In den sechs Jahrzehnten hat der WWF sich stetig weiterentwickelt und teilweise neu erfunden. Ähnlich wie sein Wappentier war die Stiftung dabei selten besonders schnell, aber vielleicht liegt gerade darin das Erfolgsrezept.
Der WWF Deutschland wurde von seinen elf Gründungsvätern als fünfte nationale Sektion des World Wide Fund For Nature 1963 aus der Taufe gehoben. Seitdem hat sich die Organisation zu einem Global Player entwickelt, der ganz vorne mitspielt sowohl im nationalen als auch im internationalen Natur- und Artenschutz. Mehr als 500 Mitarbeitende arbeiten heute allein in Deutschland hauptberuflich im Zeichen des Pandas. Die meisten von ihnen waren 1963, als die Organisation hierzulande an den Start ging, noch gar nicht geboren.
Die Gründungszeit
1963: Das Gründungsjahr der Fußball-Bundesliga. Attentat auf US-Präsident John F. Kennedy. Ludwig Erhard wurde Bundeskanzler. Das ZDF ging auf Sendung. Die erste Tonbandkassette kam auf den Markt. Und der WWF Deutschland ging als fünfter Spross der internationalen WWF-Familie an den Start.
Als Verein zur Förderung des World Wildlife Fund e.V. wurde der WWF Deutschland 1963 zum Leben erweckt. Eine der treibenden Kräfte war Wolfgang Burhenne. Der Umweltjurist mit internationalem Renommee war bereits zwei Jahre zuvor als einziger Deutscher an der Gründung des WWF International in der Schweiz beteiligt gewesen und engagierte sich stark in der Weltnaturschutzunion IUCN.
In Deutschland erblickte der WWF im Keller der Dienstresidenz des damaligen Bundestagspräsidenten Eugen Gerstenmaier in Bad Godesberg das Licht der Welt. Neben dem evangelischen Theologen waren weitere Honoratioren aus dem Nachkriegsdeutschland dabei. Die Gründungsurkunde trug unter anderem die Unterschriften von Philipp von Boeselager. Der ehemalige Wehrmachtsoffizier hatte den Sprengstoff für die Hitler-Attentäter vom 20. Juli 1944 besorgt. Nach dem Krieg trat der katholische Baron vor allem als Waldfunktionär in Erscheinung.
Zu den Veteranen stießen weitere prominente Akteure der noch jungen Bundesrepublik. Der Kölner Versicherungserbe Walter Gerling war ebenso dabei wie der spätere Forschungs-, Finanz- und Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg. Der prominenteste Naturschützer unter den WWF-Vätern war der Frankfurter Zoodirektor Bernhard Grzimek, der auch bei der Gründung des BUND und vor allem der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt beteiligt war.
Langsam geht es los
Trotz ihrer ausgezeichneten Kontakte in Wirtschaft und Politik verlief der Start des deutschen WWF im Stile seines Wappentieres – also eher gemächlich. Die Gründer wollten das internationale Modell kopieren, die ganz Reichen dieser Welt dazu zu bringen, für den Naturschutz tief in die Tasche zu greifen. Folgerichtig nannten sie ihren Verein zunächst noch nicht WWF Deutschland, sondern „Verein zur Förderung des World Wildlife Fund“.
85.000 Mark sammelten sie im ersten Jahr. Nicht schlecht für den Anfang. Mit dem Geld wurde vor allem in Notfällen Soforthilfe geleistet: zum Beispiel für die Erhaltung der Feuchtgebiete im Mündungsbereich des Guadalquivir in Andalusien, die Panzernashörner im nepalesischen Chitwan, zum Aufbau der Wildhüterschule Garoua in Kamerun oder für den Serengeti-Nationalpark in Tansania. Doch im Vergleich zu den großen Schwesterorganisationen in der Schweiz, den Niederlanden oder Großbritannien blieben die Einnahmen auch in den folgenden Jahren überschaubar.
Die Siebziger Jahre
1973 war das Jahr der Ölkrise und Sonntagsfahrverbote. Die USA zogen ihre Truppen aus Vietnam zurück. Helmut Kohl wurde CDU-Vorsitzender. Das erste Mobiltelefon wurde erfunden und der Geldautomat patentiert.
