Die Verjüngungsflächen sind zu groß – durch die Brände wie die starken Holzeinschläge per Kahlschlag. Die Folge: Waldverlust in einer Größenordnung, der das Aufheizen des Bodens und damit auch das Auftauen des Permafrostbodens unter den Wäldern weiter beschleunigt. Was wiederum dort gespeichertes CO2 und Methan freisetzt und damit die Erderhitzung nochmals weiter antreibt. Wir beleuchten die Hintergründe und was sich dagegen tun lässt.
Waldbrände kommen in borealen Waldökosystemen auch natürlicherweise vor. Sie sorgen mit dafür, dass sich der Wald erneuern kann. Die Brände befördern die Naturverjüngung, doch die zunehmende Häufigkeit der Brände und ihre größer werdende Intensität bringen den normalen Erneuerungskreislauf der nördlichen Nadelwälder gehörig durcheinander und vernichten viel zu viel wertvollen alten Wald.
26.06.2023 Update: WWF Russland verlässt internationales WWF-Netzwerk
Die russische Generalstaatsanwaltschaft hat am 21. Juni 2023 die Aktivitäten des World Wide Fund for Nature (WWF) in Russland für „unerwünscht“ erklärt. Diese Entscheidung folgt auf eine bereits im März bekannt gegebenen Verlautbarung, in welcher der WWF als «ausländischer Agent» eingestuft wurde.
Der WWF Deutschland und das gesamte, weltweite WWF-Netzwerk sind erschüttert darüber, dass unsere gemeinsame Naturschutzarbeit als „auf dem Territorium der Russischen Föderation unerwünscht“ eingestuft wird. Infolgedessen und mit sofortiger Wirkung hat der WWF Russland die schwierige Entscheidung getroffen, nicht länger Teil des WWF-Netzwerks zu sein.
Eine Fläche größer als Sachsen stand zeitweise im vergangenen Sommer in Russland in Flammen. Im August 2020 kämpften Einsatzkräfte in Sibirien gegen mehr als 50 Brände, gleichzeitig. Der giftige Rauch zog über Städte wie Jakutsk hinweg. Viele andere Feuer, in abgelegenen Regionen, versuchten die Feuerwehrkräfte gar nicht erst zu löschen.
Teile borealer Wälder im Norden Russlands, etwa in Sibirien, stehen immer häufiger in Flammen. Diese Nadelwälder kommen ausschließlich auf der Nordhalbkugel vor. Meist bestehen sie aus Fichten, Kiefern, Tannen und Lärchen. Es kommen aber auch Laubbäume vor wie Birken, Pappeln und Ebereschen. „Buchen und Eichen, wie wir sie vor allem aus Deutschland kennen, können sich in diesen Regionen nicht verjüngen“, sagt Markus Radday, Referent für temperierte und boreale Wälder beim WWF.
„Mit Waldbränden kann der boreale Wald umgehen. Der Brand zerstört den Altbestand und die Brandfläche wir dann wiederbewaldet. So können die Brände ein Teil der Verjüngunggsdynamik dieser Wälder darstellen”, sagt Markus Radday. Ein solcher Wald verjünge sich vor allem großflächig, ausgelöst etwa durch den Borkenkäfer – oder einem Brand, sagt Markus Radday. „Im Anschluss entwickelt sich ein sogenannter Vorwald, bestehend aus Pionierhölzern wie Weide, Aspe oder Birke.“ Erst danach entwickle sich wieder das Nadelholz.
Das Problem: Brände sind in borealen Wäldern zwar völlig normal. Inzwischen brennt es in immer kürzeren Zeitabständen auf immer größeren Flächen, wie die Zahlen für ganz Russland zeigen. Die Feuer beschleunigen den Klimawandel, die Wälder können sich nicht mehr erholen. Der Verursacher ist der Mensch. Im Zeitraum von 2010 bis 2014 konnten 72 Prozent der Brände in Russland auf fahrlässige oder vorsätzliche Brandstiftung zurückgeführt werden. Weitere sieben Prozent wurden durch den Einsatz von Feuer in der Landwirtschaft verursacht. 14 Prozent hatten andere Ursachen, wie zum Beispiel Funkenflug durch Eisenbahn oder Stromleitungen. Blitzschlag als natürliche Ursache war dagegen nur in 7 Prozent der Fälle Auslöser der Waldbrände. Das heißt 93 Prozent der Feuer waren menschengemacht. Nur im dünn besiedelten Gebieten im Norden Russlands gehen Waldbrände prozentual weitaus häufiger auf Blitzschläge zurück.
In den letzten Jahren brannte es am Polarkreis über mehrere Breitengrade hinweg in einer Intensität und Dauer wie nie zuvor. Betroffen waren Sibirien, Alaska, Grönland und Kanada. 2019 wurden z. B. in der Arktis 5,5 Millionen Hektar verbrannt. Dies führte zur Emission von 182 Millionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre, dreimal so viel wie Schweden im Durchschnitt in einem Jahr emittiert.
Die Brände in diesen Breitengraden sind besonders schwerwiegend und besorgniserregend für das Klima, weil sie u. a. Torf- und Permafrostböden beeinträchtigen. Die Brände legen den Permafrostboden frei. Die Sonnenstrahlen treffen also direkt auf den Boden, der dadurch noch schneller auftaut. Darin gebundenes CO2 und Methan werden freigesetzt, was wiederum zu einer weiteren Klimaerwärmung führt.
