Für das Überleben der freilebenden Tiger auf unserer Erde waren die letzten Jahre von historischer Bedeutung. Befanden sich die Zahlen der einzigartigen Großkatze Anfang des Jahrtausends im freien Fall, sind sie durch verbesserten Schutz tatsächlich wieder gestiegen und konnten sich fast verdoppeln! Nicht so allerdings in Südostasien. Dort bleiben Tigern heute nur acht Prozent ihres ursprünglichen Verbreitungsgebietes, Tendenz abnehmend. Die nächsten zehn Jahre müssen zeigen, ob wir dem Tiger weiterhin einen Platz zum Überleben sichern können.
Tiger und Menschen teilen sich knappen Lebensraum
Die letzten Refugien der Tiger liegen in dem Teil unserer Erde, in dem gleichzeitig die meisten Menschen leben. In ganz Asien schrumpfen die Verbreitungsgebiete der Großkatzen stetig – selbst in Ländern wie Indien oder Nepal, wo die Tigerzahlen steigen. Die Bevölkerung wächst und ihre Infrastruktur greift Raum. Tiger werden immer stärker in Schutzgebiete zurückgedrängt. Deren Kapazitäten sind jedoch ausgereizt.
Gerade dort, wo Tigerpopulationen zunehmen, drohen außerdem verstärkt Konflikte zwischen Tigern und Menschen. Eine Gefahr für beide Seiten.
Tiger brauchen Platz
„Langfristig können Tiger nur in sicheren und ökologisch intakten Landschaften überleben, die über weite Strecken miteinander verbunden sind“, so Markus Radday, Tiger-Experte beim WWF Deutschland.
Die großen Katzen müssen sich weiträumig bewegen können – auch für einen genetischen Austausch zwischen den Populationen. Sie brauchen Deckung durch Bäume und Büsche, ausreichend Beutetiere, Zugang zu Wasser und Raum für ihre riesigen Reviere. In einem Schutzgebiet kann deshalb nur eine begrenzte Anzahl an Tigern Platz finden.
Tigers Alive: Bis zum nächsten Jahr des Tigers
Das Jahr des Tigers nach dem chinesischen Kalender ist weltweit zu einem symbolischen Zeitpunkt für den Tigerschutz geworden, an welchem sich Ergebnisse messen lassen sollen. 2022 war das letztes Jahr des Tigers.
Das nächste chinesische Jahr des Tigers beginnt 2034. Bis dahin hat der WWF sich einen ehrgeizigen Plan gesetzt. „Tigers Alive“ – Tiger am Leben – lauten der Titel und das erklärte Vorhaben des internationalen WWF-Tigerschutzprogramms. Die Schutz-Strategie bis 2034 soll der größten aller Katzen das Überleben auf unserer Erde weiterhin sichern. Sie verfolgt dafür fünf wesentliche Ziele.
„Langfristig können Tiger nur in sicheren und ökologisch intakten Landschaften überleben, die über weite Strecken miteinander verbunden sind.“
Markus Radday, Tiger-Experte beim WWF Deutschland
1. Sichere und vernetzte Lebensräume schaffen
Mit Unterstützung des WWF und anderer Partner sollen Tigerlandschaften auf fast 1,5 Millionen Quadratkilometern von der Westküste Indiens bis in zerklüftete Gebirgslandschaften im Osten Chinas geschützt und vernetzt werden.
Wichtig ist eine gute Zusammenarbeit mit verschiedenen Interessensgruppen auf nationaler Ebene und vor Ort, um Lebensräume für Menschen und Wildtiere gleichermaßen zu erhalten. Wir schaffen und sichern grüne Korridore zwischen Schutzgebieten, in denen Arten sich bewegen, vermehren und gedeihen können.
Auch die Beutetierarten des Tigers müssen wir schützen, insbesondere Wildrinder und große Hirsche, damit sich deren Bestände erholen.
2. Vergrößerung des Tigergebietes
Tiger sollen durch natürliche Ausbreitung und Wiederansiedlung erfolgreich in wichtige Gebiete ihrer historischen Verbreitung zurückkehren können. Über 1,2 Millionen Quadratkilometer geeigneter Lebensräume in mindestens 14 Ländern gibt es, die derzeit nicht von Tigern bewohnt sind, aber es wieder werden können. So eine WWF-Analyse.
Dazu gehören alle Länder, in denen Tiger aktuell noch vorkommen und zudem Kambodscha, Kasachstan, Laos und Vietnam, wo sie bereits ausgerottet sind. In Kasachstan arbeitet der WWF zum Beispiel an einem Projekt, um den Tiger dort langfristig wieder anzusiedeln.
3. Koexistenz von Menschen und Tigern fördern
In allen Tigerlandschaften leben Menschen, die dort zum Beispiel Ackerbau und Viehzucht betreiben. Wirtschaftswachstum, der Ausbau der Infrastruktur und auch die Klimakrise bringen Tiger und Menschen immer näher zueinander.
