Die neue WWF-Studie „Restoring Asia’s Roar“ macht Hoffnung und zeigt, dass es in 15 Ländern zusätzliche 1,7 Millionen Quadratkilometer an potenziell geeignetem Lebensraum für Tiger gibt. Eine Fläche größer als Deutschland, Frankreich, Spanien, Portugal, Dänemark, Belgien und die Niederlande zusammen.
Obwohl die Zahl der Tiger in Asien langsam wieder ansteigt, schrumpft ihr Lebensraum weiter. Nur noch fünf Prozent ihres ursprünglichen Verbreitungsgebiets steht den Großkatzen heute zur Verfügung – und auch diese sind bedroht.
Mehr Platz für Tiger
„Nur sehr, sehr wenige Menschen bekommen jemals einen Tiger in freier Wildbahn zu Gesicht. Selbst dann nicht, wenn sie ihr ganzes Berufsleben lang zu Tigern arbeiten“, sagt Thomas Gray, Tigerbiologe und Technischer Leiter der WWF-Initiative „Tigers Alive“. Eines der wenigen Male, an denen Gray einen Tiger „gesehen“ hat, war bei einem seiner ersten Naturschutz-Jobs im Jahr 2007: Auf einem Kamerafallenbild, aufgenommen in der Eastern Plains-Landschaft in Kambodscha. Das Bild sollte das letzte Mal sein, dass ein wilder Tiger in Kambodscha fotografiert worden ist.
Seitdem sind 15 Jahre vergangen und Gray und sein Team haben es sich zur Aufgabe gemacht, Tiger zu schützen. Mit der Studie „WWF’s Restoring Asia’s Roar: Opportunities for tiger recovery across the historic range“ haben Gray und sein Team Regionen identifiziert, die das Potential haben, wieder Lebensraum für Tiger zu werden – insgesamt 1,7 Millionen Quadratkilometer in 15 Ländern Asiens, darunter auch die Eastern Plains in Kambodscha. Hierhin könnten Tiger irgendwann zurückkehren. Dies entspricht insgesamt mehr als dem Doppelten des derzeitigen Verbreitungsgebiets des Tigers.
Als das Brüllen verschwand
Vor etwa zwei Jahrhunderten waren Tiger auf einer Fläche von 11,7 Millionen Quadratkilometer zu Hause – von der Küste des Schwarzen Meeres bis zur koreanischen Halbinsel. Das entspricht nach Maßgabe heutiger politischer Grenzen einer Fläche, die 30 Länder umfasst. Heute sind sie in Asiens Wildnis nur noch selten anzutreffen.
Zwar haben die jüngsten Schutzbemühungen zu einem weltweiten Anstieg der Zahl der wildlebenden Tiger geführt, doch die Großkatzen kommen derzeit auf weniger als fünf Prozent ihres ursprünglichen Verbreitungsgebiets vor, verstreut über fragmentierte Lebensrauminseln in nur zehn Ländern Asiens. Genau hier, im Lebensraum der Tiger, werden bis zum Jahr 2050 schätzungsweise 24.000 Kilometer neue Straßen oder andere menschliche Infrastruktur gebaut. Mit der zunehmenden Ausbreitung von Industrie und der Verstädterung verlieren Tiger und andere Wildtiere mehr und mehr ihres ohnehin schon kleinen Lebensraums.
Die aktuelle Studie warnt: Der fortschreitende Lebensraumverlust für Mensch und Tiger ist bedrohlich. Die Großkatzen werden zunehmend in kleineren Populationen isoliert, was sich negativ auf ihre genetische Vielfalt auswirkt, sie sind stärker illegalem Wildtierhandel und Wilderei ausgesetzt und es kommt häufiger zu Konflikten zwischen Menschen, ihren Nutztieren und Tigern, die für beide Seiten tödlich ausgehen können.
Schutzgebiete und Korridore unerlässlich
„Wenn wir Tiger langfristig schützen wollen, müssen wir ihren Lebensraum schützen“, sagt Thomas Gray. Besonders wichtig sind dabei auch Korridore zwischen den einzelnen Lebensräumen der Tiger. Das zeigt beispielsweise die Terai Arc-Landschaft, die sich entlang der südlichen Grenze von Nepal erstreckt. Hier wurden 16 Schutzgebiete in Indien und Nepal miteinander verbunden, sodass sich Tiger sicher und frei bewegen können. Dieses Netzwerk hat dazu beigetragen, dass sich die Zahl der Tiger in Nepal seit 2010 mehr als verdoppelt hat.
