu machen und ihre immense Bedeutung ganz persönlich zu erfahren. 

Deutschland ist nicht der Amazonas

Das große Problem der Wälder in Deutschland heute ist nicht, dass wir sie massenweise und in Dimensionen von Fußballfeldern gemessen verlieren. Über diesen Punkt sind wir zum Glück lange hinweg. Das Problem unserer Wälder ist, dass sie nicht alt werden dürfen, dass sie aufgeräumt und für eine intensive Nutzung künstlich gestaltet werden. 

Buchen können ganze 400 Jahre alt werden, Kiefern doppelt so alt und Eichen sogar tausend Jahre. Doch in unseren Wirtschaftswäldern werden die Bäume bereits mit 80 oder 90 Jahren, in der Blüte ihres Lebens, gefällt. Die Alters- und Zerfallsphasen fehlen. „Und gerade diese bringen in natürlichen Wäldern eine enorme Artenvielfalt hervor“, betont Albert Wotke, Programmleiter Flächennaturschutz beim WWF Deutschland: „Alte Baumpersönlichkeiten bieten Spechten Platz für ihre Höhlen. Fledermäuse können den Tag unter abgeplatzten Rinden verbringen. Pilze zersetzen kranke und abgestorbene Bäume. Tausende und abertausende Insekten haben einen fantastischen Lebensraum im Vergehenden, das in einem Kreislauf neues Leben hervorbringt.“

Geschwächte Widerstandskraft

Sind durch das Fällen und Wiederanpflanzen alle Bäume eines Waldes ähnlich alt und noch dazu von gleicher Art, sind sie auch alle nur gleich stark – oder eben gleich schwach, um Störungen Stand zu halten. Im Falle von Stürmen, Bränden oder dem Befall von Insekten ist oft der ganze Wald verloren. 

Auch einem zunehmenden Trockenstress durch die Erderhitzung sind unsere heutigen Bäume nicht gewachsen. Vor allem weil die Artzusammensetzung der Wälder in Deutschland längst nicht mehr ihrem Ursprung entspricht, sondern das Ergebnis forstwirtschaftlicher Nutzungsüberlegungen ist. Viele unserer Wälder heute sind von standortfremden Baumarten geprägt, naturfern und nur knapp ein Viertel von ihnen ist älter als 100 Jahre.

Urwald von morgen in der Uckermark

Blick aus der Luft auf die Zerweliner Heide. @ imago images / Christian Thiel
In der Zerweliner Heide wachsen noch alte Buchen, die ursprünglichste Baumart unseres Landes. Der WWF will dieses Erbe erhalten, pflegen und ausbauen. @ imago images / Christian Thiel

Zurück in die Zerweliner Heide, wo die Schwarzspechte trommeln und die Seeadler kreisen, wo außerdem geschützte Arten wie Rotmilane, Kraniche und Fischotter wichtige Zuflucht finden, wo sehr seltene Fledermäuse zu Hause sind und wieder Wolfsrudel durch die Wälder streifen. In der Zerweliner Heide steht für deutsche Verhältnisse mancherorts sehr alter Wald mit bis zu 200 Jahren. Noch älter soll er werden dürfen, zum Urwald von morgen. Denn der Wald gehört dem WWF, ist WWF Naturerbe. Das Besondere: Hier wachsen noch alte Buchen, die ursprünglichste Baumart unseres Landes – im Gegensatz zu den heute vielerorts dominierenden Nadelbäumen. Dazu kommen unberührte Seen, Feuchtwälder und Moore. 
 

Naturschutzflächen im Eigentum bzw. unter Mitbetreuung des WWF Deutschland © WWF
Naturschutzflächen im Eigentum bzw. unter Mitbetreuung des WWF Deutschland © WWF

Um Naturerbe wie dieses vor der Nutzung und zum Beispiel auch Entwässerung zu schützen, kauft der WWF seit über 50 Jahren Flächen in ganz Deutschland auf und besitzt heute außer in der Uckermark ebenfalls zum Beispiel im Schaalseegebiet oder im südlichen Mecklenburg ökologisch wertvolle Wälder, die alle wieder zum Urwald von morgen werden dürfen. 

