Nur fünf Monate im Jahr ist die abgelegene Bergwelt Nagaland im Nordwesten Myanmars zugänglich. Die verbleibende Zeit wird Nagaland vom Monsunregen überschwemmt oder leidet an den Folgen. Erdrutsche führen zu unpassierbaren Straßen. Diese fast unberührte Natur ist Lebensraum für die letzten Tiger Myanmars.

Indochinesischer Tiger © Anton Vorauer / WWF
Indochinesischer Tiger © Anton Vorauer / WWF

Nagaland wurde während der Kolonialzeit auf zwei Länder aufgeteilt: Indien und Myanmar. Die Bevölkerung im burmesischen Teil lebt heute weitgehend isoliert. Die Infrastruktur ist unterentwickelt: die Stromversorgung unzuverlässig, Mobilfunksignale sind rar, Internet gibt es nicht, und der Zugang zu Basisdienstleistungen wie Gesundheitsversorgung erfordert oft eine mehrtägige Reise.

Aufgrund dieser Abgeschiedenheit und einer eigenen Naga-Verwaltung sind traditionelle Bräuche und die Vielfalt an lokalen Sprachen weitgehend erhalten. Nagaland ist nicht nur kulturell sehr bedeutsam, sondern auch wichtig für den Erhalt der biologischen Vielfalt. Hier leben neben Tigern auch weitere bedrohte Arten wie asiatische Elefanten, Leoparden und asiatische Wildhunde.

Gemeinsam für die Tiger in Nagaland

Margaret und Su Su, Programmbeauftragte des WWF Myanmar für den Schutz von Wildtieren, gehören zu dem Team, das Anfang 2024 die beschwerliche dreitägige Reise mit Flugzeug, Auto und dem Motorrad, durch zahlreiche Kontrollposten, von Yangon bis ins entlegene nördliche Nagaland unternahm.

Der Grund ihrer Reise war der Start eines Projekts zum Schutz der Tiger und ihrer Beutetiere. Das nördliche Nagaland mit seiner immensen biologischen Vielfalt und der Nähe zum Hukaung-Tigerreservat bietet eine einzigartige Möglichkeit, die faszinierenden Raubkatzen gemeinsam mit lokalen Organisationen und Gemeinden zu schützen. Erst 2023 bestätigte die lokale Naturschutzorganisation N-Ca, dass sich in dem Gebiet tatsächlich noch Tiger aufhalten. „Das war ein wichtiger Meilenstein“, erklärt Su Su.

Wildtierzählungen in dichten Wäldern

Nagaland ist schwer erreichbar © WWF Myanmar
Nagaland ist schwer erreichbar © WWF Myanmar

„Seit 2021 befindet sich das Gebiet in einem Schutzvakuum, sodass wir nun versuchen müssen, ein klares Bild der aktuellen Lage zu bekommen. Wir wissen, dass die Tiger innerhalb von fünf bis zehn Jahren aus dieser Region verschwinden könnten, wenn wir nicht aktiv werden“, so Su Su weiter.

Charakteristisch für Nagaland sind steile Berge, dichte Wälder und reißende Flüsse. Das erschwert nicht nur Reisen in die Region, sondern gestaltet auch die Zählung von Tierpopulationen schwierig. „eDNA-Erhebungen in Nagaland helfen uns, mehr über die Gebiete mit hohem Tigerschutz-Potenzial zu erfahren.

Das südliche Untersuchungsgebiet liegt nahe des Htamanthi-Wildlife-Sanctuary, wo ebenfalls viele Tiger vorkommen“, sagt Su Su. Im November 2024 werden die lokale NGO und Freiwillige aus den Gemeinden weitere Kamerafallen aufstellen. Ohne die Zusammenarbeit mit der Tangshan-Bevölkerung, einer tibeto-burmesischen Volksgruppe, wäre Naturschutzarbeit vor Ort nicht möglich.

Natur und Kultur in Gefahr

Die Naga-Bevölkerung hat eine tiefe kulturelle Verbindung zu den Wäldern und der Tierwelt. Obwohl viele Tangshang heute christlich oder buddhistisch sind, bestehen animistische Traditionen fort. Der Tiger spielt eine zentrale Rolle in Mythen und Legenden. „Die Geister unserer Vorfahren wohnen in den Tigern“, erklärt Projektleiter Nwan, der für die lokale Organisation N-Ca arbeitet. „Wenn sie uns im Traum besuchen, kommen sie in Form eines Tigers.“ Diese Verehrung wurde von Generation zu Generation weitergegeben und durch hölzerne Tigertotems symbolisiert, die in vielen Tangshan-Dörfern zu finden sind und Stärke und Schutz symbolisieren. Wenn sich ein Tangshan-Bewohner im Wald verirrt, kann er um Hilfe bitten und wird von einem Tiger nach Hause geführt.

Tigertotem in Nagaland © WWF Myanmar
Tigertotem in Nagaland © WWF Myanmar

Wie viele Gemeinden in abgelegenen Gebieten kämpfen auch die Tangshan um ihre eng mit der Natur verbundenen Traditionen. Kultur, Jagd, Heilpflanzen, natürliche Baumaterialien und traditionelle Anbaumethoden haben ein umfassendes Bewusstsein für das Ökosystem geschaffen. Seit Jahrtausenden leben die Tangshang im Gleichgewicht mit der Natur. Doch in den letzten Jahren haben äußere Einflüsse dieses Gleichgewicht gestört. In ganz Myanmar hat die derzeitige Krise zu einem Anstieg der Wilderei und des illegalen Handels mit Wildtieren geführt.

Die Degradierung der Lebensräume stieg an, da große Gebiete, insbesondere im südlichen Nagaland, für die landwirtschaftliche Nutzung umgewandelt wurden. Illegale Jagd auf Wildtiere und unregulierter Handel nahmen stark zu, da es keine Strafverfolgung gibt und die Region strategisch günstig für den Handel mit Indien liegt. Das alles gefährdet die Tiger der Region, da ihre Beutetiere stark bejagt werden.

Lokales Engagement für die Raubkatzen

„In der ersten Phase des Projekts geht es darum, den Zustand der Natur und die Lebenswelt der Gemeinden zu erfassen“, sagt Margaret. „Wir führten viele Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern der Gemeinden, um Bedürfnisse und Herausforderungen zu verstehen. Bisher waren alle sehr aufgeschlossen und vor allem Frauen sind sehr engagiert, junge Menschen für den Naturschutz zu gewinnen.“

Dank zwölf lokaler Gemeinden wissen wir heute, dass Tiger in der Region noch existieren. Die freiwilligen Helferinnen und Helfer waren begeistert, als die von ihnen aufgestellten Kamerafallen den Fotobeweis lieferten.

„Wir konzentrieren uns nun darauf, die Zusammenarbeit mit den Organisationen und Gemeinden vor Ort auszubauen und zu stärken. Der nächste Schritt besteht darin, sie in die Lage zu versetzen, Tiger zu schützen.“ Wichtige Aspekte sind dabei alternative Einkommensquellen, um den Druck auf Wildtiere und Wälder zu verringern. Nur so haben die Tiger im Nagaland eine Zukunft.

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