Der WWF wurde in diesem Jahr vom Verein zur Förderung des World Wildlife Fund in eine Stiftung bürgerlichen Rechts überführt, den „WWF-Deutschland, Stiftung für die Gestaltung und den Schutz der natürlichen Umwelt“. Doch noch immer setzten die Verantwortlichen nicht auf Breitenwirkung, sondern hatten in erster Linie Personen des öffentlichen Lebens im Blick. Folgerichtig wurde zum ersten Vorsitzenden des Stiftungsrates der damalige Innen- und spätere Außenminister und FDP-Vorsitzende Hans Dietrich Genscher gewählt.
Trotz großer Namen blieb der Einfluss des WWF Deutschland gering. Man konzentrierte sich auf die Beschaffung von Geld, das an Projekte anderer Organisationen weitergereicht wurde. Bis 1978 kamen seit der Gründung 15 Jahre zuvor rund sieben Millionen Mark für internationale und vier Millionen Mark für nationale Projekte zusammen. Im internationalen Vergleich blieben die Deutschen damit noch immer weit hinter ihren Möglichkeiten.
Dennoch waren die Bilanz und das Spektrum der Aktivitäten beachtlich. Schutzprojekte für Wanderfalken, Biber oder Fledermäuse, Landkäufe in Mooren und Feuchtgebieten, technische Hilfestellung und umweltrechtliche Gutachten wurden aus den Mitteln der Stiftung finanziert.
Die Umsetzung der Maßnahmen überließen die Verantwortlichen bewusst anderen. Diese Strategie war zwar nobel, führte aber dazu, dass die Naturschützer:innen im Zeichen des Pandas in Deutschland weitgehend unbekannt blieben. Die Spender:innen-Kartei des WWF umfasste 1978 gerade einmal 4.500 Namen.
„Der WWF existierte zwar, aber er war ein Verein von Menschen, die alle viel beschäftigt waren. Wir hatten keine Angestellten. Wir haben zwar bei jeder Gelegenheit Menschen angesprochen und um Spenden gebeten, aber eben nur nebenbei.“
Naturschutz pur
Hinzu kam, dass die Organisation wichtige gesellschaftliche Entwicklungen und Themen lange weitgehend ignorierte. „Naturschutz pur“ war das Motto der ersten Jahrzehnte. Doch Themen wie Chemiepolitik rückten nicht erst nach der Katastrophe von Seveso 1976 ins öffentliche Bewusstsein. Auch die wachsende Anti-Atombewegung war den Pandas der ersten Stunde eher suspekt. „In Zeiten wirtschaftlichen Wachstums konzentrierten sie sich darauf, die Symptome, nicht aber die Ursachen zu korrigieren. Das war durchaus ehrenvoll, politisch unbedenklich und tat niemandem weh“, beschrieb Arnd Wünschmann, einer der späteren Geschäftsführer des WWF Deutschland, den Ansatz in einem kritischen Rückblick.
1978: Nach den RAF-Morden an Jürgen Ponto, Siegfried Buback und Hanns Martin Schleyer werden die Anti-Terrorgesetze verabschiedet. Mit Johannes Paul II bekam die Welt einen polnischen Papst. Der Öltanker Amoco Cadiz havarierte vor der französischen Küste.
Der WWF zog von Bonn nach Frankfurt und engagierte seine ersten Mitarbeitenden. Zu den Naturschützer:innen in Nadelstreifen stieß jetzt die hauptamtliche Gummistiefelfraktion. Casimir zu Sayn-Wittgenstein bot dem WWF in den Räumen der Metallgesellschaft, deren Vorstand er angehörte, eine neue Heimat. 1980 übernahm der passionierte Jäger und damaliger Schatzmeister der hessischen CDU auch das Amt des WWF-Stiftungsratspräsidenten.
Der WWF Deutschland expandiert
Mit der Erweiterung änderte der WWF auch seine Arbeitsweise. Es ging jetzt nicht mehr allein darum, Geld zu sammeln, man wollte es auch selbst ausgeben. Neben der Zentrale in Frankfurt am Main spielten in den folgenden Jahren gegründete Außenstellen in Mölln, Bremen, Husum, Wesel, und Rastatt und Potsdam wichtige Rollen für die Positionierung in Deutschland. Eigenständige Vorhaben wurden entwickelt und umgesetzt. Dazu gehörten die Bewachung von Kranichen und Seeadlerhorsten in Schleswig-Holstein, das Engagement im Wattenmeerschutz und später der Einsatz für den Erhalt und die Renaturierung von Flussauen. Gleichzeitig begann man mit ersten Projekten zur Umweltbildung von Kindern und Jugendlichen mit Schwerpunkt Artenschutz. Die Belegschaft wuchs und mit ihnen stieg auch die Zahl der Unterstützer:innen auf rund 55.000 im Jahr 1986. Das umweltpolitische Feld überließ man aber immer noch weitgehend anderen Organisationen.
