Am 20.05.2020 hat die EU-Kommission sowohl die neue Biodiversitätsstrategie zur biologischen Vielfalt als auch die „Farm to Fork“-Strategie zur nachhaltigen Lebensmittelproduktion vorgestellt. Die Strategien geben den Kurs der EU für die nächsten Jahre vor und sind mit ihren Ausrichtungen auf Nachhaltigkeit und Schutz der Artenvielfalt im Kern ein guter und wichtiger Schritt. Die wichtigsten Eckpunkte zu den beiden Strategien und Bereiche, bei denen es noch Nachholbedarf gibt, stellen wir im Folgenden vor.
Biodiversitätsstrategie
Zentral bei der neuen Biodiversitätsstrategie der EU ist, dass sie biologische Vielfalt als Grundlage für das menschliche Wohlergehen anerkennt und deswegen die Europäische Union verpflichtet, den Verlust an biologischer Vielfalt einzudämmen sowie Ökosysteme zu erhalten bzw. wiederherzustellen. Damit erkennt die Strategie die Notwendigkeit von schnellen, transformativen und ehrgeizigen Maßnahmen an, die den Verlust der biologischen Vielfalt umkehren.
Die Biodiversitätsstrategie enthält zudem die klare Botschaft, dass der Schutz der biologischen Vielfalt und gut funktionierender Ökosysteme der Schlüssel ist, um die Widerstandskraft unserer Gesellschaft zu stärken und das Entstehen und die Ausbreitung künftiger Krankheiten zu verhindern.
Gute und wichtige Punkte der Strategie:
- Schutz von 30 Prozent der europäischen Land- und Meeresfläche bis 2030, davon ein Drittel als „strikt geschützt“ („strictly protect“ – welche Indikatoren sich dahinter verbergen, bleibt jedoch noch offen);
- Verbindliche EU-Ziele zur Wiederherstellung von zerstörten Ökosystemen bis 2021 - das heißt, dass Gebiete mit bereits degradierten und kohlenstoffreichen Ökosystemen wiederhergestellt werden;
- Stärkung und bessere Umsetzung von bestehenden Richtlinien wie der Wasserrahmenrichtlinie, Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie und Meeresschutzrahmenrichtlinie (das Freiwilligkeitsprinzip bei der Umsetzung dieser Richtlinien wird damit als nicht zielführend klassifiziert);
- Schutz von Lebensräumen und Arten gemäß der FFH-Richtlinie, sodass es keine Verschlechterung der Erhaltungstrends und des Erhaltungszustands geben wird;
- Verringerung der negativen Auswirkungen von Fischerei und Mineralgewinnung auf gefährdete Arten und Lebensräume, einschließlich des Meeresbodens;
- Beseitigung oder Reduktion des Beifangs von Arten, die vom Aussterben bedroht sind oder sich in einem schlechten Erhaltungs- oder Umweltzustand befinden, sodass eine vollständige Erholung ermöglicht wird;
- Insektenschutz: Umkehrung des Rückgangs bei den Bestäubern;
- Etablierung eines „Urban Greening Plans“ mit konkreten Maßnahmen für mehr Grün in der Stadt in Städten mit mindestens 20.000 Einwohner:innen;
- Wiederherstellung von mindestens 25.000 km frei fließenden Flüssen;
- Ankündigung eines Gesetzesentwurfes bis 2021, der verhindern soll, dass Produkte, die in Zusammenhang mit Entwaldung stehen, auf den europäischen Markt gelangen;
- Ziel bis 2021 einen neuen Aktionsplan zum Schutz mariner Ökosysteme und Fischbestände umzusetzen;
- Reduktion des Pestizideinsatzes um 50 Prozent;
- Prozent des Stickstoffeintrags um 20 Prozent;
- Nutzung von mindestens 10 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche für Biodiversität;
- Bewirtschaftung von mindestens 25 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen gemäß Ökolandbaukriterien (inklusive höherer Akzeptanz für agroökologischer Praktiken);
- Pflanzung von drei Milliarden neuen Bäumen unter Beachtung ökologischer Prinzipien (im Rahmen einer speziellen EU-Forststrategie) und Wirtschaften nach guter fachlicher Praxis mit ökologischen Grundsätzen und für die biologische Vielfalt.
