Im Nordosten Chinas erobern Tiger heute wieder Reviere, in denen sie lange nicht mehr anzutreffen waren. Auch für die seltensten Leoparden der Welt, die Amur-Leoparden, ist die weitläufige, raue Region an der Grenze zum russischen Fernen Osten ein wichtiger Lebensraum. Doch über Jahrzehnte wurden die Wälder von der Holzindustrie geplündert und ohne Grenzen kahlgeschlagen. Gemeinsam mit Partnern gibt der WWF den Großkatzen ihre Wildnis zurück.

Bis zu minus 30 Grad Celsius kalt kann es im Winter im Nordosten Chinas werden. Mandschurei wird die Landschaft auch genannt und ist genauso geprägt von den temperierten Mischwäldern der Ebenen wie von schroffen Gebirgen mit klaren Bergseen.

Abgesehen vom benachbarten Russland ist dies die kälteste Heimat von Tigern überhaupt. Hier lebt außerdem die einzige Population von Amur-Leoparden in China.

Wenn Wälder keine wilden Wälder mehr sind

Angepflanzter Nutzwald © Xie Junfeng / WWF Huangnihe
Angepflanzter Nutzwald © Xie Junfeng / WWF Huangnihe

Was heute in den Weiten der chinesischen Ebenen auf den ersten Blick wirkt wie lebendiger Wald, sind häufig künstliche Anpflanzungen der Holzindustrie oder übernutzte Naturwälder.

In den artenarmen Waldstrukturen stehen selten noch alte, fruchttragende Bäume. Unterholz, Kräuter, Sträucher und Wildbeeren wurden ausgedünnt. Tiger und Leoparden finden kaum genug Beute.

Ohne Kiefern und Eichen keine Tiger und Leoparden

Es sind besonders die ursprünglichen Baumarten Korea Kiefer und Mongolische Eiche, welche die Mischwälder Nordostchinas ursprünglich prägten und nun schmerzlich fehlen. Wildschweine, Rehe und Hirsche – die Beutetiere der Großkatzen – brauchen die öl- und stärkehaltigen Samen, um die kalten und schneereichen Winter zu überleben. „Tiger und Leoparden stehen an der Spitze der Nahrungskette. Aber auch eine Nahrungskette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied“, so Markus Radday, Asien-Referent beim WWF Deutschland.

„Tiger und Leoparden stehen an der Spitze der Nahrungskette. Aber auch eine Nahrungskette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied.“

Markus Radday, Asien-Referent beim WWF Deutschland

Neue alte Bäume für ein funktionierendes Gleichgewicht

Landschaftswiederherstellung im Nordosten Chinas © Chen Xu / WWF China
Landschaftswiederherstellung im Nordosten Chinas © Chen Xu / WWF China

Das vielseitig nutzbare Holz von Kiefern und Eichen ist begehrtes Bau- und Tischlermaterial. Bis in die späten 1990er Jahre wurde es rücksichtslos geschlagen und die Wälder so massiv zerstört.

„Heute gilt in den Provinzen Jilin und Heilongjiang ein Abholzungsverbot“, erklärt Radday. „Aber bis sich hier wieder geeignete Lebensräume für Tiger, Leoparden und ihre Beutetiere entwickeln, werden Jahrzehnte vergehen.“ Der WWF und seine Partner aus Forstämtern und Verwaltungen der Schutzgebiete greifen der Wildnis deshalb unter die Arme.

In den nächsten Jahren wird der WWF zehntausende Koreanische Kiefern, Mandschurische Eschen und Mongolische Eichen pflanzen, um Korridore entstehen zu lassen, welche die Waldgebiete miteinander verbinden. 80.000 Baumsetzlinge verschiedener Arten haben wir im Wald und auf brachliegenden Flächen schon gepflanzt. Der Anfang ist gemacht.

Artgerechte Landschaften für Tiger und Leoparden

Seit 2021 ist eine riesige Fläche von über 14.600 Quadratkilometern in den Provinzen Jilin und Heilongjiang in Nordostchina als Tiger- und Leoparden-Nationalpark ausgewiesen – das weltweit größte Schutzgebiet für Tiger!

