Der letzte Kaspische Tiger gilt seit den 1970er Jahren des vergangenen Jahrhunderts als ausgestorben. Jahrhundertelang hatten die Menschen in Zentralasien die Tiere gejagt und ihren Lebensraum in Acker- und Weideflächen umgewandelt. Es blieb kein Platz für die bis zu drei Meter große Raubkatze.

Zu ihrem Verbreitungsgebiet gehörte auch Kasachstan. Hier starb das letzte Exemplar schon 1948. Doch der Tiger könnte zurückkehren. Die kasachische Regierung hat große Pläne: Sie will die Großkatze im Westen des Landes wieder ansiedeln. Das ambitionierte Vorhaben klingt wie Science-Fiction, doch das ehrgeizige Projekt nimmt nun konkretere Formen an.

Tiger-Nachwuchs für das Ili-Balkash-Schutzgebiet

Kaspischer Tiger / Illustration © WWF / Helmut Diller
Kaspischer Tiger / Illustration © WWF / Helmut Diller

Ende September 2024 landeten die ersten zwei Tiger aus einem niederländischen Zoo in der kasachischen Großstadt Almathy. Von da ging es per Helikopter weiter nach Ili Balkash, ein rund 4.000 Quadratkilometer großes Schutzgebiet im Süden des gleichnamigen Binnensees.

Hier ziehen die beiden Neuankömmlinge in ein mehrere Hektar großes Gehege. Es handelt sich um Bohan und Kuma, zwei Amur-Tiger, auch Sibirischer Tiger genannt. Dieser unterscheidet sich von dem hier einst heimischen Kaspischen Tiger genetisch nur geringfügig.

Der Auftrag des Tiger-Paares: für Nachwuchs sorgen! Wenn das gelingt, soll die nächste Generation ausgewildert werden. In drei bis vier Jahren könnte es soweit sein. Die Nachkommen von Borhan und Kuma wären dann die ersten Tiger, die wieder frei in der kasachischen Wildnis auf die Jagd nach Wildschweinen und Bukhara-Hirschen gehen könnten.

Was wichtig ist, um Tiger wieder anzusiedeln

Neue Heimat für Tiger © Kazachstan / Ili Balkash photography
Das Ili Balkash-Schutzgebiet wird neue Heimat für Tiger © Kazachstan / Ili Balkash photography

Bis Tiger wieder durch das Ili-Balkash-Schutzgebiet streifen, gilt es noch einige Hürden zu überwinden: Die Nachzucht muss klappen, die Jungtiere müssen gesund sein, sich an ihren Lebensraum gewöhnen, und sie müssen sich im Beutemachen trainieren. Nur als gute Jäger werden sie in Freiheit zurecht kommen.

Zudem braucht es weitere Artgenossen mit anderen Stammbäumen, um Inzucht von vornherein zu minimieren. Auf Bohan und Kuma müssen andere Paare folgen. Anders als im Zoo müssen ihre Pfleger:innen bei allen Aktionen im großen Freigehege „unsichtbar“ bleiben. Der Kontakt zu Menschen muss weitgehend unterbleiben, damit die Tiere sich nicht an Menschen gewöhnen.

Es bleibt also noch viel zu tun für die Naturschützer in Kasachstan. Aber sie haben auch schon viel erreicht. Der Umzug der holländischen Katzen ist ein wichtiger Zwischenschritt und vorläufiger Höhepunkt zum Comeback der Großkatzen.

Der Grundstein dazu wurde mit Unterstützung des WWF schon vor mehr als zehn Jahren gelegt. Schon damals war klar, dass Tiger nur langfristig eine Überlebenschance haben, wenn geeigneter Lebensraum bereitsteht. Aus 92 Prozent ihres ursprünglichen Territoriums von Sibirien bis in die Türkei waren die Tiere bereits verschwunden.

Dort, wo die Art bereits verschwunden ist, gibt es nur noch wenige Möglichkeiten für ein Revival der Großkatze. Infrage kommen unter anderem Gebiete im riesigen und dünn besiedelten Kasachstan. Das zentralasiatische Land mit rund 20 Millionen Einwohnern ist fast acht Mal so groß wie Deutschland.

Beutetiere, Jagdverbot und Lebensraum

Beutetiere für Tiger © Kazachstan / Ili Balkash photography
Beutetiere für Tiger © Kazachstan / Ili Balkash photography

Kasachstan signalisierte seine Bereitschaft, den Tiger heim zu holen. Das wurde 2018 mit der Ausweisung des Ili-Balkash-Reservats unterstrichen. An dieses Gebiet an den Ufern des Ili-Flusses im Westen schließt sich ein Mosaik von weiteren Schutzgebieten mit Steppen und Galeriewäldern an, wodurch 12.000 Quadratkilometer als potenzielles Habitat zur Verfügung stehen.

Das Gebiet ist allerdings vielerorts in keinem optimalen Zustand. Deshalb begann man mit Unterstützung der UN und anderen Partnern mit Aufforstungen, an denen sich auch der WWF mit viel Know-how und Geld beteiligte. Es wurden Bukhara-Hirsche und Kropfgazellen ausgewildert, und ein Jagdverbot hat dafür gesorgt, dass sich die Zahl der Wildschweine in den vergangenen Jahren fast vervierfacht hat.

Gut für das angeschlagene Ökosystem in der Region und zugleich eine Grundvoraussetzung, damit sich auch der Tiger durchbeißen kann. Denn ein einzelnes ausgewachsenes Exemplar muss im Schnitt im Jahr etwa 50 Hirsche erlegen, um satt zu werden.

Gute Chancen für die Bevölkerung und Tiger

Kasachische Bevölkerung © Kazachstan / Ili Balkash photography
Kasachische Bevölkerung © Kazachstan / Ili Balkash photography

Ganz wichtig für das Projekt ist die Einbindung der Bevölkerung. Auch wenn das Reservat selbst menschenleer ist, leben in den Dörfern in der weiteren Umgebung rund 5.000 Menschen. Zwar wird bis zur eigentlichen Auswilderung noch viel Wasser den Ili-Fluss hinunterfließen, aber schon jetzt ist klar, dass die frei gelassenen Tiere besendert werden. Eine speziell ausgebildete Ranger-Patrouille wird sie beobachten und eingreifen, sollten die Tiere menschlichen Siedlungen zu nahe kommen.

Die Stimmung in den Dörfern ist gespalten. Manche sehen die Ankunft der Tiger skeptisch, aber viele sind auch stolz auf das Projekt. Hilfreich für die Akzeptanz ist fraglos, dass seit der Gründung des Reservats 2018 Einheimische aus den umliegenden Dörfern einen Job bei der Regierung gefunden haben.

Der WWF hat zudem eine Reihe von Initiativen unterstützt, um bessere und neue Einkommensformen zu schaffen. Darunter die Einrichtung eines Dorfmarktes, die Steigerung der Produktion in Gemüsegärten und das Angebot von handwerklichen Kursen. Mit der Ankunft der Tiger werden Anstrengungen unternommen, um mehr Tourist:innen in die kasachische Steppe zu locken.

Diese werden vorerst sicher noch keinen freilebenden Tiger zu Gesicht bekommen. Aber wer weiß: Die Ziele der kasachischen Naturschützer:innen sind ehrgeizig! Längerfristig soll eine stabile Population von bis zu 50 Exemplaren aufgebaut werden. Das wäre ein weltweit einmaliger Erfolg.

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