„Eine Wüste“ seien die Flächen, die einst vom Regenwald bedeckt waren und nun von den Feuern verschlungen werden, sagt José Bastos aus Leticia gegenüber der Zeitung „El Espectador“. Er kämpft gemeinsam mit anderen gegen die Brände. Auch der Wasserstand des Flusses sei so weit gesunken, dass die Boote nicht mehr fahren könnten – und wenn sie es versuchten, liefen sie auf Grund.
Flussdelfine in Gefahr: Wassertemperatur der Seen auf Rekordniveau
In der Amazonas-Region herrschen apokalyptische Zustände: Millionen Hektar Wald- und Feuchtgebiete werden durch Brände dem Erdboden gleich gemacht, der Amazonas erreicht wegen extremer Trockenheit einen historischen Tiefstand und die Wassertemperaturen der Seen steigen auf Rekordwerte. Schon jetzt sind sie höher als beim Massensterben der Flussdelfine im Jahr 2023.
Der Amazonas und auch die anderen Flüsse im Biom sind wichtige Verkehrswege. Die Menschen nutzen die Wasserwege, um sich fortzubewegen oder Besorgungen zu machen. Schülerinnen und Schüler fahren mit dem Boot zur nächsten Schule. Jetzt müssten in der brütenden Hitze Kilometer um Kilometer zu Fuß zurücklegen, schreibt El Espectador.
Die Lage ist dramatisch: Die Pegelstände der wichtigsten Flüsse liegen inzwischen weit unter dem Normalwert. So erreichte der Solimões, einer der zwei Amazonas-Oberläufe, am 20. September einen Pegelstand von 2,06m unter dem Meeresspiegel.
Am Amazonas-Oberlauf, müssen die Flüsse noch weit über Meersspiegelniveu liegen, damit der Fluss in Richtung Atlantik abfließen kann. Der Pegelstand ist der niedrigste Wert, den der brasilianische Geologische Dienst je gemessen hat.
Eine Katastrophe für die Flussdelfine
Die Amazonas-Region leidet zunehmend unter Wetterextremen im Zusammenhang mit der Erderhitzung: Die extreme Trockenheit und die damit verbundenen niedrigen Wasserstände im Amazonas und den anderen Flüssen bedeuten Stress für Mensch und Tier. Besonders auch für die empfindliche Population der Amazonas-Flussdelfine.
Bei einem Massensterben im Jahr 2023, verursacht durch Hitzestress aufgrund zu hoher Wassertemperaturen in den Seen Tefé und Coari, starben 330 Tiere. Die Wassertemperaturen erreichten damals Werte von über 40 Grad Celsius.
Der WWF Brasilien nahm dieses Phänomen zum Anlass, gemeinsam mit MapBiomas die Wassertemperaturen von 23 Seen im Amazonasgebiet auf einer eigens dafür entwickelten Plattform zu überwachen.
Die neuen Daten zeigen, dass die Wassertemperaturen in allen 23 überwachten Seen über dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre liegen. In zwölf dieser Seen lagen die Temperaturen bereits am 23. September 2024 über denen von 2023 – dem Jahr des Delfin-Massensterbens.
„Das zweite Jahr in Folge steuern wir auf eine Katastrophe für die Flussdelfine zu“.
Die Überhitzung der Amazonas-Seen ist das Ergebnis einer Kombination verschiedener Faktoren, darunter die Verringerung des Wasservolumens durch Trockenheit, übermäßige Sonneneinstrahlung und übermäßig trübes Wasser, das die Wärmeverteilung in den Seen erleichtert.
Hohes Konfliktpotential und erste Todesfälle
Aufgrund der niedrigen Wasserstände ziehen sich die Delfine und Fische an wenige Stellen zurück, die tief genug sind. Das verschärft die Konflikte zwischen Mensch und Tier, denn die Menschen folgen den Tieren und fischen dort, wo die Tiere Zuflucht suchen. In der Folge sterben mehr Delfine in Fischernetzen als sonst: In Kolumbien waren es allein in den vergangenen zwei Monaten sechs Tiere. Immer wieder kommt es auch vor, dass Delfine mit Schiffen kollidieren oder in Schiffsschrauben geraten – in Brasilien gibt es bereits die ersten Todesfälle dieser Art.
Aber auch unter den Delfinen führt die Enge zu enormem Stress. Es kommt zu Attacken zwischen Artgenossen und auf Jungtiere – oft mit tödlichem Ausgang. Ein Phänomen, das bisher nur vermutet, aber noch nicht beobachtet wurde. Angriffe auf Jungtiere sind sogar ein bisher unbekanntes Phänomen. Die Tatsache, dass solche Angriffe in letzter Zeit immer wieder beobachtet wurden, ist beunruhigend und unterstreicht den Stress, unter dem die Tiere stehen.
