Bayern ist ein Wasserland. Gesegnet mit den niederschlagsreichen Alpen und Mittelgebirgen entstand hier über geologische Zeiträume ein rund 100.000 Kilometer langes Gewässernetz – wichtige Lebensadern für Mensch und Natur. Doch unsere Flüsse und Bäche wurden schon vor langer Zeit verändert. Nur wenige können frei fließen. Das Projekt Fluss.Frei.Raum will das ändern und gesunde, frei fließende Flüsse zurückgewinnen.

Flüsse und ihre Auen in ihrer ursprünglichen Form sind die vielfältigsten Ökosysteme Mitteleuropas. Sie sind wie das Leben selbst: Das einzig Beständige ist der Wandel. Kleine Tümpel existieren neben trocken-heißen Kiesbänken, strömungsintensive Bereiche wechseln sich mit ruhigen Zonen ab. Und mit jedem Hochwasser werden die Karten neu gemischt.

Dieses kleinräumige Nebeneinander unterschiedlichster ökologischer Nischen beherbergt eine enorme Artenvielfalt.

Begradigt, aufgestaut und unterbrochen

Elmaubach © Andreas Volz
Elmaubach © Andreas Volz

Doch diese Artenvielfalt ist bedroht, denn die traurige Wahrheit ist: Wir haben fast alle unsere Flüsse in der Vergangenheit massiv verändert. Nur noch etwa sieben Prozent der deutschen Flüsse gelten als intakt. In Bayern verfehlen sogar 82 Prozent den sogenannten „guten ökologischen Zustand“. Hauptgrund für diesen Aderlass ist neben Stoffeinträgen aus dem Umland vor allem die Veränderung der Gewässerstruktur: Sie wurden begradigt, ihre Ufer befestigt und Querbauwerke eingezogen.

Und das schon vor langer Zeit: Den Anblick gestörter Fließgewässer sind wir daher gewöhnt und nehmen ihn gelassen hin. Wir baden in Seen, ohne uns bewusst zu sein, dass sie einst Flüsse waren, die durch eine Staumauer abrupt zum Stillstand gebracht wurden. Wir verbringen unsere Freizeit auf schnurgeraden Flussradwegen, ohne darüber nachzudenken, dass der Damm, der den geraden Lauf erzwingt, den Fluss von seiner Aue trennt. Wir freuen uns am Rauschen des Wassers über den künstlichen Absturz im Bach – der kleineren Fischen den Weg abschneidet und deshalb nötig ist, weil der einst gewundene Weg des Baches zum „Landgewinn“ abgekürzt wurde.

Alle 500 Meter ein Hindernis

Zahlreiche, oft kleine Barrieren stoppen den Lauf des Wassers und verwandeln so manches Fließgewässer in eine Aneinanderreihung stehender Bereiche. Durch den Verlust ihres ursprünglichen Charakters der ständigen Bewegung verlieren Flüsse ihre Eignung als Lebensraum für typische Wildfluss- und Auenarten. Wo sich das Wasser staut, erwärmt es sich schneller, oft verschlammt bei Stillstand auch der Bachgrund, die Kinderstube vieler wassergebundener Tierarten.

Die Volme vor dem Rückbau der Barriere © Horch Fotodesign-Hagen
Die Volme vor dem Rückbau der Barriere © Horch Fotodesign-Hagen

Eine Analyse des WWF Deutschland auf Basis von Daten des Bayerischen Landesamtes für Umwelt hat ergeben, dass in Bayern rein rechnerisch alle 500 Meter ein Wehr, ein Absturz oder ein anderes Querbauwerk den Weg des Wassers und der Fische versperrt. Es wird teils versucht, die Durchgängigkeit durch technische Lösungen wie Fischtreppen oder Umgehungsgerinne herzustellen. Diese erzielen jedoch oft nicht die gewünschte Wirkung. Für viele Arten bleiben die Barrieren – gerade bei niedrigem Wasserstand – unüberwindbar.