Warum der Flächenkauf so wichtig ist

„Nur wenn uns das Land gehört, können wir bestimmen, was damit passiert“, betont Albert Wotke vom WWF. Denn selbst in Naturschutzgebieten sind die Baumbestände durch Holzeinschlag gefährdet, Forstwirtschaft ist dort meist erlaubt. Lediglich in den Kernzonen geschützter Wälder darf nicht eingeschlagen werden. Die Urwälder von morgen aber, die der WWF in ganz Deutschland entstehen lassen will, brauchen Ruhe. Hier soll die Natur wieder Natur sein dürfen und sich ungestört entwickeln. Auch wenn dies vor allem zu Beginn trotzdem Betreuung erfordert und zum Beispiel in manchen Fällen den Umbau zurück zu heimischen Baumarten.

Sommerhochwasser im Hartholzauenwald im Biosphärenreservat Mittlere Elbe. @ imago images / imagebroker
Sommerhochwasser im Hartholzauenwald im Biosphärenreservat Mittlere Elbe. @ imago images / imagebroker

Direkt oder mit Partnern besitzt der WWF heute fast 38.000 Hektar Naturschutzflächen in Deutschland. Und auch wenn dazu wundervolle Moore, Auen, Feuchtgebiete und Seen gehören, stehen im Mittelpunkt die Wälder und Urwälder von morgen. Doch nur große, zusammenhängende Flächen bieten geeignete Lebensräume für gefährdete Arten und lassen biologische Prozesse ungestört ablaufen. Die sind in Deutschland rar gesät und die Preise explodieren.
 
Der Flächenkauf ist ein wichtiges Mittel, um Deutschlands Wälder und Naturerbe für kommende Generationen zu bewahren – aber natürlich nicht das einzige. So setzt sich der WWF gemeinsam mit Partnern zum Beispiel für neue Nationalparks im Steigerwald und im Spessart ein. 

Erfolg an der Mittleren Elbe

Eines der größten Projekte des WWF in den letzten Jahren sichert wertvolle Biotope in ganz besonderen Wäldern – und zeigt einmal mehr, warum auch wir Menschen in Deutschland Wildnis und wilde Wälder dringend brauchen. Denn an der Mittleren Elbe konnten wir großflächig einen echten Verbund seltener, überflutbarer Hartholzauenwälder schützen und schaffen. Dafür musste sogar ein Deich rückverlegt werden. Das von der UN ausgezeichnete Projekt dauerte insgesamt mehr als 20 Jahre. Heute beherbergen die Überschwemmungswälder nicht nur ungestört Biber, Fischotter, Kraniche oder Unken, sondern sorgen auch für wichtigen Hochwasserschutz.

Wir alle brauchen wilde Wälder

Wälder speichern weltweit und auch in Deutschland klimaschädliches CO2, filtern außerdem andere Schadstoffe wie Staub und Ruß aus der Luft, kühlen ihre Umgebung und reinigen und speichern Regen als Wasservorrat. Sie bieten nicht nur im Amazonas, sondern auch bei uns etlichen bedeutenden und großenteils selten gewordenen Arten ein Zuhause. Und sie haben die große Fähigkeit, uns vor den Auswirkungen des Klimawandels, Extremwettern, Dürren, Hochwassern und Orkanen zu schützen. 

Um weitere Wälder kaufen und mehr Urwälder von morgen sichern und schaffen zu können, hat der WWF den Flächenfonds „Naturvermögen“ gegründet. Er ermöglicht uns, Geld für den Kauf ökologisch wertvoller Flächen in Deutschland zu sammeln. Denn immer wieder werden uns Flächen angeboten – von Privatpersonen, aber auch von staatlichen Stellen. Dann müssen wir schnell handeln und über das notwendige Geld verfügen. Wir wollen unsere Naturerbeflächen erhalten und neue wertvolle Flächen dauerhaft für die Zukunft sichern. Denn wir alle brauchen unsere Wälder – nicht zuletzt zur Erholung und zum Durchatmen.

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