Insgesamt leistet die Strategie durch ihre rechtliche Verbindlichkeit z.B. bei der Festlegung von Schutzgebieten einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Biodiversität und behandelt viele relevante Themen von Meeresschutz über Wälder bis zu landwirtschaftlichen Nutzflächen. Durch die Systemrelevanz der biologischen Vielfalt stärkt dies wiederum auch den Klimaschutz und die Gesellschaft: So sind beispielsweise Moore, Wälder und Küstenökosysteme wichtige Kohlenstoffsenker, die in intakter Form einen wichtigen Beitrag für das Klima und damit unsere Lebensgrundlage leisten.
Dabei besteht noch Nachholbedarf:
Bei vielen der ambitionierten Pläne der Strategie fehlt es jedoch noch an konkreten Implementierungsansätzen und verbindlichen Zielen. Ohne diese droht die Strategie, nicht mehr als eine gute Absichtserklärung zu bleiben. Insbesondere besteht noch Verbesserungsbedarf bei folgenden Punkten:
Aufgrund der gesamtgesellschaftlichen Relevanz und globalen Herausforderungen von Klima- und Biodiversitätskrise sind die genannten 20 Milliarden Euro zur Umsetzung zu wenig. Auch der Ansatz von 25 Prozent des EU-Budgets für Klima und Biodiversität ist nicht ausreichend. Der WWF fordert insgesamt 50 Prozent des EU-Budgets. Es fehlt die Verpflichtung zum Abbau biodiversitätsschädlicher Subventionen. Im Green Deal hat sich die europäische Kommission auf die Prämisse des “do no harm” geeinigt. Dieser Prämisse wird die Strategie ohne den Abbau biodiversitätsschädlicher Subventionen nicht gerecht. Die verbindlichen EU-Ziele zur Wiederherstellung von zerstörten Ökosystemen müssen zügig entwickelt und umgesetzt werden. Aus der Sicht des WWF sollten hier mindestens 15 Prozent der Landfläche (ca. 650.000 Quadratkilometer) und des Meeres (ca. 1.000.000 Quadratkilometer) der EU wiederhergestellt werden.
"Farm to Fork"-Strategie
Auch die „Farm to Fork“-Strategie (oder auch F2F-Strategie) reiht sich ein in die neue strategische Ausrichtung der Europäischen Kommission auf mehr Nachhaltigkeit und Umwelt- und Klimaschutz. Der neue Schwerpunkt war bereits durch den Green Deal der Kommission sichtbar geworden. Der Fokus der F2F-Strategie liegt auf der Prozesskette von Lebensmitteln („vom Hof auf den Teller“) und berücksichtigt so auch die vor- und nachgelagerten Bereiche von Lebensmitteln wie Produktion und Handel. Dies ist ein zu begrüßender, ganzheitlicherer Ansatz, der Politikfelder wie Agrar-, Wald- und Fischereipolitik enger verknüpft. Insgesamt ist die F2F-Strategie deutlich ambitionierter als die bisherigen Absichtserklärungen, Forderungen und Positionierungen der Mitgliedstaaten und deswegen ein richtiger und wichtiger Schritt.
