Auch wenn „BOSNI – der Wald der Kinder“ schon längst den Kinderschuhen entwachsen und in ganz Bolivien bekannt ist: Die Begeisterung, mit der WWF-Projektleiter Dirk Embert davon erzählt, ist ungebrochen. Kein Wunder, ist es doch ein herausragendes Beispiel dafür, dass aus einer kleinen Idee manchmal eine große wird – wenn die Zeit dafür reif ist. Und so ist aus dem anfänglichen Wunsch, Kindern in Boliviens großen Städten mit der Natur in Kontakt zu bringen, inzwischen ein Bildungsprogramm geworden, das fester Bestandteil in den Lehrplänen der Schulen ist. Und es ist Auslöser manch kleiner Revolution im familiären Umfeld.
Es begann als regionales Projekt und endete mit einer kleinen Revolution der Umweltbildung in Bolivien: Aus ein paar Schulgärten des WWF entwickelte sich ein nationales Regierungsprogramm.
Dirk Embert hat da so seine eigenen Erfahrungen gemacht. „Neulich wurde ich zum Beispiel von den Eltern einer Schülerin angesprochen“, erzählt er von einer Begegnung auf einem Straßenfest in Santa Cruz, wo Kinder ihre Schul-Umweltprojekte zeigten. „Mit einem Augenzwinkern sagten sie zu mir, ich wisse gar nicht, was ich ihnen da angetan hätte: ihre Tochter erlaube keinem in der Familie mehr, den Wasserhahn länger als nötig laufen zu lassen. Niemand darf unnötig das Licht anlassen und vorbei ist es auch mit dem Verbrennen von Autoreifen und anderem Müll.“ Man merkt den Eltern an, dass die Botschaft, die ihre Tochter über das Umweltbildungsprojekt nach Hause getragen hat, bei ihnen auf fruchtbaren Boden gefallen ist.
Ein Samenkorn geht auf
Angefangen hat alles im Jahr 2010 mit einem kleinen Projekt, das Schulkindern den Zugang zur Natur ermöglichen sollte: über Schulgärten und eigene kleine Schulwälder. Daher auch der Name BOSNI, aus dem spanischen BOSque de NInos, was „Wald der Kinder“ bedeutet. Die Kinder fühlen sich verantwortlich für ihre Beete oder das Waldstückchen ihrer Schule. Hier können sie mit den Händen in Erde wühlen, säen, gießen und ernten – und ganz spielerisch dabei entdecken und verstehen. „Doch was dann passierte, ist einfach nur phantastisch“, sagt Embert und erzählt, welche Welle da ins Rollen kam. „Erst haben sich nur drei Schulen beteiligt, dann wurden es immer mehr. Inzwischen sind es landesweit 22.“ Doch nicht nur das: Heute ist die BOSNI-Lehrmethode verpflichtendes Fach an allen bolivianischen Schulen, und die dazu erforderlichen Unterrichtsmaterialien stehen rund 60.000 Lehrern zur Verfügung.
Viele Schulen verfügen inzwischen über grüne Klassenzimmer oder gar überdachte Freiluft-Aulen, um über den Kontakt mit der Natur nicht nur Biologie, sondern auch Geografie oder Mathematik zu vermitteln. Denn wer Gurken oder Zucchini anbaut, erfährt auch gleich etwas über die Herkunft dieser Gewächse und die Regionen, in denen sie gedeihen – und im Mathematikunterricht bekommt „Erbsenzählerei“ eine ganz neue Bedeutung! Regelmäßig zu Gast in vielen Klassen sind endlich auch wieder Indigene, die ihr Wissen über die Herstellung traditioneller Medizin mit den Schüler:innen teilen und auf diese Weise einen kulturellen Schatz lebendig halten. Auch Naturschutz ist ein großes Thema, das aus erster Hand an die Kinder herangetragen wird – von Rangern, die von ihrer Arbeit in den Schutzgebieten und indigenen Territorien erzählen.
