Etwa vier Wochen zuvor ist Saw Kyaw Naing Soe zusammen mit 15 weiteren Ortsbewohnern auf dem Weg in die nahe gelegenen Wälder. Mit Mopeds und Lastwagen transportieren sie Spaten, Hacken und säckeweise Salz. Es ist heiß in diesem April. Als die Straße endet, schultern sie Werkzeug und Salz. Ab jetzt geht es zu Fuß weiter. Der Hang ist steil, doch das ist kein Problem für die Männer, die in den schwierigen Waldgebieten hier zu Hause sind. Einzig ihre schwere Last zwingt sie ein paar Mal zum Ausruhen, bevor sie ihr Ziel erreichen: ein unscheinbares Waldstück in völliger Abgeschiedenheit. Saw und die anderen machen sich an die Arbeit.
Es ist sehr früh am Morgen im südostasiatischen Myanmar, als in der kleinen Ortschaft nahe des Waldes die Erde zu beben beginnt. Saw Kyaw Naing Soe liegt noch im Bett. Für einen Moment öffnet er seine Augen in der Dunkelheit und lauscht dem Dröhnen. Kurz bevor er wieder einschläft, murmelt er: „Die Elefanten sind zurück.“
Neue Nachbarn
Saws Heimatort ist brandneu. Er wurde 2015 aus dem Boden gestampft, um Betroffenen des Bürgerkrieges in Myanmar ein neues Zuhause zu schaffen. Bei der Wahl des Landstriches für die neue Siedlung übersah man jedoch eine entscheidende Tatsache: Die Gemeinde entstand auf einer für Elefanten und andere Wildtiere wichtigen Salzlecke. „Die natürlichen Salzablagerungen im Boden haben wir gar nicht bedacht“, sagt Gemeindeverwalter Saw Htay Myint Aung betroffen. „Und dann war es zu spät, der Bau war schon zu weit fortgeschritten.“
Ganze Herden von Elefanten kamen aus fernen Wäldern – auf einem Weg, der wahrscheinlich bereits von Generationen vor ihnen beschritten wurde und auf der Suche nach für sie wichtigen Mineralien, die sich nun plötzlich mitten in einer Kleinstadt befanden.
Der Marsch der Elefanten
Anfänglich betrachtete man die riesigen Besucher lediglich als wiederkehrende Unannehmlichkeit. „Wir rieten der Bevölkerung, im Haus zu bleiben, wenn sie kommen", so der Gemeindeverwalter. Doch die Siedlung wuchs, genau wie die Landwirtschaft um sie herum. Die Elefanten durchquerten nun regelmäßig für sie unbekanntes, von Menschen geschaffenes Gelände – mit verheerenden Folgen. Denn wo die Dickhäuter zwangsläufig Verwüstung hinterließen, rächten sich die Ortsbewohner, um ihre Felder und Familien zu schützen.
Wie soll man den Mensch-Elefanten-Konflikt lösen?
Zweimal im Jahr kamen die Elefanten, erzählen Einheimische. Zuerst Anfang Juni, zu Beginn der Monsunzeit in Myanmar und dann gegen Ende des Regens. Nächtelang verweilten die Herden an der Salzlecke, um sich tagsüber tief in die umliegenden Wälder zurückzuziehen. Verzweifelt suchte die Gemeinde nach einer Lösung für den Konflikt zwischen ihren Bewohnern und den ungestümen Besuchern und bat schließlich die örtlichen Behörden um Hilfe.
Die Herde umleiten
Amy Maling vom WWF-Myanmar ist eine der Expertinnen und Experten, die zur Lösungsfindung herangezogen wurden. Sie waren sich einig: Man wird das natürliche Verhalten der Elefanten kaum ändern können und darf den Pflanzenfressern den Zugang zu den notwendigen zusätzlichen Mineralien auch nicht durch Zäune oder Abschreckung verwehren. Eine etwas eigenwillige Idee kam auf: "Was, wenn wir die Elefanten zu einer neuen, menschengemachten Salzlecke umleiten könnten?" Und so machten sich Saw und die anderen an diesem heißen Aprilmorgen im Jahr 2018 an die Arbeit.
Funktionieren künstlich angelegte Salzlecken?
Graben an Graben füllten die Männer mit Salz und bedeckten sie anschließend mit Erde, um nebeneinander 40 künstliche Salzlecken zu schaffen. Ganze zwei Wochen waren sie damit beschäftigt – in einem Waldschutzgebiet etwa zehn Kilometer von ihrem Heimatort entfernt. Doch würde der Plan aufgehen? Würden die Elefanten wissen, wohin sie gehen müssen?
Der Juni-Regen kam und mit ihm, wie auf ein Stichwort, die Elefanten. Sie waren wieder da, die Erde bebte wieder unter ihren Füßen. Doch im Laufe der Tage hörten die Dorfbewohner die gigantischen Besucher immer seltener. Bis es schließlich ganz still blieb. Der letzte Monsunregen kam und ging ohne ein Anzeichen der Elefanten.
Clevere Elefanten
Die Herden hatten die künstlichen Salzlecken bei ihrer Rückkehr in die Wälder entdeckt und mieden von nun an die Siedlung. Aufnahmen aus Kamerafallen bei den neuen Salzlecken zeigen seither beeindruckende Szenen: Riesige Ansammlungen von Elefanten wirbeln den salzigen Boden auf, mit ihnen eine Reihe anderer Wildtiere wie Stachelschweine, Wildschweine, Muntjak-Hirsche und seltene Waldziegen.
Noch lange nicht in Sicherheit
Saws Heimatort hat natürlich einen Namen. Ihn zu nennen jedoch, bedeutet für die Elefanten eine tödliche Gefahr. Wilderer könnten ihr Verhaltensmuster ausnutzen. An der Salzlecke würden die Dickhäuter und andere Wildtiere dann zur leichten Beute. Der illegale Wildtierhandel ist ein großes Problem in Myanmar. Die Wilderei droht die wertvollen Bestände wilder Asiatischer Elefanten auszulöschen. Und viele weitere Arten sehen sich einem ähnlichen Schicksal gegenüber, wenn sie nicht angemessen geschützt werden.
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