Doch noch immer müssen die zerstückelten und zerstörten Lebensräume wieder hergestellt werden. Ziel ist, natürliche Laub- und Nadelmischwälder zu schaffen, wie sie hier früher wuchsen. Dazu gehören neben den Kiefern und Eichen viele weitere Bäume. Außerdem Büsche und Sträucher für eine stufige Waldstruktur.

Setzling einer Korea Kiefer © Chen Xu / WWF China
Setzling einer Korea Kiefer © Chen Xu / WWF China

Für den Tiger- und Leoparden Nationalpark hat der WWF – gemeinsam mit der Northeast Forestry University in Harbin – vorrangige Gebiete zur Wiederherstellung von Tiger- und Leopardenlebensräumen identifiziert. Diese wurden in den Managementplan des Nationalparks aufgenommen.

In artenarmen Waldbeständen wurden auf 20.000 Hektar Sträucher und Baumsetzlinge unterpflanzt, um die Wälder anzureichern.

Warum das Projekt so wichtig ist

Seit etwa einem Jahrzehnt breiten sich Leoparden und Tiger vom russischen Fernen Osten in das benachbarte China aus, nachdem sie hier in der Vergangenheit fast ausgerottet worden waren. Inzwischen zeigen Aufnahmen aus Kamerafallen sogar Tiger- und Leopardenweibchen mit Nachwuchs. Ein großer Erfolg!

Doch obwohl die Großkatzen in China heute besser geschützt werden als früher, erholen sich die Bestände nur langsam. Grund sind die zerstörten Lebensräume und damit das schwache Vorkommen von Beutetieren wie Wildschweinen, Rehen und Hirschen.

Gleichzeitig führt die Rückkehr der Großkatzen in eine Landschaft, die ihnen nicht mehr ausreichend Unterschlupf und Nahrung bietet, zu Konflikten mit der lokalen Bevölkerung. Die Gefahr ist groß, dass die Beutegreifer hungrig und heimatlos in menschliche Siedlungen eindringen. Mit einer zunehmenden Zahl von Amur-Tigern und -Leoparden wächst dieses Risiko.

Der WWF beobachtet die Bestände der Großkatzen und ihrer Beutetiere genau und beugt Mensch-Wildtier-Konflikten vor.

Chance für den Arterhalt

Amur-Leopard auf einem Baum © Tom Brakefield / iStock / Getty Images
Amur-Leopard auf einem Baum © Tom Brakefield / iStock / Getty Images

Tiger besiedeln heute auf unserer Erde nur noch acht Prozent ihres historischen Verbreitungsgebietes. „Wollen wir die faszinierende Art auf unserem Planeten erhalten, ist die Vergrößerung ihrer derzeitigen Lebensräume ein wichtiger Schlüssel“, betont Markus Radday vom WWF.

In den Weiten des chinesischen Nordostens gibt es den Platz, den die Großkatzen brauchen.

Eine Renaturierung der Wälder ist allerdings nicht leicht. „Umso mehr freut uns die hohe Überlebensrate unserer Setzlinge von 90 Prozent“, so Radday. Diese 90 Prozent geben nicht nur Hoffnung für den Arterhalt der Amur-Tiger und -Leoparden. Gesunde Wälder fördern die biologische Vielfalt insgesamt, binden und speichern Kohlenstoff und tragen so zum Klimaschutz bei.

Helfen Sie mit einer Spende

  • Bengal-Tiger in Indien © naturepl.com / Francois Savigny / WWF Tiger

    Der Tiger besiedelte einst fast ganz Asien. Heute leben nur noch etwa 3.890 dieser majestätischen Großkatzen in freier Wildbahn. Weiterlesen ...

  • Amur Tiger in den Wäldern von Ost-Russland © Vladimir Medvedev / WWF Amur-Region

    Das riesige Amur-Becken erstreckt sich von der Ostmongolei bis zum Pazifischen Ozean. Die letzten Amur-Tiger und Amur-Leoparden durchstreifen die temperierten Mischwälder. Weiterlesen ...