Die Achtziger Jahre
1986: In der UdSSR explodiert Block 1 der Atomanlage von Tschernobyl. Argentinien besiegt Deutschland im Finale der Fußball-WM mit 3:2. Walter Wallmann wird erster deutscher Umweltminister. Nach einem Großbrand beim Chemieriesen Sandoz kommt es zu einem gewaltigen Fischsterben im Rhein.
Auf Dauer ließ sich der unpolitische Kurs nicht durchhalten. Carl-Albrecht von Treuenfels, seit 1981 im WWF-Stiftungsrat, begleitete ab 1989 als hauptamtlicher Vorstandsvorsitzender und späterer Präsident diese Entwicklung hautnah. Mit ihm hatte der WWF erstmals einen führenden Repräsentanten, der sich, anders als seine ehrenamtlichen Mitstreiter:innen, voll dem WWF widmen konnte. Der Rechtsanwalt und Tierfotograf bildete eine wichtige Schnittstelle zwischen der immer größer und selbstbewusster agierenden Belegschaft und den Entscheidungsgremien.
Der WWF geht ins politische Handeln über
In den 80er-Jahren entdeckten die Deutschen das Waldsterben, Großstädte riefen Smogalarm aus und spätestens 1986 endete in Tschernobyl der trügerische Traum von der sauberen Kernenergie. Probleme dieses Kalibers ließen sich weder durch Landkäufe noch durch die Bewirtschaftung von Schutzgebieten lösen. Abfallberge, saurer Regen oder Klimawandel verlangten auch vom WWF eindeutige Stellungnahmen.
Hinzu kam, dass auch WWF International immer stärker auf die Politik setzte. Der ganzheitliche Ansatz drückte sich nicht zuletzt in der Umbenennung von „World Wildlife Fund“ in „World Wide Fund for Nature“ aus. Der WWF mischte mit bei der Verabschiedung eines internationalen Walfangmoratoriums (1986), engagierte sich im Rahmen des Washingtoner Artenschutzübereinkommens für ein Handelsverbot mit Elfenbein und kämpfte für den Schutz der Antarktis (1990).
Auch in anderen Bereichen, etwa der Landwirtschaft oder der Fischerei, wurde immer klarer, dass die Grenzen zwischen angewandtem Naturschutz und Umweltpolitik sich immer mehr auflösten. Der WWF reagierte darauf, indem er politische Aspekte in seine Arbeit einbezog, ohne die unmittelbare Feldarbeit zu vernachlässigen.
Ein Wandel, der durchaus umstritten war. Der ehemalige Stiftungsratsvorsitzende Casimir zu Sayn-Wittgenstein war mit dieser Entwicklung überhaupt nicht einverstanden: „Leider und zu meinem Ärger hat sich der WWF zu einer fast politischen Umweltorganisation entwickelt“, kritisierte er in seinen Memoiren. Er vertrat damit aber eine Minderheitsmeinung.
Auf nach Berlin
2003 suchte der WWF aktiv die Nähe zur Macht und eröffnete ein Lobbybüro in Berlin. Dies war nur der erste Schritt. 2011 zog die Zentrale mit inzwischen fast 200 Mitarbeitenden in die Bundeshauptstadt.
In anderen Bereichen wiederum war der WWF durchaus seiner Zeit voraus. Lange vor der Diskussion um nachhaltiges Wirtschaften und Green Economy entdeckte die Organisation, dass die Wirtschaft nicht nur Teil des Problems, sondern auch Teil der Lösung sein kann. In den 80er-Jahren setzte man daher beim WWF verstärkt auf Ökosponsoring und die Vermarktung des Panda-Logos. Dazu wurde 1986 die Panda Fördergesellschaft gegründet, um die finanzielle Unterstützung durch Firmen zu organisieren und ihnen im Gegenzug die Nutzung des WWF-Signets zu ermöglichen. Das Modell wurde im Laufe der Jahre weiterentwickelt und optimiert.
Der WWF wächst weiter
2012: Das Kreuzfahrtschiff Costa Concordia mit 4.200 Passagieren läuft vor der italienischen Insel Giglio auf ein Riff. Joachim Gauck wird neuer Bundespräsident. In der Arktis registriert man eine Rekordschmelze des sommerlichen Packeises.
