*Im Vorfeld der Europawahl hat der WWF Deutschland acht Fragen an die fünf größten deutschen demokratischen Parteien im EU-Parlament gestellt. Angefragt wurden alle Parteien, die mit mindestens fünf Abgeordneten im EU-Parlament vertreten sind und wieder zur EU-Wahl antreten. Aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorbehalte und laufender Verfahren gegen die AfD wurde diese nicht in die Analyse des WWF Deutschland einbezogen. Der Deutsche Naturschutzring (DNR) hat in seiner Rolle als Dachverband eine Analyse der EU-Wahlprogramme veröffentlicht, die die Parteien BSW und AfD mit aufgreift.
Die Europäische Union sollte bis spätestens 2040 klimaneutral werden und dafür schnellstmöglich aus allen fossilen Energieträgern – Kohle, Öl und Gas – aussteigen. Zusätzlich muss die Politik Maßnahmen ergreifen, um unsere Natur zu schützen und wiederherzustellen. Aber passiert das? Im Vorfeld der diesjährigen Europawahl hat der WWF die größten deutschen demokratischen Parteien* gefragt, wie sie es mit Natur-, Umwelt-, und Klimaschutz halten. Hier nun die Ergebnisse des WWF-Europawahl-Checks.
In den vergangenen Jahren sind Extremwetter-Ereignisse auch in Deutschland zur tragischen Normalität geworden. Ereignisse wie die Flutkatastrophe an der Ahr im Jahr 2021 oder die diesjährigen Hochwasser im Saarland (ausgelöst durch mehr als 100 Liter Regen pro Quadratmeter in nur 24 Stunden) machen als direkte Folgen der Klimakrise klar, dass am Einsatz für unseren gemeinsamen Lebensraum kein Weg mehr vorbeiführt.
Die Klimakrise, Naturzerstörung und der rasante Verlust der Artenvielfalt haben gravierende Folgen für Gesundheit, soziale Sicherheit und das Wohlergehen der Menschen. Umwelt- Natur- und Klimaschutz sind für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen zwingend notwendig und nicht nur Teil einer lebenswerten Zukunft, sondern die Voraussetzung dafür – und sollten deshalb auch in der Politik oberste Priorität haben.
Die Europäische Union sollte bis spätestens 2040 klimaneutral werden und dafür schnellstmöglich aus allen fossilen Energieträgern – Kohle, Öl und Gas – aussteigen. Zusätzlich muss die Politik Maßnahmen ergreifen, um unsere Natur zu schützen und wiederherzustellen. Dazu gehören Programme zum Schutz des Bodens sowie die Renaturierung von Flüssen, Feuchtgebieten und Wäldern. Gleichzeitig bedarf es der Weiterentwicklung und Sicherstellung eines nachhaltigen Finanzwesens. Umwelt- und klimaschädliche Subventionen müssen so um- und abgebaut werden, dass mehr Geld in den Klima- und Naturschutz investiert werden kann und dabei ein sozial gerechter Übergang sichergestellt ist.
Die Weichen dafür müssen von der Politik gestellt werden. Aber passiert das? Im Vorfeld der diesjährigen Europawahl hat der WWF die größten deutschen demokratischen Parteien* gefragt, wie sie es mit Natur-, Umwelt-, und Klimaschutz halten.
Hier nun die Ergebnisse des WWF-Europawahl-Checks.
Auf einen Blick
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Der Green Deal
Das wohl wichtigste europäische Projekt der letzten Jahre ist der 2019 durch die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen vorgestellte Green Deal mit seinem Ziel, die Nettoemissionen der Europäischen Union bis 2050 auf null zu reduzieren und als erster Kontinent: klimaneutral zu werden! Um langfristig unseren Wohlstand zu sichern, muss der Green Deal unbedingt fortgeführt und die beschlossenen Maßnahmen dann auch effektiv umgesetzt werden.
Aber wie stehen die Parteien zum Green Deal?
Die SPD, Grüne und die Linke sprechen sich klar dafür aus. Die SPD nennt den Green Deal der EU „eine Ihrer zentralen politischen Aufgaben für die Zukunft”, die Grünen bezeichnen ihn als „die richtige Strategie” und schreiben, dass sie sich nachdrücklich für stärkere EU-Klima- und Umweltvorschriften einsetzen wollen. Die Linke betont in Ihrer Antwort die Notwendigkeit für „deutlich stärkere Umweltvorschriften”.
Auch CDU und CSU haben sich in den vergangenen Jahren für den Green Deal ausgesprochen, äußern seit einigen Monaten allerdings zunehmend Kritik, was sich auch in ihrem Abstimmungsverhalten zeigt. Auf unsere Anfrage antwortet die Union jetzt, dass man „auf innovative Konzepte und auf marktbasierte Instrumente” setzen und den Green Deal „im Sinne einer größeren Wirtschaftsfreundlichkeit weiterentwickeln” wolle.