Liebe zur Natur verbindet
Doch wie erreichen die Themen diejenigen Kinder, die weniger privilegiert sind, vielleicht sogar gar keine Schule besuchen können? Aus dieser Überlegung heraus entstanden in den Städten Puerto Quijarro, Trinidad und La Paz Umweltbildungszentren, die Anlaufpunkt sind für alle Menschen und jedes interessierte Kind. „Dabei ist etwas sehr Schönes entstanden, mit dem ich zunächst gar nicht gerechnet habe“, sagt Dirk Embert. „Die BOSNI-Umweltbildungszentren wirken integrierend auf ihre Umgebung. So gibt es einen regen Austausch mit Student:innen der Universität in Trinidad und mit dem Kindermuseum in La Paz, von dem beide Seiten profitieren.“ Das vierte und fünfte Umweltbildungszentrum - wurde - - 2019 in der Stadt Santa und in Tarija in Betrieb genommen.
Durch die Verbindung der Umweltbildungszentren mit drei kommunalen Schutzgebieten, dem Curichi la Madre in Santa Cruz, dem Biopark in der Stadt Tarija und dem kommunalen Schutzgebiet Ibare Mamoré (APM IM) in Trinidad, tragen wir dazu bei, die Wertschätzung der Bürger:innen für die biologische Vielfalt zu verbessern.
In Absprache mit der Stadtverwaltung von Trinidad, der Technischen Universität von Beni und ihrem Biodiversitäts-Forschungszentrum CIBIOMA arbeitet der WWF daran, das städtische Schutzgebiet Ibare Mamoré mit einem Managementplan zu versehen, auch in Absprache mit und unter Beteiligung von vier indigenen Gemeinden, die das Schutzgebiet bewohnen.
Die Erforschung des Erhaltungszustands des Curichi La Madre interessiert junge Forscher. Um das zu unterstützen, stellt das Projekt die vom WWF Deutschland gespendeten Kamerafallen und eine Wetterstation zur Verfügung. Angesichts der hohen Nachfrage von Universitäten richten die städtischen Behörden sogar ein System zur Regulierung und Formalisierung der Forschung ein.
Impressionen: Das Umweltamt in Santa Cruz – zugleich Standort des 4. BOSNI-Umweltbildungszentrums
Suri und Chapu finden den Weg in die Herzen der Menschen
Wer heutzutage auf den Straßen von La Paz oder Santa Cruz Passanten nach dem Mädchen Suri und ihrem kleinen Hund Chapu fragt, erhält mit einiger Wahrscheinlichkeit ein wissendes Nicken. Die beiden Zeichentrick-Figuren sind inzwischen Leitfiguren von BOSNI und sorgen zusätzlich für die landesweite Bekanntheit von BOSNI. In Videos erleben Suri und Chapu Umweltprobleme und erfahren Lösungen – von der Luftverschmutzung bis zu den Folgen des Verbrauchs von Plastiktüten. Die Videos wurden von der bolivianischen Regierung für eine Kampagne gegen Plastiktüten übernommen und über Monate auf fünf nationalen Fernsehsendern mehrmals täglich ausgestrahlt.
Auf die Frage, warum BOSNI so unglaublich erfolgreich ist, antwortet Dirk Embert: „Ich glaube, wir haben mit unserer Idee zur richtigen Zeit einen empfindlichen Nerv der Menschen in Bolivien getroffen.“ Bolivien hat in den vergangenen Jahren eine der höchsten Entwaldungsraten weltweit. Gnadenlos wird immer mehr Wald für neues Weide- und Ackerland abgeholzt. „Mir ist auch aufgefallen, dass immer mehr Menschen dort immer weniger über die Natur wissen, gerade auch die Kinder“, ergänzt der Südamerika-Experte. „Es ist ein bisschen so, als ob wir mit unserem Angebot viele Herzen berühren können.“ Herzen, die sich wieder mehr der Natur verbunden fühlen wollen.
- Amazonien
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