Immer aktiver beteiligt sich der WWF Deutschland zudem an der internationalen Entwicklungszusammenarbeit, am Klimaschutz und an der Bewahrung der biologischen Vielfalt oder gewinnt Ministerien und Entwicklungsbanken für seine Vorhaben. Mit der wachsenden Zahl an Projekten ist auch eine Zunahme von Verantwortung verbunden. Die Einhaltung von Menschenrechten und die Entwicklung von Perspektiven für die lokale Bevölkerung gehören ebenso dazu wie die Lösung von Mensch-Tier-Konflikten.
Es geht darum, den grenzübergreifenden Naturschutz zu stärken und Schutzgebiete nachhaltig zu entwickeln. So entstand um die Flüsse Kavango und Sambesi auf insgesamt 520.000 Quadratkilometern das größte Schutzgebiets Netzwerk der Erde – KAZA. Es verbindet 21 Nationalparks und zahlreiche weitere Schutzgebiete durch Korridore zu einem zusammenhängenden Naturraum, in dem Elefanten und andere Tiere ungehindert wandern können. Zugleich bekommen die Gemeinden vom Staat die Rechte und Pflichten für ihr Land mitsamt Wäldern und Wildtieren übertragen. Sie dürfen in Gemeindeschutzgebieten legal für den Eigenbedarf jagen und profitieren vom Ökotourismus. Der WWF hilft dabei, die Gemeindeschutzgebiete einzurichten, damit diese dann als Korridore staatliche Schutzgebiete verbinden.
Die neue Fokussierung des WWF
2023: Der Krieg in der Ukraine geht in das zweite Jahr. Weite Teile Afrikas und Südeuropas ächzen unter einer Rekorddürre. In Deutschland gehen die letzten Kernkraftwerke vom Netz. Nach dem Tod von Queen Elisabeth wird ihr Sohn Charles zum König gekrönt.
Der WWF Deutschland kann inzwischen auf die Unterstützung von rund 898.000 Förder:innen und Jahreseinnahmen in Höhe von mehr als 115 Millionen Euro zählen.
Aus dem Club ehrenwerter Gentlemen ist der drittgrößte Ableger im internationalen WWF-Netzwerk geworden. Um den Herausforderungen der kommenden Jahre gewachsen zu sein, hat die Organisation ihre Strategie erweitert, Schwerpunkte verschoben und die daraus folgende Struktur neu justiert.
Der neue Ansatz stellt das Verändern neben das Bewahren. Der WWF zielt auf strukturelle Veränderungen in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Finanzsystem. Damit diese Transformation gelingt, sucht der WWF nach starken und manchmal auch unkonventionellen Partner:innen. Ziel ist es, zu den Ursachen der Natur-, Biodiversitäts- und Klimakrise vordringen – und sie an der Wurzel bekämpfen.
Schon in der Vergangenheit wurden Unternehmen als Verursacher vieler Umweltprobleme identifiziert und zugleich als Teil der Lösung gesehen. Freiwillige Zertifizierungssysteme wie FSC, MSC und RSPO sind Ansätze, die der WWF initiiert oder an denen er intensiv mitgewirkt hat. Die neue Strategie geht darüber hinaus aber noch einen Schritt weiter. Es gilt, die Rahmenbedingungen so zu verändern, dass ein nachhaltiges Wirtschaften möglich wird. Finanzströme müssen verändert, Gesetze reformiert, Subventionen abgebaut werden.
Der WWF Deutschland ist 60 Jahre alt
Trotz vieler Erfolge bleibt auch nach 60 Jahren viel zu tun für die Naturschützer:innen im Zeichen des Pandas. Ablesen lässt sich dies an den Daten des neuesten Living Planet Reports: demnach hat sich die Zahl der Wildtiere in den vergangenen fünf Jahrzehnten halbiert und auch beim Klimaschutz ist die Welt noch lange nicht auf dem in Paris vereinbarten 1,5-Grad-Kurs.
„Wir wollen die weltweite Zerstörung der Natur und Umwelt stoppen und eine Zukunft gestalten, in der Mensch und Natur in Einklang miteinander leben“, so lautet die Mission des WWF Deutschland. Ein Ziel, das auch für die nächsten Jahrzehnte Gültigkeit behält.
Die Geschichte des WWF International
- Geschichte des WWF Teil 1: „Die Gründerjahre“
- Geschichte des WWF Teil 2: „Naturschutz braucht Geld“
- Geschichte des WWF Teil 3: „Von Großwalen zum großen Ganzen“
- Geschichte des WWF Teil 4: „Ein weltweit agierendes Netzwerk“