Die FDP hingegen fordert eine „Regulierungspause” für den Green Deal: „Wir brauchen mehr Wettbewerb, mehr freien Handel und bessere Bedingungen für private Investitionen und Gründungen”, schreibt sie in Ihrer Antwort.
Der Ausstieg aus fossilen Energieträgern
Die Energiewende ist ein entscheidender Hebel im Kampf gegen den Klimawandel. Der WWF fordert deshalb von der EU, bereits bis 2040 Klimaneutralität zu erreichen, um die 1,5-Grad-Grenze und das Pariser Klimaabkommen einzuhalten. Um die schlimmsten Folgen der Klimakrise zu vermeiden, muss die EU sich schnell von fossilen Brennstoffen unabhängig machen.
Aber was fordern die Parteien bei der Reduzierung der Netto-Treibhausgasemissionen und was für den Ausstieg aus fossiler Energie?
Die Linke will die Klimaneutralität bis 2040 im EU-Recht verankern, während SPD und Grüne angeben, die CO2-Emissionen bis dahin zumindest um 90 Prozent reduzieren zu wollen.
Die CDU nennt kein verbindliches Reduktionsziel, beruft sich aber auf die von der Kommission vorgeschlagenen Ziele zur Emissionsreduktion für 2040, die mit 90 Prozent beziffert sind.
Die FDP schreibt in ihrer Antwort, es sei „nicht entscheidend, wo genau wir 2040 bei der Reduktion stehen” und verweist auf den Emissionshandel.
Was den Ausstieg aus einzelnen fossilen Energieträgern betrifft, bejahen die Grünen die Frage nach einem rechtsverbindlichen Ausstieg aus Kohle bis 2030. Bei Erdgas und Erdöl, plädieren sie zwar für einen rechtsverbindlichen Ausstieg, fordern allerdings „weniger strenge Zieltermine“.
Die Linken bejahen die Frage nach „rechtsverbindlichen Zielterminen“ für das Erreichen der Klimaneutralität bis 2040. Im Vordergrund steht für sie eine Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energiequellen um 50 Prozent bis 2023 und 100 Prozent Abdeckung der Stromversorgung durch erneuerbare bis 2035.
CDU/CSU berufen sich auf den gesetzlich verankerten Kohleausstieg, lehnen jedoch einen konkreten Ausstiegstermin bei Erdgas und Erdöl ab.
Die SPD lehnt konkrete Zieltermine für den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen ab, schreibt aber, sie sehe sich dem Ziel, bis 2045 in Deutschland klimaneutral zu sein, „verpflichtet“. Sie koppeln Ausstiegstermine an erhebliche Fördermittel und sehen konkrete Ausstiegstermine allein nicht als wirksam an.
Die FDP lehnt jegliche Zielvorgaben für den Ausstieg aus einzelnen Energieträgern ab.
Der Schutz der Artenvielfalt
Nur 15 Prozent der Lebensräume von Tieren und Pflanzen in Europa befinden sich in einem guten Zustand. Zum Beispiel sind die Populationen von Feldvögeln und Wiesen-Schmetterlingen – beides wichtige Bestäuber von Pflanzen – seit Anfang der 1990er Jahre im Schnitt um über 30 Prozent eingebrochen.
Angesichts der vielen negativen Trends fordert der WWF eine Aufstockung der Investitionen in die Natur auf mindestens 50 Milliarden Euro pro Jahr.
Die braucht es für den Schutz der Natur und die Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme, für den Erhalt und die Erholung der biologischen Artenvielfalt („EU-Biodiversitätsstrategie“) und für die Abmilderung der Folgen der Klimakatastrophe.
Aber was wollen die Parteien?
Die Grünen und die Linke unterstützen unsere Forderung.
Die SPD unterstützt die Investitionserhöhung grundsätzlich, legt sich aber nicht auf eine konkrete Summe fest.
Die CDU bekennt sich grundsätzlich zum Schutz der Biodiversität, stellt allerdings keine Erhöhungen in Aussicht und nennt auch keine verbindlichen Maßnahmen.
Die FDP will keine Erhöhung der Investitionen in die Natur. Sie setzt stattdessen auf Marktanreize wie zum Beispiel Biodiversitätszertifikate.
Lebensmittel und Landwirtschaft
Das aktuelle Lebensmittelsystem gefährdet entlang der gesamten Lieferkette Ökosysteme massiv und hinterlässt einen immensen ökologischen Fußabdruck. In seiner jetzigen Ausgestaltung schadet es so unserer Gesundheit, der Umwelt und am Ende auch der Landwirtschaft selbst. Der WWF fordert daher eine Transformation des aktuellen Lebensmittelsystems der EU hin zu mehr Nachhaltigkeit.
