Mühsam erklimmt Dorje Gurung einen steilen, steinigen Pfad auf fast 4.000 Metern Höhe mitten im Himalaja. Den Kopf gesenkt, sucht er nach Spuren des heiligen Tieres seiner Berge. Dieser Teil der Welt bekommt die Klimakrise deutlich zu spüren. Dreimal schneller als der Durchschnitt erwärmen sich die Gebirge des Himalajas. Dorje Gurung gehört dem Volk der Sherpa an und schützt mit vielen weiteren Freiwilligen – obwohl selbst stark betroffen – was in diesen Zeiten besonderen Schutzes bedarf: Den Schneeleoparden.
Leben im entlegensten Himalaja
„Als ich sieben Jahre alt war, riss ein Schneeleopard vor meinen Augen ein Schaf der Herde, die ich hüten sollte. Ich erinnere mich gut, wie schlimm es für mich war, das tote Schaf zurück in mein Dorf zu tragen.“
Heute, zwanzig Jahre später erforscht Dorje Gurung die versteckt lebenden Katzen zu ihrem Schutz. Seine Heimat liegt abgeschieden inmitten hoher Gebirgsketten an der tibetanischen Grenze Nepals. Hier gibt es keine Straßen, keinen Strom. Kaum ein anderes Gebiet der Erde ist in dieser Höhe noch bewohnt.
Der dritte Pol
Dolpo heißt die Region, die wie weite Teile Nepals heute gleichzeitig unter zu viel und unter zu wenig Wasser leidet. Denn der Himalaja gilt als „dritter Pol der Erde“, so gewaltig sind seine Gletscher. Diese schmelzen schneller denn je.
Berstende Gletscherseen, Erdrutsche, Lawinen und Sturzfluten von Eiswasser bedrohen in der Folge Dörfer, Felder, Menschenleben. Auch einen Schneeleoparden hat man schon unter Erdmassen begraben gefunden.
Zugleich lassen steigende Temperaturen und fehlender Regen Quellen und Grasländer der ohnehin unwirtlichen Gegend austrocknen. Die Weideflächen fehlen nicht nur dem Nutzvieh der Menschen, die hier am Existenzminimum leben, sondern auch den Wildschafen und anderen Beutetieren der Schneeleoparden.
Schneeleopard: Verlierer der Klimakrise
Schneeleoparden gehören zu den seltensten Katzen unseres Planeten und sind bis heute kaum erforscht. Ihre Reviere liegen in Höhen, in denen keine andere Großkatze überleben könnte. „Die Menschen hier betrachten die Schneeleoparden als Beschützer ihrer Gottheiten und würden ihnen eigentlich nie schaden“, erzählt der 27-jährige Sherpa Dorje Gurung. „Doch die Wut ist groß, wenn der Riss eines Nutztieres die ganze Familie gefährdet.“
Derartige Mensch-Wildtier-Konflikte sind nicht neu, werden aber durch die Klimakrise entscheidend verschärft. Denn fehlt dem Schneeleoparden die Beute, droht er nicht nur zu verhungern, sondern vermehrt auf Nutzvieh auszuweichen. Die Menschen in seinem Lebensraum wiederum sind von der Erwärmung des Himalajas so hart getroffen, dass sie kaum noch Verluste ertragen können. Nicht selten sind Giftköder oder Schlagfallen ihre Lösung, welche die ohnehin gefährdeten Raubkatzen noch dichter an den Rand des Aussterbens bringen. Dennoch oder genau deshalb engagieren sich viele wie Dorje Gurung für den Schutz der Schneeleoparden.