„Tigerschutz kann nur erfolgreich sein, wenn die Menschen, die mit den Tigern leben müssen, den Nutzen des Schutzes höher einschätzen, als die Kosten und Risiken, denen sie ausgesetzt sind“, betont Markus Radday vom WWF. Die Akzeptanz, die Beteiligung und das Wohlergehen indigener Völker und lokaler Gemeinschaften im Rahmen des Naturschutzes sind für die Koexistenz von Menschen und Tigern unabdingbar.
Beispiele aus der Praxis
Ramwati Bai Dhurve aus Zentralindien baut für den Unterhalt ihrer Familie Baumwolle mitten in einem wichtigen Tigerkorridor an. Der WWF unterstützt die Gemeinden im Korridor bei der Umstellung auf nachhaltigere, weniger giftige Anbaumethoden, die gleichzeitig mehr Erträge bringen und die Ausgaben für Düngemittel entscheidend verringern.
In Nordindien und im angrenzenden Nepal halten solarbetriebene Straßenlaternen Tiger aus Dörfern fern und verhindern mobile Einsatzteams und viele weitere Maßnahmen Konflikte zwischen Menschen und Tigern.
In allen Tigergebieten ebnen derartige, lokal angepasste und eng mit den Gemeinden abgestimmten Projekte den Weg zu einer friedlichen Koexistenz.
4. Der Ausbeutung von Tigern und ihren Beutetieren ein Ende machen
Die Wilderei, der Handel mit Tigerteilen und deren Nachfrage bleiben die größte Bedrohung für wildlebende Tiger und ihre Beutetiere, besonders in Südostasien.
Wir müssen die Wilderei vor Ort noch stärker und effizienter bekämpfen, vor allem durch gut ausgerüstete und ausgebildete Ranger:innen. Der Artenschmuggel muss grenzübergreifend angegangen werden. Es bedarf verstärkter Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit, um die Nachfrage nach Tigerprodukten in den aufstrebenden Ökonomien Asiens zu stoppen; und die Lieferketten einschließlich des Online-Handels müssen besser kontrolliert werden.
5. Ökonomisches und soziales Kapital für den Tigerschutz fördern
Die politische und gesellschaftliche Unterstützung für die Erholung der Tiger und den Schutz ihrer Lebensräume sowie deren Finanzierung gehören zu den wichtigsten gesellschaftlichen Herausforderungen im Artenschutz in den kommenden Jahrzehnten.
Der Tigerschutz muss eingebettet sein in die Verbesserung der menschlichen Gesundheit und Entwicklung vor Ort, eine stärkere Beteiligung von indigenen und lokalen Gemeinschaften in die Entscheidungsfindung der Regierungen, ein besseres Gleichgewicht zwischen den Bedürfnissen von Menschen und Wildtieren und nicht zuletzt die Bewältigung der Klimakrise.
Hintergrund: Tigerschutz nach dem chinesischen Mondkalender
Nur noch knapp über 3.000 Tiger gab es schätzungsweise insgesamt im Jahr 2010, dem vorletzten Jahr des Tigers nach dem Chinesischen Kalender. Ziel des WWF und seiner Partner damals: Bis zum nächsten chinesischen Jahr des Tigers 2022 sollten sich die Zahlen verdoppeln. Mit schätzungsweise 5.574 wilden Tigern ist dieses Ziel Anfang 2024 fast erreicht. Indien konnte seine Tigerzahlen zum Beispiel mehr als verdoppeln, Nepal fast verdreifachen. Das ist eine der größten Erfolgsgeschichten im internationalen Artenschutz.
Doch der Erfolg ist angesichts der stark schrumpfenden Verbreitungsgebiete fragil und regional sehr unterschiedlich ausgeprägt: In Südostasien sind die Tigerzahlen gefährlich rückläufig. In Kambodscha, Laos und Vietnam sind die Großkatzen bereits ausgestorben. Vor allem die Schlingfallen-Wilderei grassiert in Südostasien und bedeutet für Tiger und unzählige ihrer Beutetiere einen langsamen und qualvollen Tod. Die Region ist deshalb wichtiger zukünftiger Schwerpunkt der Tigerschutz-Arbeit des WWF.
Wer Tiger schützt, schützt so viel mehr
Wilde Tiger sind anspruchsvolle Spitzenprädatoren, die nicht nur selbst das Ökosystem gesund halten, sondern auf großflächige gesunde Ökosysteme mit ausreichend Beutetieren angewiesen sind.
Tigerschutz bedeutet auch den Schutz von großen Lebensräumen und intakten Naturlandschaften. Diese kommen allen zugute. Von gesunden Böden, Waldprodukten und sauberem Wasser profitieren auch die Menschen in den Tigergebieten. Nicht zuletzt sind gesunde Graslandschaften und intakte Wälder große Kohlenstoffspeicher, die zum Schutz unseres Klimas beitragen.
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