Aber machen die Parteien da mit? In den Antworten auf unsere Fragen lassen sich hier zwei Lager erkennen.
Grüne und Linke unterstützen einen EU-weiten Rahmen für nachhaltige Ernährungssysteme, die im Einklang mit der Natur stehen und betonen die Wichtigkeit regionaler Erzeugung, wie den heimischen Leguminosenanbau, Verarbeitung und Wertschöpfung. Die SPD setzt sich zwar keine verbindlichen quantifizierbaren Ziele, sieht aber grundsätzlich die Notwendigkeit, durch die Transformation von Lieferketten Ernährungssysteme im Rahmen der planetaren Grenzen zu etablieren. Dabei seien auch Lebensmittelindustrie und Verbraucher:innen in der Verantwortung.
Die SPD sieht dringend notwendige Reformen, um die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) an die Ziele des Green Deals anzupassen. Sie nennt insbesondere eine Entlohnung kleinerer und mittelgroße Landwirtschaftsbetriebe für umweltverträgliches Handeln und ein Anwachsen des Flächenanteils der ökologischen Landwirtschaft auf 25 Prozent Flächenanteil in Europa als wichtige Punkte. Letzteres möchten auch die Grünen. Wie auch die Linke fordern sie außerdem eine Reform der GAP entlang ökologischer und gemeinwohlorientierter Kriterien.
CDU/CSU und FDP hingegen setzen auf Marktanreize statt Regulierung und stellen Maßnahmen zur Ertragssicherung der Landwirtschaft in den Vordergrund.
CDU/CSU fordern außerdem eine „Rückbesinnung“ auf das Subsidiaritätsprinzip – will also das Problem an die einzelnen Mitgliedsstaaten weiterreichen. „Überzogene Regeln“ für die Landwirtschaft lehnt die Union ab und fordert „eine starke ökonomische Säule“ für die Gemeinsame Agrarpolitik. Die Förderung der Landwirtschaft hat für CSU/CDU Priorität, Klimaschutz und Biodiversität treten hinter wirtschaftlichen Interessen zurück.
Die FDP plädiert für eine Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen durch Bürokratieabbau, die Rücknahme von verpflichtenden Flächenstilllegungen und die Schaffung gleicher Standards und Produktionsbedingungen in allen EU-Ländern. Sie fordert die gezieltere Förderung von Innovationen und Investitionen und setzt auf „Technologien (…), mit denen der integrierte Naturschutz gestärkt wird, ohne dass Erträge eingebüßt werden müssen.”
Umweltschädliche Subventionen
Mit ihren Beiträgen für den EU-Haushalt lenken die EU-Mitgliedstaaten jährlich zwischen 34 und 48 Milliarden Euro an EU-Subventionen in naturschädliche Aktivitäten – in allen wichtigen Wirtschaftssektoren in Europa. Der größte Teil geht in die Landwirtschaft, aber auch z.B. in den Verkehrs- und Wassersektor. Für eine zukunftsfähige und resiliente Gesellschaft fordert der WWF die EU-Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, diese Subvention angesichts der Klima- und Naturkrise um- und abzubauen.
Was planen die Parteien?
Die Grünen und die Linke bezeichnen den Abbau natur- und umweltschädlicher Subventionen als zentrales Anliegen. Mit den dadurch freiwerdenden Mitteln soll die Transformation sozial gestaltet werden. Beide Parteien schlagen unter anderem die Einführung eines Klimagelds und die Stärkung des Klimasozialfonds vor, um sozial Benachteiligte in der Klimakrise zu unterstützen.
Die SPD unterstützt den Abbau von klimaschädlichen Subventionen – „sofern dies sozialverträglich und wirtschaftsverträglich stattfinden kann.”
CDU/CSU antwortet, Subventionen, die dem Umweltschutz zuwiderlaufen, überprüfen und gegebenenfalls anpassen zu wollen – „sofern für diese Subventionen keine anderen Rechtfertigungsgründe vorliegen.”
Die FDP setzt auch in dieser Frage auf den EU-Emissionshandel und möchte diesen schnellstmöglich auf alle Sektoren und geographisch ausweiten, um Anreize für den ökologischen Wandel zu schaffen. Eine konkrete Umlenkung der Mittel wird nicht genannt.
Demokratie und Freiheit sind keine Selbstverständlichkeit
Unsere Demokratie ist kostbar und darf nicht als selbstverständlich angesehen werden. Jede Stimme zählt, jede Wahl beeinflusst unsere Zukunft und die Zukunft unseres lebendigen Planeten. Bei der Europawahl am 9. Juni 2024 ist es wichtiger denn je, dass Sie Ihre Stimme nutzen.