Citizen Science: Forschung vor Ort
„Zwischen uns und den Standorten für Kamerafallen liegen Bergkämme, tiefe Schluchten und Flüsse. Mit Ausrüstung und schwerem Gepäck wandern wir tagelang durch das Gebirge und zelten im Freien.“ Seine Einsätze zum Schutz des Schneeleoparden betrachtet Dorje Gurung trotz Anstrengung als wertvolle Erfahrung. „Während der letzten Exkursion erschwerten uns Stürme das Überqueren des Passes. Und später brauchten ein Freund und ich an einer Stelle über eine Stunde, um eine Kamerafalle bei Eiseskälte an einer Klippe anzubringen.“
Citizen Science – Bürgerwissenschaft – nennen sich Projekte wie diese, in welchen sich Laien an Forschung beteiligen. Insgesamt hundert Mitglieder indigener Sherpa-Gemeinden unterstützen in der Region Dolpo in und um den Shey-Phoksundo-Nationalpark das Biomonitoring der extrem scheuen Schneeleoparden.
Kratzspuren und ein langes Heulen
Die Sherpa sind ein sehr naturverbundenes Volk im Osten Nepals und im angrenzenden China und Indien. Sie kennen ihr unwegsames Terrain genau und sind das ganze Jahr vor Ort, auch in den schneereichen Wintern.
Abgesehen vom Aufstellen von Kamerafallen, das der WWF meist begleitet, ist die Hauptaufgabe der Freiwilligen eine Feldforschung, die der WWF und die nepalesische Regierung ohne sie nicht leisten könnten. Ausgestattet mit GPS-Geräten zeichnen sie akribisch jedes Anzeichen von Schneeleoparden auf: Sichtungen, Pfotenabdrücke, Kratzspuren, Kot und die typischen, langgezogen, heulenden Rufe der hell gefleckten Räuber.
Wege aus der Krise: Ausrüstung, Ausbildung, Aufklärung
Den Gemeindemitgliedern der Sherpa kommt eine Schlüsselrolle beim Monitoring der Schneeleoparden in Nepal zu. Das macht sie nicht nur zu Verbündeten der gefährdeten Katzen und schafft Bewusstsein für ihren Schutz. Es liefert auch wichtige Daten, um zum Beispiel Bewegungsmuster und Reviere zu kennen und das Vieh dort nicht weiden zu lassen.
Der WWF stellt GPS-Geräte, Ferngläser, Kameras und weitere notwendige Ausrüstung, schult die freiwilligen Helfer:innen und bezahlt ihnen Aufwandsentschädigungen – auch als alternative Einkommensquelle in der gebeutelten Region.
Außerdem entschärfen Schneeleoparden-sichere Nutztiergehege, Hilfe beim Abschluss von Versicherungen für gerissenes Vieh und gezielte Bildungsprogramme den Konflikt zwischen Mensch und Schneeleopard.
Klima schützen. Leben retten. Im Himalaja helfen.
Doch dieser Konflikt bleibt nicht das einzige Problem. Durch die Erderhitzung verliert der Schneeleopard seinen Lebensraum oberhalb der Baumgrenze, da diese sich in immer höhere Lagen verschiebt. „In dieser Zeit der extremen Zerstörung wird die nächste Generation der Natur eine Menge Aufmerksamkeit und Liebe widmen müssen.“ Sherpa Dorje Gurung möchte junge Menschen für den Naturschutz begeistern – und spricht bereits heute aus Erfahrung.
Die Gletscher und Flüsse seiner Heimat werden als „Wassertürme Asiens“ bezeichnet und sind lebenswichtige Süßwasserquelle für mehr als 400 Millionen Menschen in ganz Asien. Wir müssen Ressourcen wie diese erhalten und Lebensräume wie die des Schneeleoparden bewahren. Mensch und Natur im Himalaja brauchen dringend Unterstützung, um sich an die Klimaveränderungen anzupassen und die notwendigen Pläne dafür zu entwickeln.
Um es mit Dorje Gurung zu sagen: „Nichts ist möglich ohne die Natur.“ Unterstützen Sie Dorje und helfen Sie uns beim Klimaschutz und der Rettung der letzten Schneeleoparden.