Gute und wichtige Punkte der Strategie:
- Neuer, ganzheitlicher Ansatz vom „Hof bis auf den Teller“, der alle Sektoren miteinbezieht;
- Paradigmenwechsel zu mehr Ökologie und Klimaschutz mit expliziten Forderungen: Chemische Pestizide reduzieren, Ausbau von Ökolandbau, verpflichtende Verwendung von digitalen Fangzertifikaten (zur Rückverfolgbarkeit von Fisch und Meeresfrüchten in der Lieferkette);
- Anerkennung der Schlüsselrolle von Landwirt:innen bei der Etablierung einer nachhaltigen Ernährung;
- Reduktion des Einsatzes von Pestiziden um 50 Prozent und Reduktion von Düngemitteln um 20 Prozent (gemäß Biodiversitätsstrategie);
- Reduktion von Antibiotika um 50 Prozent (gemäß Biodiversitätsstrategie);
- Ausweitung des Ökolandbaus auf 25 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in der EU und gleichzeitige Verringerung der tierischen Produktion und des Fleischkonsums (in Übereinstimmung mit der neuen Biodiversitätsstrategie, jedoch ohne konkrete Zieldefinitionen);
- Ziel, eine harmonisierte und verpflichtende Nährwertkennzeichnung einzuführen, die auch ökologische und soziale Auswirkungen der Lebensmittel einbezieht (und damit einen Beitrag sowohl zum gesundheitlichen Verbraucherschutz als auch zur Verbraucherinformation über Nachhaltigkeitsaspekte leistet);
- Anerkennung der Notwendigkeit, bestehende Implementierungslücken bei der derzeit gültigen Gemeinsamen Fischereipolitik und dem Wiederaufbau der Fischbestände zu schließen;
- Stärkung der Landwirtschaft auch in den Bereichen der biobasierten Kreislaufwirtschaft und erneuerbaren Energien (z.B. durch Förderung von Biogasanlagen).
Mit diesen Punkten ist die F2F-Strategie ein erster Ansatz eines Umsteuerns in der Agrarpolitik: Die Strategie steht für mehr Arten-, Tier- und Klimaschutz in der Landwirtschaft, mehr Transparenz für Verbraucher:innen und fairere Bedingungen für Landwirte.
Dabei besteht noch Nachholbedarf:
- Auch bei F2F sind jedoch viele Ziele noch zu unkonkret und Implementierungsmaßnahmen nicht festgelegt – da braucht es nun eine zügige und umfassende legislative Umsetzung der Strategie.
- Die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) muss auf die F2F-Strategie ausgerichtet werden und Subventionen müssen in Zukunft Umweltleistungen statt Betriebsgrößen honorieren, um dem “do no harm”-Prinzip gerecht zu werden.
- Die Ausweitung der europäischen Waldflächen ist noch nicht ausreichend und muss deutlich gesteigert werden.
Insgesamt wird bei der F2F-Strategie deutlich, dass ihre Umsetzung stark von den EU-Mitgliedsstaaten und der Europäischen Kommission abhängig ist. Es gilt nun, die Ziele von F2F in einzelnen Rechtssetzungsverfahren gesetzlich festzuschreiben und in Programmen wie der GAP widerzuspiegeln. Deswegen ist die Strategie gut und ambitioniert, jedoch in ihrer Wirkung abhängig von den Handlungen der Mitgliedsstaaten. Deutschland kommt mit seiner anstehenden EU-Ratspräsidentschaft eine besondere und verantwortungsvolle Rolle zu, diese Handlungen zu koordinieren und auf die F2F-Strategie auszurichten.
Zusammengefasst: Was bringen die beiden Strategien?
- Beide Strategien haben großes Potenzial für Fortschritte beim Schutz der biologischen Vielfalt und bei der Transformation hin zu einer nachhaltigeren und ökologischeren Landwirtschaft.
- Sie sind ein guter erster Ansatz, der jetzt mit umfassenden Gesetzen, Zielen und Handlungen in die Praxis implementiert werden muss.
- Die Forderungen der Kommission dürfen nicht durch die Mitgliedstaaten und das Europäischen Parlament verwässert werden, sondern müssen sich auch in weiteren Programmen und in der Gestaltung der Konjunkturprogramme wiederfinden.
- Das EU-Parlament und die EU-Ministerräte für Umwelt und Landwirtschaft müssen die Strategien jetzt klar unterstützen und in politische Strategien einbetten.
- Die ausreichende Finanzierung der Maßnahmen muss sichergestellt werden.
Die Biodiversitätsstrategie und „Farm to Fork“-Strategie sind potenzielle „Gamechanger“ und der WWF Deutschland hofft auf eine umfassende und konkrete Implementierung der beiden Strategien.
Der ab Juli 2020 beginnenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft kommt hierfür eine besondere Verantwortung der Bundesregierung zu, die in diesem Prozess durch den WWF Deutschland eng begleitet werden sollte.
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