Korridore sind eine große Chance für den Tigerschutz: Denn in den meisten Ländern, in denen Tiger vorkommen (mit Ausnahme von China), liegen die Gebiete mit Potential wieder Lebensraum für Tiger zu werden, im Umkreis von 100 Kilometern um die bestehenden Tigerpopulationen– und damit innerhalb der dokumentierten Radien, in denen sich Tiger bewegen und ausbreiten können.
„Dies zeigt, dass sich die Tiger auf ganz natürliche Weise ausbreiten können, wenn man ihnen die Chance dazu gibt,“
Einst verloren, jetzt wieder da
Doch in Ländern wie Kambodscha, wo vor weniger als 30 Jahren noch Hunderte Tiger lebten, ist es nicht ganz so einfach: „Da die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass Tiger auf natürlichem Wege zurück nach Kambodscha gelangen, müssen wir ihnen helfen, indem wir sie dorthin bringen", so Gray.
Dass das funktionieren kann, zeigt das indische Panna-Tiger-Reservat. Nachdem die Tiger von Wilderern ausgerottet worden waren, beschloss die Parkverwaltung 2009, einen männlichen und zwei weibliche Tiger nach Panna zu bringen – mit Erfolg: Nach weiteren Auswilderungen leben heute wieder 54 Tiger im Reservat.
In Kambodscha hat man ähnliche Pläne: 2017 kündigte die Regierung eine Initiative zur Wiederansiedlung von Tigern an. So soll nicht nur den Tigern geholfen und ihre Lebensräume erhalten werden, auch der Ökotourismus soll angekurbelt und damit die Lebensgrundlagen der Gemeinden verbessern werden.
Für Gray sind solche Wiederansiedlungen immer der letzte Ausweg, denn „es ist immer einfacher und billiger, die vorhandenen Tiger und Landschaften wirksam zu schützen“, sagt Gray, „aber ich bin optimistisch, dass Tiger noch zu meinen Lebzeiten nach Kambodscha, Laos und sogar Vietnam zurückkehren."
Der Weg in die Zukunft
Vernetzte Schutzgebiete sind wichtig für den Tigerschutz, aber auch nicht geschützte Gebiete und Land, das von indigenen und lokalen Gemeinden verwaltet wird, spielt eine wichtige Rolle. Die Gemeinden müssen eng eingebunden werden, denn bei allem Optimismus: Tiger sind große, territoriale Raubtiere – und für viele Gemeinden, die in der Nähe von Wildtieren oder neu eingerichteten Schutzgebieten leben, haben die Begegnungen zwischen Menschen und Tigern ebenso zugenommen wie die Konflikte.
Wenn jedoch ein wirksames Management mit starken politischen Mechanismen und der Unterstützung durch die lokalen Gemeinden etabliert wird, kann sich der Tigerschutz nicht nur als erfolgreich erweisen, sondern auch neue Möglichkeiten für die lokale Wirtschaft schaffen. Rückhalt aus Bevölkerung und Politik sind essenziell, wenn die Vergrößerung der Tigerlebensräume von Erfolg gekrönt sein soll.
Es braucht ein neues, ehrgeiziges Ziel für den Tigerschutz
Mit dem Auslaufen des „Global Tiger Recovery Programm“ (2010-2022), in dem sich 13 Länder zum Ziel gesetzt hatten, die Zahl der Tiger bis zum Jahr 2022 zu verdoppeln, bietet sich die Gelegenheit, ein neues, ehrgeiziges und umfassenderes Ziel zu verabschieden: „Wir wollen die Qualität des Lebensraums für Tiger erweitern und verbessern, sodass das von Tigern bewohnte Gebiet insgesamt um 50 Prozent gegenüber dem Stand von 2022 vergrößert wird“, erklärt Gray.
Der Schlüssel zur Ausweitung des Verbreitungsgebiets des Tigers liegt letztlich in mutigen, gemeinsamen Verpflichtungen von Regierungen in ganz Asien. „Nur so können wir sicherzustellen, dass künftige Generationen Tiger nicht nur auf Fotos, sondern auch in freier Wildbahn sehen können“, so Gray.