Dabei sind einige der Barrieren bereits marode und haben keinerlei Nutzen mehr. Sie müssten sofort vollständig entfernt werden. Doch ein Rückbau kostet Geld und Zeit, manchmal sind Fachstudien nötig oder es müssen Ufergrundstücke für die Renaturierung zur Verfügung stehen. Manchmal ist auch nicht klar, wer eigentlich in der Verantwortung steht.

Gemeinsam Hürden überwinden

Auf dem Weg zu frei fließenden Flüssen gibt es viele Hürden, vor allem in den Köpfen der Menschen. Mit dem Verbundprojekt Fluss.Frei.Raum wollen der WWF Deutschland und seine Partner:innen diese Hürden in den kommenden Jahren überwinden – durch modellhafte Projekte, strategische Ansätze sowie Öffentlichkeitsarbeit und Wissenstransfer. So soll der Boden für eine ambitionierte Renaturierung unserer Gewässer bereitet werden.

„Schauen Sie doch beim Spazieren am Bach einmal genauer hin: Wo kann das Wasser frei und vielfältig fließen, wo wird es gebremst und gestaut? Und ist die Barriere notwendig – oder 'kann das weg?'. Wir brauchen Menschen, die Überkommenes kritisch hinterfragen – für unser Projekt in Bayern, für die Natur an und in den Bächen überall im Land.”

Birgit Thies, Projektleiterin Fluss.Frei.Raum

Pilotprojekte für freie und klimaresiliente Flüsse

Fluss.Frei.Raum © Fluss.Frei.Raum

Im Projekt Fluss.Frei.Raum investieren der WWF Deutschland und seine Verbundpartner, der BUND Naturschutz in Bayern, der Landesfischereiverband Bayern, der Bayerische Kanu-Verband und der Landschaftspflegeverband Rhön-Grabfeld, nicht nur in Wissensvermittlung sowie Bewusstseins- und Akzeptanzbildung, sondern gehen auch konkret Rückbauten an.

Zunächst werden Barrieren an der Streu, der Bahra und am Stöckigtbach beseitigt. Im weiteren Projektverlauf werden neue Rückbauprojekte identifiziert und deren Umsetzung angeschoben und vorbereitet. Der Schwerpunkt liegt dabei auf kleineren Gewässern, aber auch Leuchtturmprojekte an größeren Gewässern sollen angegangen werden.

Ökosysteme in frei fließenden, strukturreichen Flüsse sind besser gewappnet, mit den Folgen des Klimawandels zurecht zu kommen. Wo Wasser nicht aufgestaut steht, erwärmt es sich langsamer und ist sauerstoffreicher. Wo Wanderhindernisse verschwinden, können Fische sich neue Lebensräume bachaufwärts erschließen – vielleicht genau die kühleren, von Grundwasser gespeisten Bereiche, die ein Überleben im heißen Sommer ermöglichen. Gelingt im Zuge von Rückbauten zusätzlich eine bessere Anbindung des Bachs an die Aue, werden Hochwasserspitzen flussabwärts abgemildert. Und zuletzt gilt im Fluss wie an Land, dass möglichst unterschiedliche Strukturen einer Vielzahl an Tier- und Pflanzenarten Raum zum Leben bieten – und dass artenreiche Systeme sich besser von Extremwettern erholen können als artenarme.

Räume der Erholung für uns Menschen

Flusslandschaften sind nicht nur gefährdete Schatzkammern der Natur. Sie sind für uns Menschen unverzichtbare Räume der Erholung, der Inspiration und des Naturerlebens. Wir tragen daher eine große Verantwortung, die Gewässer mit ihren Arten am und im Fluss zu schützen und für nachfolgende Generationen zu erhalten.

Mit Ihrer Spende helfen Sie uns, den Flüssen ihren Raum zurückzugeben und so nicht nur Erholungsräume für Menschen zu erhalten, sondern vor allem Lebensraum für unzählige Arten an und in unseren Flüssen!

So können Sie den WWF beim Schutz von Lebensräumen unterstützen:

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