„Es ist der fünfte Bericht in einer Reihe von TRAFFIC-Berichten, die bis ins Jahr 2010 zurückreichen. Die Berichte sind die wichtigste Referenz für den Tigerhandel, da sie eine umfassende Bewertung der weltweiten Beschlagnahmungen von Tigern, Tigerteilen und -produkten bieten. Der diesjährige Bericht stützt sich auf die bisher umfangreichste Datenbank mit Tigerbeschlagnahmungen von Januar 2000 bis Juni 2022 in 50 Ländern und Gebieten weltweit.“
Heather Sohl ist Tigerhandels-Expertin der WWF-Tigerschutz-Initiative “Tigers Alive” und Mitglied im Vorstand von TRAFFIC. Im Interview erklärt sie, was der Bericht „Skin and Bones“ für den Tigerschutz bedeutet.
Was ist der „Skin and Bones“-Bericht und warum ist er so wichtig?
Wie kommt die Zahl der beschlagnahmten Tiger zustande?
„Jedes einzelne Tigerteil – vom Zahn bis zum Schwanz – wird illegal gehandelt. Der TRAFFIC-Bericht schätzt mithilfe jedes beschlagnahmten Teils, wie viele Tiger insgesamt betroffen gewesen sein könnten.
Von den schätzungsweise 3.377 beschlagnahmten Tigern waren fast ein Drittel ganze Tiger (insgesamt 1.419 Tiger). Wenn man auch die Anzahl der verschiedenen beschlagnahmten Tigerteile, – darunter 1.313 ganze Felle und mehr als 2,9 Tonnen Tigerknochen – bewertet, ergibt sich eine Mindestanzahl von 3.377 Tigern.
Das ist natürlich aus mehreren Gründen schwierig. Wenn die Daten beispielsweise fünf Tigerpfoten ausweisen, könnten diese von mindestens zwei Tigern stammen, aber auch von fünf Tigern. Die Unterscheidung zwischen Tiger- und anderen Großkatzenteilen ist ebenfalls schwierig, da sich Knochen, Krallen und Zähne von Großkatzen sehr ähnlich sind. Um eine Überschätzung der Situation zu vermeiden, gibt TRAFFIC das Minimum an.
Das bedeutet, dass die tatsächliche Zahl viel, viel höher sein könnte, und wir vermuten, dass sie es auch ist. Da es sich hier aber um illegalen Handel handelt, der nur selten in offiziellen Berichten dokumentiert wird, ist diese Zahl nur ein Bruchteil dessen, was tatsächlich im Umlauf ist.“
Was hat sich seit dem ersten Bericht von 2010 verändert?
„In jedem Bericht konnte TRAFFIC mehr Daten sammeln und diese auch auf neue, umfassende Weise analysieren. Mehr Nichtregierungsorganisationen sammeln Informationen und auch mehr Regierungen stellen Daten zur Verfügung. Während sich der erste Bericht nur auf die Länder des Verbreitungsgebiets von Tigern konzentrierte, ist TRAFFIC nun in der Lage, eine globale Analyse der Beschlagnahmungen von Tigern zu erstellen.
Das bedeutet, dass wir ein besseres Verständnis der Beschlagnahmungen von Tigern haben. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass wir mit den Beschlagnahmungen nur einen Teil des Tigerhandels erfassen können. Wenn die Zahl der Beschlagnahmungen zunimmt, kann das sehr wohl eine Zunahme des Tigerhandels bedeuten. Es kann aber auch bedeuten, dass die Strafverfolgungsmaßnahmen besser geworden sind.“
Was ist der größte Unterschied zwischen dem ersten und dem aktuellen Bericht?
„Einer der größten Unterschiede zwischen dem ersten und dem neuesten Bericht ist die Bedeutung von Tigern in Gefangenschaft. Seit dem Jahr 2000 wurde bei mindestens 744 Tigern angenommen, dass sie aus bestätigten oder vermuteten Quellen in Gefangenschaft stammen. Auch der Anteil der Vorfälle, bei denen ganze Tiger aus Gefangenschaft beschlagnahmt wurden, ist im Laufe der Jahre gestiegen – von neun Prozent im Jahr 2005 auf mehr als 50 Prozent in den Jahren 2018 und 2019.
Damals, im Jahr 2000, gab es weniger Tiger in Gefangenschaft und weniger Tigerfarmen. Heute gibt es mehr als 8.000 Tiger in über 300 Einrichtungen in ganz Asien, wobei die meisten, etwa 6.000, in China leben, gefolgt von Thailand, Laos und Vietnam. Zum Vergleich: In freier Wildbahn gibt es nur noch etwa 4.500 Tiger.
Das Problem besteht darin, dass die Tigerfarmen die Menge des Handels erhöhen. Potentielle Kund:innen sehen das und interessieren sich dafür, weil sie das Gefühl haben, es sei gesellschaftlich akzeptabel und frei verfügbar. Kombiniert man dies mit der Tatsache, dass die Verbraucher:innen Umfragen zufolge wilde Tiger bevorzugen – vor allem bei Arzneimitteln, weil sie glauben, dass diese wirksamer sind –, wird dies die Wilderei in der Natur noch weiter fördern.“
Wissen die Nutzer:innen von Tigerprodukten nichts von den negativen Folgen ihrer Nachfrage?
„Aus einigen Berichten geht hervor, dass die Verbraucher tatsächlich nicht wissen, wie es um die Tiger in freier Wildbahn bestellt ist. Sie glauben, dass es noch viel mehr davon gibt. Einige Umfragen haben aber auch gezeigt, dass die Verbraucher:innen kein wirkliches Mitgefühl für die Notlage des Tigers haben. Sie haben das Gefühl, dass Tiger weit weg von ihnen sind und sie sehen keinen Bezug zu ihrem eigenen Leben.“
Wie können Regierungen besser gegen den Handel vorgehen?
„Ein wichtiger Ansatz ist die Stärkung der Strafverfolgungsbehörden und die Verbesserung der Techniken zum Aufspüren, Verhaften und Verfolgen der Täter:innen. Wir haben heute bessere Möglichkeiten, Daten zu sammeln und zu analysieren und Beweise zu sichern. Zum Beispiel durch den Einsatz von DNA-Forensik und die Untersuchung von Finanzströmen, um Kriminelle vor Ort bis ins Zentrum ihres Verbrechernetzes zu verfolgen.
Die Strafverfolgungsbeamt:innen müssen gut ausgebildet und motiviert sein, um gegen Wildtierkriminalität vorzugehen. Ebenso wichtig ist ein starker politischer Wille, den nationalen und grenzüberschreitenden Strafverfolgungsbemühungen Priorität einzuräumen und in sie zu investieren. Der Handel mit Tigern sollte als schweres organisiertes Verbrechen behandelt werden, wie der Menschen-, Drogen- und Waffenhandel."
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