Nichts scheint die Gruppe von jeder anderen Ranger-Patrouille zu unterscheiden. Doch die sechs Frauen gehören zu Chinas einzigem rein weiblichen Rangerinnen-Team. Hier, in den weitläufigen Wäldern des Tiger- und Leoparden-Nationalparks in der Provinz Heilongjiang im Nordosten Chinas, sind sie auf der Suche nach Spuren der seltenen Amur-Tiger und -Leoparden und deren Beutetieren, aber auch nach Fallen.
Schnee bedeckt den Waldboden. Sechs Gestalten in tarnfarbenen Anzügen bewegen sich vorsichtig durch den winterlichen Wald, auf dem Kopf dicke Wollmützen zum Schutz vor der beißenden Kälte. Plötzlich stolpert eine von ihnen, fällt in den Schnee. Um ihren Fuß hat sich kaum sichtbar ein schmaler, kreisförmig gebogener Draht gewunden: eine Schlingfalle, von Wilderern gelegt. Eine zweite Gestalt eilt zu Hilfe: „Nicht bewegen, ich schau nach.“ Und etwas später: „Wärst du ein Tier, wärst du jetzt tot.”
Tigerschutz – kein Job für Frauen?
Weibliche Rangerinnen sind nach wie vor selten. Eine Umfrage in 28 Ländern ergab: Nur 7,5 Prozent aller Ranger:innen sind weiblich. Stundenlang durch unwegsame Wildnis zu streifen, gilt immer noch als typischer Männerjob.
„Viele Leute sagen, Mädchen sollten einen einfachen und stabilen Job finden. Den ganzen Tag mit wilden Tieren in den Bergen zu arbeiten, sei nichts für Mädchen.“ So schildert die Wildhüterin Qiu Shi die Vorurteile, denen sie und ihre Kolleginnen begegnen und fährt fort: „Aber wir denken, das stimmt nicht. Wir schützen die Wildnis in den Bergen, kümmern uns um die Tiere und sorgen für sie, so dass sie hoffentlich überleben können. Ich denke, wir machen eine sehr sinnvolle Arbeit.“
Das einzige rein weibliche Rangerinnen-Team in China wurde 2019 gegründet und gehört zum Dongning Forestry Bureau in der Provinz Heilongjiang. Durch den 1,4 Millionen Hektar großen Nationalpark streifen die letzten Amur-Tiger Chinas. Durch Wilderei mit Schlingfallen und die Verkleinerung ihres Lebensraums sind sie stark bedroht. Aber der Einsatz der Ranger:innen-Teams zeigt Wirkung: Zwischen 2013 und 2018 wurden in der Grenzregion zu Russland 55 Tiger gezählt, damit haben sich die Zahlen gegenüber 2010 mehr als verdoppelt.
Mit Ausdauer, Leidenschaft und Sorgfalt gegen Wilderei
Genau wie ihre männlichen Kollegen verbringen die sechs Frauen im Alter von 29 bis 39 Jahren einen Großteil ihrer Arbeit in der Natur. Auf der Suche nach Tierspuren und Fallen kontrollieren sie den Waldboden, machen Schlingfallen unschädlich, wechseln Speicherkarten und Akkus von Wildkameras und dokumentieren ihre Funde mit Fotos und GPS-Daten.
Die Arbeit ist anstrengend und nicht ungefährlich. Oft sind sie acht, neun Stunden unterwegs, teils durch steiles, wegloses Gelände, in dem auch mal angriffslustige Wildschweine auftauchen. Im Winter geht es durch tiefen Schnee, Temperaturen von minus 20 Grad sind dabei keine Seltenheit. Nur mit einer großen Portion Leidenschaft und Überzeugung lässt sich so ein Job durchhalten, denn ein geregelter Alltag oder normales Familienleben sind kaum möglich.
„Jedes Mal, wenn ich nach Hause komme, fragt mein Sohn mich: ‚Warum kommt Mama immer so spät nach Hause und muss so früh wieder los?‘ Dann erkläre ich ihm, dass ich hart arbeite, damit er und seine Freunde, wenn sie erwachsen sind, auch noch wilde Tiere sehen können. Ich hoffe, dass er das versteht!”
Vorurteile überwinden und Naturschutz fördern
Neben der Überwachung des Nationalparks, der Abschreckung von Wilderern und dem Monitoring der Wildtiere sind die Frauen auch für die Aufklärung der Bevölkerung zuständig und spielen hier eine wichtige Schlüsselrolle. Das rein weibliche Rangerinnen-Team bricht nicht nur mit traditionellen Geschlechterrollen und fördert die Geschlechtergerechtigkeit, sondern ist auch für den Naturschutz von Nutzen. „Wir arbeiten auch sorgfältiger als unsere männlichen Kollegen. Seit wir im Team sind, sind die Aufzeichnungen der Patrouillen viel detaillierter“, sagt Qiu Shi.
Frauen bringen andere Fähigkeiten, Erfahrungen und Kenntnisse in die Ranger:innen-Arbeit ein. Sie bauen oft andere Beziehungen zu den Gemeinden, zu Familien und Kindern auf, als es Männern aufgrund kultureller Barrieren möglich ist. So haben Wildhüterinnen leichteren Zugang zu Frauen, die bei ihrer Arbeit auf den Feldern unmittelbar mit Mensch-Wildtier-Konflikten konfrontiert sind. Manchmal geht es auch darum, einfach nur zuzuhören und für die Sorgen und Probleme der Frauen in den Gemeinden ein offenes Ohr zu haben.
Für den Tigerschutz zurück in den Wald
Die meisten jungen Leute in den ländlichen Regionen Chinas verlassen ihre Dörfer und Gemeinden, um in den Städten mit besser bezahlten Jobs ihre Zukunft zu sichern. Qiu Shi erzählt von ihrer Kollegin, die den umgekehrten Weg ging: „Meine Kollegin Bai Xue verließ die Stadt und einen gut bezahlten Job. Sie spürte das Bedürfnis, an ihren ländlichen Heimatort zurückzukehren. Ihr Vater war ebenfalls in der Forstwirtschaft tätig. Erst als sie Wildhüterin wurde, begann sie zu verstehen, warum ihr Vater oft monatelang verschwand, um im Wald zu arbeiten.“
Auch Qiu Shi folgte den Fußstapfen ihres Vaters, der sein Leben dem Wald widmete. „Jede Spur eines wilden Tieres ist ein Nervenkitzel“, beschreibt sie den Reiz des Rangerinnen-Daseins. „Ich bin sehr stolz auf die Arbeit, die ich mache. Wir leben mit dem Wald und betrachten ihn als Begleiter. Ich ermutige meine Familie, auf das harmonische Zusammenleben von Mensch und Natur zu achten und sich bewusst um die Wildtiere zu kümmern.“
Nach einem langen Tag im Wald machen die sechs Frauen sich auf den Rückweg. Um die Müdigkeit zu vertreiben, sprechen sie über Freund:innen und Familie, über die gefundenen Spuren und die Fallen, von denen sie dank ihrer Kontrollen inzwischen immer weniger finden. Erschöpft, aber zufrieden beenden sie den Tag.
Um Anerkennung und echt Gleichbehandlung zu erreichen, ist es für Wildhüterinnen weltweit noch ein langer Weg. Chinas erste rein weibliche Rangerinnen-Patrouille ist ein Zeichen der Hoffnung für mehr Geschlechtergerechtigkeit im Naturschutz und für das Überleben der letzten Amur-Tiger.
- Tiger
- Amur-Region
- Frauen im Naturschutz