Im Sommer 2021 holpert deshalb vorsichtig ein Lastwagen über eine unbefestigte Straße tief in die Wälder des Nationalparks Mae Wong im Westen Thailands. In den Transportboxen auf seiner Ladefläche zehn Sambar-Hirsche, die in ihre ursprüngliche Heimat zurückkehren sollen. Es ist die erste einer Reihe von Auswilderungen, die sich seitdem stetig fortsetzen. Hunderte der seltenen, tropischen Hirsche werden hier noch benötigt. Denn sie bereichern nicht nur das Ökosystem und halten die Vegetation des Dschungels im Gleichgewicht. Den Tigern sichern die Sambars als eine der Hauptnahrungsquellen das Überleben und geben ihnen die Chance, sich endlich zu vermehren.
Tiger gehören zu den am stärksten bedrohten Arten unserer Erde. Besonders schlecht steht es um die gefährdeten Raubkatzen in Südostasien. Während steigende Tigerzahlen in anderen Verbreitungsländern Anlass zum Aufatmen geben, sind Tiger in Laos, Kambodscha und Vietnam bereits ausgestorben. In Malaysia und Myanmar werden sie stetig weniger. Als letzter einigermaßen sicherer Rückzugsort für die südostasiatischen Tiger gelten die entlegenen Wälder im Westen Thailands. Doch selbst hier vermehren sich die Tigerbestände nicht, die großen Raubkatzen finden nicht genug zu fressen. Darüber hinaus droht die Region aktuell wieder, ins Visier der Wilderer zu geraten.
Tiger brauchen Futter
Knapp 30 Kilogramm Fleisch können Tiger in einer einzigen Mahlzeit vertilgen. In Thailands westlichen Wäldern müssen sie große Gebiete durchstreifen, bis sie endlich Beutetiere finden. Entlang der Grenze zu Myanmar schließt hier heute weiträumig ein Schutzgebiet dicht an das nächste.
Massive Wilderei in der Vergangenheit jedoch hat die für die Tiger wichtigsten Huftiere stark reduziert – und hungrig haben die Bestände der Tiger keine Chance, sich zu erholen.
Der Wildnis auf die Sprünge helfen
Erfolgreiche Rückkehr und neue Bedrohung
Dank neuer Grasflächen und Salzlecken, die der WWF für die Sambar-Hirsche schafft, kehren auch die Banteng – eine asiatische, stark gefährdete Wildrindart - langsam von alleine zurück in die Wälder. Auch sie dienen den Tigern als wichtige Nahrung.
Doch der Erfolg wird getrübt von akuter Not: Thailands Wirtschaft geht es schlecht seit Ausbruch der COVID 19-Pandemie. Das spüren auch Ranger:innen deutlich bis in ihre abgelegensten Wälder.
Krise: Es fehlt an allem
In Folge der schwierigen wirtschaftlichen Lage hat die thailändische Regierung ihr Nationalpark-Budget um fast 50 Prozent gekürzt. „Zeitweise fehlte es sogar an ausreichend Essen für die Rangerinnen und Ranger“, berichtet Susanne Gotthardt, Südostasien-Referentin beim WWF Deutschland.
„Die Schutzarbeit konnte die Wilderei in Thailands westlichen Wäldern erfolgreich eindämmen. Aber hungrig geht niemand auf anstrengende Patrouille.“
Der WWF unterstützt die Nationalparks und ihre Wildhüter:innen deshalb - abgesehen von ihrer Ausbildung und teils hoch technischer Ausrüstung - inzwischen auch mit Essensrationen. Denn nach wie vor brauchen Tiger dringend Schutz. Sie werden grausam gewildert, um als vermeintliches Potenzmittel, verarbeitet zu Tigerwein oder als Statussymbol auf illegalen Märkten zu landen.
Mae Wong: Vom Armutszeugnis zum Vorzeigepark
Ein Scheitern des Tigerschutzes in West-Thailand hätte verheerende Folgen. Hier besteht die größte Chance, Südostasiens Tigerzahlen zu erhöhen. Doch die aktuelle Krise gefährdet bisherige Erfolge – wie im Nationalpark Mae Wong, der sich dank Unterstützung des WWF gerade zum großen Vorbild entwickeln konnte. „Früher sind wir gewandert, wo wir wollten. Jetzt sammeln wir Daten, gehen systematisch vor und wissen mit Gefahrensituationen umzugehen.“ Ranger Wicha Palarak beschreibt, was sich geändert hat, seit der WWF den Nationalpark Mae Wong unterstützt.
Palarak und seine Kolleg:innen bewahren in Thailands Westen die Tiger vor dem grausamen Tod in Millionen von Schlingfallen, die andere Regionen Südostasiens prägen und stehen der illegalen Nutzung der Wälder entgegen.
Hoffnung auf Tiger-Nachwuchs
Gemeinsam mit der thailändischen Regierung konnte der WWF das Schutzgebiet so gut entwickeln, dass die Tigerzahlen stabil bleiben. In Zukunft könnten die Raubkatzen sich hier sogar ausreichend vermehren, um sich in andere Gebiete auszubreiten. Trotz Krise darf es jetzt keinen Einbruch geben und müssen dem guten Beispiel Mae Wongs kontinuierlich weitere Schutzgebiete folgen.
„Wir lassen uns von unseren Erfolgen motivieren und werden jetzt nicht aufgeben“, betont Susanne Gotthardt vom WWF. Mehrere Ranger-Stationen konnte der WWF inzwischen - wie dringend notwendig – renovieren und ein zentrales Tigerschutz-Zentrum einrichten, das wichtig für die Patrouillen und Forschung ist.
Nur ein gutes Monitoring auch in schwer zugänglichen Waldregionen kann verlässlich Auskunft über den Zustand der Tiger und ihrer Beutetiere, über notwendige Maßnahmen und mögliche Gefahren geben.
Letzte Chance für die südostasiatischen Tiger
Die Schutzgebiete und Ranger:innen müssen weiterhin unterstützt und die Auswilderungen der Sambar-Hirsche fortgesetzt werden. Neue Korridore müssen geschaffen werden, damit Tiger sicher zwischen geschützten Waldblöcken wandern können. Angehende Schutzgebietsmanager:innen müssen im Studium und im Feld geschult werden und die Gemeinden vor Ort für den Tigerschutz sensibilisiert. Denn je weiter sich die Großkatzen ausbreiten, desto näher rücken sie den Menschen. In Erwartung steigender Tigerzahlen müssen und können mögliche Mensch-Tiger-Konflikte von morgen schon heute verhindert werden. Zum Schutz der Tiger und Menschen.