Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Obere Isar ein typisch alpiner Wildfluss, mit Hochwasserphasen vor allem im Frühsommer, ausgelöst von der Schneeschmelze und sommerlichen Niederschlagsspitzen (1. Phase). Ab Dezember 1923 wurde das gesamte Isarwasser am Krüner Stauwehr zum Walchenseekraftwerk abgeleitet (2. Phase). Nur an etwa 50 Tagen im Jahr, wenn die Wassermenge 25 m³/s überschritt, floss ein Teil des Wassers auch ins Isarbett. Dies führte dazu, dass die rund 17 Kilometer lange Isarstrecke unterhalb des Wehrs großteils trockenfiel. Das Isarbett mit seinen ausgedehnten, fast vegetationslosen Schotterflächen wurde zur „Flussleiche“. Ab einer Wassermenge von etwa 40 m³/s schlossen die Betreiber den Ausleitungskanal zum Kraftwerk, um Schäden zu vermeiden. Nur dann entließ man das Hochwasser und den Schotter ins Isarbett. Aus naturschutzfachlichen Gründen leiten die Kraftwerksbetreiber seit 1990 eine Mindestwassermenge von 4,8 m³/s (Sommer) bzw. 3 m³/s (Winter) in das Isarbett ein (3. Phase).
Die Auenvegetation verschwindet und die Isar ist auf ein Hauptgerinne festgelegt – dies ist das Fazit der vier Wissenschaftler:innen, Isabell Juszczyk, Gregory Egger, Norbert Müller und Michael Reich. Sie haben die Entwicklung der Auenvegetation an der oberen Isar zwischen Krün und Sylvensteinspeicher im Zeitraum von 1858 bis 2016 genauer untersucht.
Die letzten „Alpinen Flüsse“
Die letzte große alpine Wildflusslandschaft Deutschlands ist vom Verschwinden bedroht. Sie erstreckt sich in den Nördlichen Kalkalpen, am Oberlauf der Isar, zwischen Krüner Wehr und Sylvensteinspeicher. Hier ist der seltene Lebensraum der „Alpinen Flüsse“ noch zu finden, der über die FFH-Richtlinie unter besonderen Schutz gestellt wurde. Laut EU-Recht darf sich der Zustand der ökologisch wertvollen Auen nicht verschlechtern.
Die Autor:innen der Studie kommen zu dem Schluss: „Vor dem Hintergrund der sehr hohen ökologischen Sensibilität und naturschutzfachlichen Bedeutung des Gebietes muss daher dringend geprüft werden, wie eine nachhaltige Bewirtschaftung des Krüner Wehres aussehen könnte, oder ob die zukünftige wasser- und energiewirtschaftliche Nutzung grundsätzlich infrage gestellt werden muss“. Nachfolgend finden Sie Auszüge aus der wissenschaftlichen Arbeit, die im Auenmagazin 17/2020 publiziert wurde.
Wasserbauliche Eingriffe
Auswirkungen der Eingriffe
In der Studie untersuchten die Wissenschaftler:innen die Veränderung der Auenvegetation an zwei Abschnitten:
- Der erste (Abschnitt 3, siehe Luftbild) liegt etwa einen Kilometer oberhalb der Rissbachmündung. Die rund 73 Hektar große Auenfläche verbuscht aufgrund der Isarausleitung am Krüner Wehr. Die Isar wird dort von Wäldern und Büschen quasi ins Korsett genommen. Offene Kiesflächen, wichtige Lebensräume für typische und teils schon sehr seltene Wildflussbewohner, gehen verloren. Diese Verbuschung der Aue begann in den näher am Wehr gelegenen Abschnitten 1 und 2 bereits früher und verlief dort auch schneller als im flussabwärts gelegenen Abschnitt 3.
- Der zweite (Abschnitt 4) liegt etwa einen Kilometer unterhalb der Einmündung des Rissbachs. Hier ist nach wie vor eine Auenvegetation verbreitet, wie sie für alpine Wildflüsse typisch ist. Dies liegt am Einfluss des einmündenden Rissbachs. Zwar ist auch sein Flussbett an vielen Tagen des Jahres komplett trocken, da das Wasser des Rissbachs seit 1949 (bei Niedrig- und Mittelwasser) vollständig zum Walchensee abgeleitet wird. Dennoch bringen häufige Hochwasserspitzen ausreichend Schotter, Kies und Dynamik, um die charakteristische Auenvegetation zu erhalten.
In nachfolgender Grafik ist zu sehen, wie sich die Vegetation im Abschnitt 3 oberhalb der Rissbachmündung zwischen 1858 und 2016 entwickelt hat: Zunächst nahmen durch die Ableitung am Krüner Wehr die Anteile trockenheitsliebender Magerrasen und Schneeheide-Kiefernwälder deutlich zu und lückige Weidengebüsche weiteten sich stark aus (Phase 2). Diesen Trend konnte auch die partielle Geschiebezuführung ab 1955 nicht aufhalten. Mit Abgabe einer Restwassermenge ab 1990 kam dichtes Weidengebüsch hinzu, vor allem entlang kleinerer Wasserarme (Phase 3). Dieses stabilisiert den Flussverlauf und legt ihn zunehmend auf ein Hauptgerinne fest.
Der WWF Deutschland begleitet den Prozess der Behörden zur Neuvergabe der Nutzungsrechte fachlich im Walchensee-Dialog, einem Bündnis aus verschiedenen Naturschutzorganisationen und Gruppierungen.
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