Ein gefährlicher Kreislauf entsteht
„Durch den vom Menschen verursachten Klimawandel kommt es auch im borealen Wald zu immer mehr meteorologischen Extremereignissen wie Trocken- und Hitzeperioden“, sagt Susanne Winter, Programmleiterin Wald beim WWF. Häufig genüge in den borealen Wäldern im Sommer daher schon ein Lagerfeuer oder ein Blitzschlag, um den nächsten großflächigen Brand zu verursachen. „Da sich der Stratosphärenstrom bereits verlangsamt, werden die Trockenperioden häufiger länger anhalten, die Zahl der Brände wird also zunehmen. Wir befinden uns längst in einem Teufelskreis“, sagt Susanne Winter.
Ein besonderes Problem stellen dabei die Permafrostböden in der Region dar. Dieser ganzjährig gefrorene Boden konserviert abgestorbene Pflanzenreste seit Jahrtausenden. Die ohnehin rasche Erwärmung lässt diesen in Kombination mit den Bränden immer schneller tauen. Der auftauende Boden wiederum setzt zusätzlich klimaschädliche Gase wie CO2 und Methan frei. Die beschleunigen erneut den Klimawandel und mehr Waldbrände entstehen.
In der obersten Schicht des Permafrosts sind, wie in einer Tiefkühltruhe, riesige Mengen abgestorbener Pflanzenreste gespeichert. Diese können im gefrorenen Boden nicht durch Mikroben abgebaut werden, da Bakterien erst aktiv werden, wenn der Permafrost taut. Wenn sich das Klima weiter erwärmt, beginnt das Zersetzen des organischen Materials in tieferen Schichten. Dadurch gelangt der Kohlenstoff, der in den Pflanzenresten gespeichert war, als Treibhausgas in die Atmosphäre. Die dort eingeschlossenen Mikroorganismen setzen CO2 frei und zunehmend auch Methan. Das Treibhausgas ist rund 30-mal schädlicher ist als CO2.
Das Tauen des Bodeneises in Regionen mit eisreichem Permafrost kann darüber hinaus enorme Konsequenzen für arktische Landschaften und besiedelte Gebiete haben. Grund ist das Schmelzen des unregelmäßig verteilten Eises, dass zu ungleichmäßigem Absinken der Landoberfläche führt. Die Folge: Straßen, Eisenbahnschienen, Landebahnen, Gebäude oder auch Öl- und Gas-Pipelines können beschädigt werden. Die Ölkatastrophe in Norilsk, bei der 20.000 Tonnen Öl aus einem Wärmekraftwerk ausgetreten sind, werten Wissenschaftler ebenfalls als eine Folge des Abtauens der Permafrostböden. Der Boden wird weich und gibt nach.
Langfristige Abschätzungen besagen, dass Brände in den borealen Wäldern rund 700 Millionen Tonnen Kohlendioxid jährlich freisetzen. Das entspricht in etwa der Menge an CO2-Emissionen, die Deutschland 2019 abgegeben hat, ohne Landnutzung und Forstwirtschaft.
Die Behörden scheinen angesichts der schieren Anzahl an Bränden machtlos und das seit Jahren. Selbst nach konservativen Schätzungen verbrannten in Russland alleine zwischen 2010 und 2014 insgesamt elf Millionen Hektar Wald. So gibt es zumindest die Avialesookhrana, die russische Feuerwehrspezialeinheit zur Waldbrandbekämpfung aus der Luft an. Die in diesem Zeitraum verbrannte Fläche entspricht in etwa der gesamten Waldfläche Deutschlands. „Zu Zeiten der Sowjetunion gab es noch eine bessere Waldbrandbekämpfung“, sagt Referent Markus Radday. Aber die sei nach deren Zusammenbruch den Sparmaßnahmen zum Opfer gefallen.
Die russische Forstwirtschaft dringt immer weiter vor
Doch allein die Feuerwehr wieder aufzurüsten, wäre ein Kraftakt, der voraussichtlich nicht leistbar ist. „Der Holzeinschlag arbeitet sich immer weiter in die bisher noch ungenutzten Primärwälder vor“, sagt Susanne Winter. In bisher ökologisch völlig intakten Flächen komme es zum Kahlschlag. „Wo die Menschen vordringen, kommt es schnell zu weiteren Bränden."
Waldverlust kann sogar dafür sorgen, dass die Region nur noch weniger Wasser speichern kann. Die Zahl der Überschwemmungen steigt dadurch. Waldbrände führen zudem dazu, dass die übrig gebliebenen Bäume geschwächt sind und endgültig absterben. Insekten wie Borkenkäfer vermehren sich dann lokal massenhaft und greifen die übrig gebliebenen Wälder an. Da die russische Regierung die Einschlagskonzessionen vergibt, lässt sich der Holzeinschlag kaum beeinflussen.“, sagt Susanne Winter.“
„Der Holzeinschlag arbeitet sich immer weiter in die bisher noch ungenutzten Primärwälder vor.“
Auch Konsumenten in Deutschland können Druck ausüben
Werden vermehrt Städte in Rauch eingehüllt, könnte das aber zu einem Umdenken in der Bevölkerung führen. Denn in den borealen Wäldern brennt nicht nur das Holz, sondern auch der Torf im Boden – und gerade das ist Markus Radday zufolge sehr gesundheitsschädlich. Der bei den Bränden entstehende Rauch ist vor allem für Menschen mit Atemwegs- und Herzkreislauferkrankungen sowie für Senioren und Kleinkinder ein Gesundheitsrisiko, denn er enthält giftige Stoffe wie Kohlenmonoxid, Feinstaub und Stickoxide.
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