Das Selous-Schutzgebiet in Tansania ist durch den Bau eines großen Staudammprojekts sowie durch Bergbau und Wilderei bedroht. Ein Teil wurde nun als Nationalpark ausgewiesen. Unser Autor Thomas Schmidt war vor Ort.

Aufmerksam folgen mir zwei bernsteinfarbene Augen. Die Ohren des Tiers rotieren langsam, um verdächtige Geräusche wahrzunehmen. Prüfend hebt es seine Nase in den Wind, doch es ist alles in Ordnung. Entspannt schlendert der Afrikanische Wildhund an mir vorbei. Sein Rudel hat sich im Schatten der Bäume nahe einem kleinen Wasserloch niedergelassen. Dort lässt sich die tropische Hitze aushalten. Ein weiterer Wildhund macht es sich plätschernd im Wasser bequem, begleitet vom Zirpen der Zikaden. Eine leichte Brise trägt den Geruch eines frischen Kadavers herüber – Reste der letzten Jagd, die nicht weit entfernt im Gebüsch liegen. Rund 20 Wildhunde haben davon gefressen. Es ist ein großes Rudel mit vielen Jungtieren – typisch für Selous. Das Reservat gilt als eines der wichtigsten Rückzugsgebiete für die stark bedrohten Afrikanischen Wildhunde. 

Auch sonst hat das Selous-Schutzgebiet im Süden Tansanias einiges zu bieten. Die typische Tierwelt Ostafrikas ist hier zu Hause, mit großen Beständen an Löwen, Giraffen, Afrikanischen Büffeln, Flusspferden und Krokodilen. Letztere fühlen sich besonders in den ausgedehnten Sumpfgebietendes Nordens wohl, die zugleich ein wichtiger Lebensraum für viele Vögel sind. Insgesamt wurden rund 440 verschiedene Vogelarten nachgewiesen. Selous ist mit mehr als 50 000 Quadratkilometern größer als Niedersachsen und eines der wichtigsten Wildnisgebiete Afrikas. Daher erklärte die UNESCO das Gebiet bereits 1982 zum Weltnaturerbe. Dieser Titel könnte jedoch bald aberkannt werden. Bereits vor einigen Jahren wurden Elefanten mitten im Reservat in großer Zahl gewildert, weshalb es die UNESCO auf die Liste gefährdeter Welterbestätten setzte.

Versiegt der Fluss des Lebens?

Mittlerweile droht eine neue Gefahr: Der Rufiji, Tansanias längster Fluss, fließt im Norden des Selous durch die „Stiegler-Schlucht“. Trotz heftiger nationaler und internationaler Proteste wird dort nun ein Damm gebaut, um in Zukunft mithilfe von Wasserkraft Strom zu erzeugen. Tansanische Soldaten roden dafür derzeit etwa 1200 Quadratkilometer bedeutender Miombo-Trockenwälder, wo später der Stausee entstehen soll – eine Fläche deutlich größer als Berlin und einer der größten Kahlschläge weltweit. Die Baustelle ist abgeriegelt, doch eine Zufahrtstraße führt mitten durchs Schutzgebiet. Riesige Lkw donnern hier entlang und wirbeln Staub auf. Während ich nach Wildtieren suche, meide ich diese Straße wenn immer möglich, um nicht komplett im Staub zu versinken.

Staudamm ohne Sinn

Afrikanischer Büffel © T. Schmidt
Afrikanischer Büffel © T. Schmidt

Natürlich braucht Tansania eine zuverlässige Stromversorgung. Doch es ist mehr als fraglich, ob der Damm diesen Zweck jemals erfüllen wird. Schon jetzt schwankt der Wasserstand des Rufiji erheblich und es könnte Jahre dauern, bis der See aufgestaut ist. Bis dahin werden alle flussabwärts gelegenen Regionen viel zu wenig Wasser bekommen. Davon sind auch die riesigen Feuchtgebiete im Norden des Selous betroffen, die bisher vom Rufiji gespeist werden und die ebenso wie die Fruchtbarkeit der Felder außerhalb des Schutzgebiets von den regelmäßigen Überschwemmungen durch den Rufiji abhängig sind. Wenn der Fluss versiegt, stirbt das Leben im Norden von Selous. Sogar dort, wo der Rufiji in den Indischen Ozean mündet, ist noch mit fatalen Auswirkungen zu rechnen. Der Fluss transportiert große Mengen an fruchtbaren Sedimenten, die für ein üppiges Planktonwachstum sorgen und so eine wichtige Nahrungsquelle für die seltenen Walhaie schaffen. Sollte diese Nahrungsquelle versiegen, müssten die Walhaie hungern – oder abwandern. Gleichzeitig bedroht dies die Lebensgrundlage der lokalen Bevölkerung, weil auch die Fischgründe an Qualität verlieren.