Es sind Einzelfälle und wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs, aber alle Vorfälle sind eine Folge der beispiellosen Trockenheit, die derzeit im Amazonasgebiet herrscht.
Mit Daten zu schnellerer Hilfe
„Ausgehend von der Situation im Jahr 2023 entstand die Idee, Fernerkundungsdaten zu nutzen, um Informationen über die Wassertemperaturen zu erhalten“, erklärt Helga Correa, Artenschutzexpertin beim WWF Brasilien. „Das neue Tool wird es uns ermöglichen, die 23 als gefährdet eingestuften Seen zu überwachen, Veränderungen durch den Vergleich von Temperatur und Wasserverfügbarkeit über mehrere Jahre hinweg zu verfolgen und Warnmeldungen zu generieren, um Notfallmaßnahmen vor Ort einzuleiten“, sagt Helga Correa.
Die Daten, mit denen die Plattform die Wassertemperaturen in der Region erfasst, stammen aus zwei Fernerkundungsquellen: dem MODIS-Sensor des Terra-Satelliten und dem TIRS-Sensor des Landsat-Satelliten. „Landsat hat eine hohe räumliche Auflösung, jeder Bildpunkt entspricht einer Fläche von 30 Metern. Allerdings überfliegt er die Region nur einmal alle 16 Tage“, erklärt Juliano Schirmbeck, technischer Koordinator bei MapBiomas. „MODIS hat eine geringere räumliche, aber eine viel höhere zeitliche Auflösung, da er jeden Tag überfliegt. Durch die Kombination der beiden Systeme erhalten wir ein robustes Überwachungsinstrument.“
Das Team arbeitet mit einer fünfjährigen Historie von Temperaturdaten, die auf dem MODIS-Sensor basieren. „Damit berechnen wir die Durchschnittstemperatur für jeden Monat. Unsere Hauptreferenz ist das Jahr 2023, das durch das kritische Ereignis des Delfin-Massensterbens gekennzeichnet war. So können wir die aktuellen Temperaturen im Verhältnis zu den Durchschnittswerten und zu jedem Monat des Jahres 2023 bewerten“, betont Juliano Schirmbeck.
Auch Mariana Paschoalini Frias, leitende Naturschutzanalystin beim WWF Brasilien und an der Entwicklung der Plattform beteiligt, betont die Bedeutung der Messdaten: „Das Ziel der Fernerkundung ist es, Daten zu liefern, die es ermöglichen, Warnmeldungen an die Teams zu senden, die die Maßnahmen vor Ort leiten“, sagt Mariana Paschoalini Frias. „Es wird auch anderen Entscheidungsträgern auf staatlicher und nationaler Ebene ermöglichen, koordinierte Maßnahmen zu ergreifen.
„Alle 23 überwachten Seen haben eine ähnliche Geomorphologie“ wie die Seen Tefé und Coari, in denen es 2023 zum Massensterben kam. „Es besteht die Möglichkeit, dass das gleiche Phänomen auch dort auftritt“, warnt Mariana Paschoalini Frias.
Wenn die Satelliten einen signifikanten Anstieg der Wassertemperatur in einem dieser Seen feststellen, wird ein Alarm ausgelöst, damit die Teams vor Ort das Notfallprotokoll unter der Leitung des ICMBio umsetzen können. „Diese Warnmeldungen sind unerlässlich, damit wir genügend Zeit zum Handeln haben“, sagt Mariana Paschoalini Frias.
Die Situation bleibt dramatisch
Angesichts des derzeit sehr niedrigen Wasserstandes des Rio Solimões Médio ist nach einer Analyse des Mamirauá-Instituts, die auf Daten bis zum 2. September 2024 basiert, in den kommenden Wochen mit einem gefährlichen Temperaturanstieg zu rechnen.
„Noch hat die Temperatur nicht die 40-Grad-Grenze erreicht, die für aquatische Säugetiere gefährlich ist“, sagt Ayan Fleischmann, Koordinatorin der geowissenschaftlichen Gruppe des Mamirauá-Instituts. „Dennoch machen wir uns Sorgen wie es in den nächsten Wochen weiter geht. Letztes Jahr haben wir beobachtet, dass bereits drei bis sechs Tage intensiver Sonneneinstrahlung ausreichen, um die Temperatur rasant ansteigen zu lassen und den See in eine echte Falle für die Delfine zu verwandeln.