Je besser man eine bedrohte Tierart kennt, desto effektiver kann man sie schützen – das ist einer der Grundsätze im Artenschutz. Wie viele der Tiere gibt es noch? Wo genau halten sie sich auf? Wie sehen ihre Bewegungsmuster und ihr soziales Gefüge aus? Wovon ernähren sie sich? Bei einer Tierart wie den Flachlandgorillas, die versteckt in den Tiefen des Regenwaldes lebt, sind diese Fragen sehr schwer zu beantworten. Deshalb ist es hilfreich, die Gorillas zu habituieren, also an die Anwesenheit von Menschen zu gewöhnen.
Westliche Flachlandgorillas sind äußerst seltene Tiere. Die Internationale Rote Liste bedrohter Arten der Weltnaturschutzunion (IUCN) führt sie als vom Aussterben bedroht: Wilderei, Krankheiten und Lebensraumverlust setzen ihnen zu. Eines der scheuen Tiere zu Gesicht zu bekommen, ist sehr unwahrscheinlich. In Dzanga-Sangha ist es möglich: Das Schutzgebiet im Süden der Zentralafrikanischen Republik beherbergt habituierte Gorillafamilien. Aber wieso gewöhnt man Gorillas eigentlich an die Anwesenheit von Menschen?
Forschung für den Schutz der Flachlandgorillas
Im Jahr 1997 hat WWF-Mitarbeiter Allard Bloom ein Programm zur Habituierung von Gorillas ins Leben gerufen, das Primate Habituation Programme (PHP). Das Projekt ist eine wichtige Säule unserer Naturschutzarbeit in Dzanga-Sangha, seit vielen Jahren gewöhnen wir dort einzelne Gorillafamilien langsam und vorsichtig an die Anwesenheit von Menschen. Dazu begeben sich die Projektmitarbeiter:innen immer wieder in die Nähe einer bestimmten Gorillagruppe und harren dort so lange ruhig aus, bis die Tiere nicht mehr flüchten oder aggressiv auf ihre Anwesenheit reagieren.
Denn bei einer solchen Habituierung – die üblicherweise mehrere Jahre dauert – geht es nicht etwa darum, die Tiere zutraulich zu machen oder mit ihnen zu interagieren. Im Gegenteil: Die Gorillas sollen die Menschen als zufällig anwesende weitere Waldbewohner:innen wahrnehmen, die keine Bedrohung für sie darstellen und keinen Einfluss auf ihre Aktivitäten haben. Bei der Habituierung der Tiere sind wir besonders auf die Unterstützung der lokalen Bevölkerung angewiesen: Ohne die kundigen Fährtenleser:innen der Ba‘Aka und ihre Kenntnis des Regenwaldes würden wir die scheuen Gorillas wahrscheinlich nicht einmal finden.
Mittlerweile ist Dzanga-Sangha als außergewöhnlicher Forschungsstandort weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Wissenschaftler:innen aus aller Welt kommen hierher, um das Verhalten der Menschaffenaffen in ihrem intakten Lebensraum zu erforschen, Daten zur Bestandsentwicklung zu erheben, ihr Wissen über die Ökologie des Regenwaldes zu vertiefen und vieles mehr. Auch die Erforschung von Infektionskrankheiten spielt eine große Rolle.
One Health: Gesundheit für alle
Seit der Coronapandemie ist der Begriff Zoonose den meisten von uns geläufig. Dass der Begriff aber auch die Krankheitsübertragung von Mensch auf Tier (und nicht nur die von Tier auf Mensch) umfasst, ist vielen nicht bekannt. Erkrankungen, die für uns harmlos sind, können für Gorillas tödlich sein. Deshalb müssen Besucher:innen, die die Gorillas beobachten wollen, einen Mund-Nasen-Schutz tragen und stets mehrere Meter Abstand zu den Tieren halten.
Um Krankheiten schnell zu erkennen und ihre Ausbreitung zu verhindern, arbeitet der WWF eng mit dem Helmholtz Institut für One Health zusammen. Auf dem One-Health-Prinzip beruhend wird die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt untersucht, um rechtzeitig Gefahren zu erkennen und so eine Art ein Frühwarnsystem zu etablieren. In Dzanga-Sangha ermöglicht ein Feldlabor ein regelmäßiges Gesundheitsmonitoring der Menschenaffen – bei Verdacht auf Milzbrand, Ebola und andere gefährlichen Krankheiten wird sofort die lokale Bevölkerung gewarnt, damit sie sich nicht ansteckt.
