Die Tiger brauchen ausgedehnte Streifgebiete, um neue Nahrungsquellen und Reviere zu finden und sich zu paaren. Die Menschen sind vom Baumwollanbau abhängig. Mensch-Tiger-Konflikte sind nahezu vorprogrammiert, die konventionelle Baumwollproduktion setzt auf den Einsatz giftiger Pflanzenschutzmittel und für neue Baumwollfelder wird zunehmend Naturwald umgewandelt.
Wildtierkorridore ermöglichen Arten wie dem Tiger, die große Streifgebiete brauchen, ihre wichtigen Wanderungen zwischen verschiedenen Schutzgebieten. Doch die Korridore sind oft bewohnt. Und sie sind nicht unbedingt wilde Natur. Am Fuße des Satpura-Gebirges in Indien wandern die Tiger durch Mosaike von Baumwollfeldern, die den Menschen dort ein wichtiges Einkommen sichern.
Menschen und Tiger im Interessenskonflikt
Wildtierkorridor: Wichtige Wege durch die Zivilisation
Kein Wildtierkorridor gleicht dem anderen und während manche kaum bewohnte Wälder bieten, wechseln sich im Satpura-Pench-Korridor in Zentralindien landwirtschaftliche Flächen mit wilden Wald- und Strauchgebieten ab. Er verbindet zwei große Tigerschutzgebiete miteinander.
Das Satpura-Tigerreservat erstreckt sich über zerklüftetes Gelände, enge Schluchten, dichte Wälder und verschiedene Höhenlagen des gleichnamigen Gebirges. In dessen flachen Ausläufern liegt nur gute 100 Kilometer südöstlich das Pench-Tigerreservat. In seinen Wäldern spielt das „Dschungelbuch“ von Rudyard Kipling. Heute gehören die Wälder zu einem der wichtigsten Tigerschutzgebiete Indiens.
Pestizide beim Baumwollanbau schaden Mensch und Natur
Kleinbäuerliche Baumwollfarmen sind im Satpura-Pench-Korridor ein wichtiger Wirtschaftszweig. Schließlich gehört Indien zu den größten Baumwollproduzenten der Welt. Doch der konventionelle Baumwollanbau geht mit dem massiven Einsatz von Pestiziden einher. Landwirt:innen setzten meist die billigsten verfügbaren Insektizide zur Schädlingsbekämpfung ein. Doch viele dieser Insektizide sind hochgefährlich und können krebserregend sein. Das Gift schadet außerdem der für die Baumwollproduktion wichtigen Bodenfauna und der Artenvielfalt. Vielen Pflanzen fehlen so die Bestäuber.
Nachhaltige Anbaumethoden helfen Schutzgebieten und Tigern
Ein Projekt des WWF unterstützt die lokalen Gemeinschaften im Satpura-Pench-Korridor bei der Umstellung auf einen nachhaltigen, weniger giftigen Baumwollanbau, der gleichzeitig ausreichend Erträge sichert, um eine Ausdehnung der Felder zu reduzieren.
Der Erfolg des Projektes beruht auf viel Vertrauen. Denn für die Gemeinschaften ist es ein großer Schritt, ihre Anbaumethoden zu ändern. Ihr Lebensunterhalt hängt davon ab.
Baumwolle umweltverträglicher anbauen und davon profitieren
Auch Ramwati Bai Dhurve war zunächst skeptisch. Sie ernährt ihre sechsköpfige Familie durch den Baumwollanbau auf ihrer drei Hektar großen Farm. Erst als sie sah, dass andere aus ihrem Dorf bereits von den neuen Anbaumethoden profitierten, schloss sich auch Ramwati dem Projekt an. Heute ist sie vom Ergebnis überzeugt: "Die Böden meiner Äcker sind weich geworden und meine Kosten haben sich um mehr als ein Viertel verringert. Ich muss nicht mehr auf den Markt gehen, um Düngemittel zu kaufen, da ich sie selbst herstellen kann. Jetzt kommen auch andere aus meinem Dorf, um auf meinem Feld zu lernen.“
Regenerative Landwirtschaft: Damit sich die Natur erholen kann
Gemeinsam mit den beteiligten Landwirt:innen analysiert der WWF den Ist-Zustand der Baumwollfarmen, die Gesundheit der Böden, die Vorkommen bestäubender Insekten, das Wachstum der Pflanzen und die Einnahmen und Ausgaben des Betriebes.
Auf dieser Grundlage werden realistische Maßnahmen festgelegt, die im Laufe der Zeit die Böden regenerieren und damit ein besseres Pflanzenwachstum und eine höhere Produktion von Jahr zu Jahr ermöglichen. Das verschafft den anbauenden Familien eine sichere wirtschaftliche Grundlage, dient vom Boden bis hinauf in die Nahrungskette der biologischen Vielfalt in dem Gebiet und verbessert die Kohlenstoffbindung der Böden.
Nachhaltiger Baumwollanbau auch für andere Regionen in Indien
Die Gemeinden im Satpura-Pench-Korridor beweisen, dass es möglich ist, mit Wildtieren im selben Lebensraum zu koexistieren, dabei Landwirtschaft zu betreiben und durch einen nachhaltigen Anbau sogar das Einkommen zu verbessern. Projekte wie diese, bei denen die Menschen vom Tigerschutz in ihrer Region profitieren und darüber hinaus dabei mitentscheiden können, helfen neben vielen anderen Maßnahmen, Konflikte zwischen Menschen und Tigern zu mindern und weniger Tiger durch Tötungen aus Angst und Rache zu verlieren.
Die Erfolge des Projektes sprechen für sich und sollen zum Nachahmen anregen. Ziel des WWF ist, den nachhaltigen Baumwollanbau auf alle Farmen im Wildtierkorridor und in andere Regionen Indiens auszubreiten. Sobald Verbraucher:innen und Unternehmen auch außerhalb Indiens verstärkt eine Baumwolle nachfragen, die die Lebensbedingungen der anbauenden Familien verbessert und gleichzeitig die Artenvielfalt der Region schützt, kann das ein entscheidender Hebel sein.
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