 

Großbaustelle im Nationalpark

Vor dem Hintergrund solcher potenzieller Zerstörungen erscheint es zunächst erstaunlich, dass die tansanische Regierung im September 2019 einen Teil des bisherigen Selous-Schutzgebiets zum Nyerere-Nationalpark erklärte. Er umfasst gut 30 000 der insgesamt mehr als 50 000 Quadratkilometer des bisherigen Reservats – das entspricht etwa der Größe Belgiens. Innerhalb seiner Grenzen liegt jedoch die Baustelle für den Damm, was den internationalen Richtlinien der Weltnaturschutzunion IUCN für Nationalparks widerspricht. Möglicherweise hat sogar gerade die internationale Kritik an dem Bauprojekt dazu geführt, dass die tansanische Regierung den Nationalpark ausgewiesen hat.

Die Afrikanischen Wildhunde wissen von alldem nichts. Übermütig fordern sich die Jungen zum Spielen auf, springen wild durcheinander und knabbern sich gegenseitig an den Ohren. Ob sie hier weiter eine Heimat finden, hängt letztlich davon ab, ob das Wildnisgebiet insgesamt geschützt werden kann. Die Zukunft eines Weltnaturerbes steht auf dem Spiel.

Was nun?

Johannes Kirchgatter © Matthias Dehling
Johannes Kirchgatter © Matthias Dehling

Was geschieht mit einem der letzten großen Wildnisgebiete Afrikas? Zu der schwierigen Lage berichtet WWF-Experte Johannes Kirchgatter.

Seit Jahren kämpft der WWF gegen den Bau eines Staudamms in der "Stiegler-Schlucht" des Rufiji im Herzen des UNESCO-Weltnaturerbes Selous.

Eine Protest-Petition des WWF brachte fast 250.000 Unterschriften – mehr als jede vergleichbare Aktion des WWF zuvor.

Studien zeigen die verheerenden Folgen des Staudamms für Mensch und Natur. Nach WWF-Pressereisen und -berichten haben sich viele Medien, Regierungen und internationale Organisationen für den Schutz des Selous stark gemacht.

Trotzdem hat die Regierung Tansanias mit dem Bau begonnen. Und das, obwohl von den benötigten bis zu neun Milliarden Dollar für den Staudamm bisher nur ein Bruchteil finanziert ist. Da seriöse Geldgeber wie die Weltbank solche ökologisch wie ökonomisch unsinnigen Projekte nicht finanzieren, ist es fraglich, ob der Damm jemals fertig gebaut wird.

Irreparable Schäden wären dann aber bereits entstanden.

Im kommenden Sommer muss das UNESCO-Welterbekomitee auf seiner Jahrestagung entscheiden, was mit dem Welterbestatus des Selous geschieht.

Eine Wahl zwischen Pest und Cholera:

Bliebe der prestigeträchtige Status trotz dieser mutwilligen Zerstörung erhalten, um den verbliebenen, immer noch riesigen Teil von Selous zu schützen, gäbe es einen Präzedenzfall. In vielen anderen Ländern schlummern ähnliche Pläne für Welterebestätten in den Schubladen.

Würde Selous hingegen der Welterbestatus aberkannt, könnte die UNESCO nichts mehr zu seinem Schutz tun. Die Plünderung der Naturschätze, etwa große Mengen Öl und Gas, würde wahrscheinlicher.

Der WWF wird weiter alles dafür tun, um zu retten, was zu retten ist. Selous ist trotz allem noch immer eines der größten und wichtigsten Schutzgebiete Afrikas, in dessen Umwelt erfolgreich große Gemeindeschutzgebiete etabliert werden konnten.

So können Sie helfen

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