Ökotourismus schafft alternative Einkommensquellen
Ein solches Gesundheitsmonitoring ist auch für die Touristinnen und Touristen wichtig, die nach Dzanga-Sangha reisen, um bei geführten Trekkingtouren die Flachlandgorillas aus nächster Nähe (aber immer mit gebührendem Abstand) zu beobachten. Denn mit der Gorillahabituierung soll auch der Ökotourismus gefördert werden, in dessen Umfeld neue und langfristige Einkommensmöglichkeiten für die lokale Bevölkerung entstehen. Und nicht nur das: Ein fester Anteil der Gebühren, die die Besucher:innen für die Beobachtung der Gorillas entrichten müssen, geht direkt an die lokalen Gemeinden rund um das Dzanga-Sangha-Schutzgebiet. Das setzt jeden einzelnen Gorilla in Wert und bewahrt die Tiere vor Wilderei. Intakte Natur wird zu so einem schützenswerten Gut – und davon profitieren wir alle!
Aus dem Leben der Westlichen Flachlandgorillas
In Dzanga-Sangha lebten bisher drei habituierte Gorillafamilien, die von je einem Silberrücken angeführt wurden. Die Namen der Oberhäupter: Makumba, Mata und Mayele. Doch nun sind die beiden Silberrücken Mata und Mayele leider vor kurzem verstorben.
Terence Fuh, Projektmanager Kongobecken beim WWF Deutschland, berichtet im Interview, was das für ihn persönlich, aber auch für das Habituierungsprogramm in Dzanga-Sangha bedeutet.
Terence, wieso sind innerhalb kurzer Zeit zwei der habituierten Silberrücken ums Leben gekommen?
Nach derzeitigem Erkenntnisstand haben die beiden Todesfälle nichts miteinander zu tun. Mata wurde Ende August tot aufgefunden, er hatte Frakturen an Hals und Gliedmaßen. Die Todesursache ist immer noch unklar, unser Feldteam vermutet jedoch, dass er von einem Baum gestürzt ist. Mayele ist drei Wochen später an schweren Verletzungen gestorben, die er sich zuvor bei einem Kampf zugezogen hatte — wahrscheinlich mit einem anderen Silberrücken. Hinweise auf Wilderei gab es bei beiden Tieren nicht, das können wir also ausschließen.
Du kennst Mata und Mayele schon sehr lang, das muss ein Schock für dich gewesen sein!
Ja, der Tod der beiden Silberrücken innerhalb so kurzer Zeit war hart für mich. Ich habe zu ihrer Habituierung beigetragen und mich die vergangenen elf Jahre in Dzanga-Sangha intensiv für den Schutz der Wildtiere eingesetzt. Jetzt sind sie tot — und es muss weitergehen.
Was passiert jetzt mit den beiden Gorillafamilien?
Ihre Zukunft ist ungewiss, denn die Silberrücken schützen und verteidigen ihre Familien und halten sie so zusammen. Ihr Tod könnte zum Zerfall der Gruppen führen. Mata hinterließ zwei Weibchen und vier Nachkommen im Alter zwischen einem und sechs Jahren. Nur zwei Wochen nach seinem Tod tötete ein Silberrücken, der versuchte, die Gruppe zu übernehmen, einen der Nachkommen.
Und die Familie von Mayele?
In der Mayele-Gruppe gibt es einen 14-jährigen Schwarzrücken, der die Gruppe aus drei Weibchen und sechs Nachkommen eventuell verteidigen kann. Es ist jedoch ungewiss, ob er die Familie zusammenhalten und ihr nächster Anführer werden kann. In den nächsten Tagen und Wochen wird es noch viel zu beobachten geben.
Was passiert, wenn die beiden Gruppen auseinanderbrechen?
Das wäre ein harter Schlag für Dzanga-Sangha, denn die Gorillas generieren etwa die Hälfte der Tourismuseinnahmen. Das Gorillaprogramm ist ein wichtiger Arbeitgeber für die örtliche Bevölkerung. Es beschäftigt mehr als 60 Menschen, davon über 40 Ba’Aka.
Aber muss man nicht immer damit rechnen, dass ein Silberrücken stirbt?
Absolut, das kann immer passieren. Interaktionen zwischen den Gruppen, Wanderungen von einzelnen Tieren, Kämpfe zwischen Silberrücken, Infantizid, also die Tötung von Jungtieren, und die Auflösung von Gorillagruppen — das sind alles natürliche Phänomene. Für uns mag das nicht schön sein, in der Gorillawelt ist es aber die Realität.
Wie geht es nun weiter?
Wir dürfen jetzt auf keinen Fall aufgeben. Wir werden die Habituierung der Gorillas in Dzanga-Sangha fortsetzen. Denn das Programm ein wichtiges Instrument für den Naturschutz: Es bringt dringend benötigte Einnahmen und stärkt die Lebensbedingungen der Gemeinden. Außerdem hilft es, das immense Wissen der Ba’Aka-Gemeinschaften über den Wald und ihre überlieferten Techniken des Fährtenlesen zu bewahren. Vor allem aber hat sich der Schutz der Gorillas in diesem Gebiet insgesamt enorm verbessert!
- Hilfe für die Gorillas von Dzanga-Sangha
- Gorillas: Tod zweier Silberrücken
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