Der Wald zeigt mir täglich, dass die Natur nicht Kampf, sondern Kooperation bedeutet. Bäume einer Art, mit ihrem Netzwerk aus Pilzen und allem, was dazu gehört, arbeiten immer daran, die Gemeinschaft zu erhalten. Sie kooperieren. Denn als Familie können sie das kühl-feuchte Klima schaffen, das sie zum Leben brauchen. Es gibt sogar Solidarität: Schwache Exemplare werden beispielsweise über Wurzelverbindungen mit Zuckerlösung aufgepäppelt.
Weltweit sind die ältesten Wälder massiv bedroht. Denn sie werden für Ackerbau, Weide oder Holznutzung viel zu stark gerodet. Peter Wohlleben, Deutschlands bekanntester Förster, plädiert für eine radikale Abkehr von der traditionellen Forstwirtschaft. Was ist seine Vision?
Herr Wohlleben, Sie widmen schon fast Ihr ganzes Leben dem Wald. Was fasziniert Sie so daran?
Wenn Sie eine Bestandsaufnahme machen würden, wie gut geht es dem deutschen Wald?
Es gibt viele alte Laubwälder, die stark aufgelichtet sind. Weil die Wälder zu warm geworden sind, sterben jetzt auch Buchen und Eichen ab. Forscher haben Temperaturunterschiede zwischen alten Laubwäldern und Kieferplantagen von bis zu acht Grad festgestellt. Die wärmeren, naturfernen Wälder stehen unter Stress. Das betrifft vor allem Fichtenplantagen. Ich vermute, dass der größte Teil der Fichten und Kiefern in den nächsten zehn Jahren sterben wird.
„Die wärmeren, naturfernen Wälder stehen unter Stress.“
Und Schuld allein hat nur der Borkenkäfer?
Das ist in meinen Augen die klassische Sündenbockgeschichte. Früher war es der Wolf oder der Luchs, heute ist es der Borkenkäfer. Da steckt Kalkül dahinter. Dort, wo der Borkenkäfer ist, macht man, was man will. Da wird Gift eingesetzt, Böden werden komplett mit schwerstem Gerät befahren und der größte Teil der Biomasse wird abgeräumt. Dabei hat der Borkenkäfer immer schon Fichten befallen. Im Zusammenhang mit dem Klimawandel hat sich das natürlich verschärft. Da ist es gut, wenn man den schwarzen Peter abgeben kann. Es ist der Klimawandel oder der Borkenkäfer, nicht etwa der verfehlte Nadelholzanbau.
Was ist Ihrer Ansicht nach das eigentliche Problem?
In Deutschland haben wir seit Jahrzehnten die größten Kahlschläge, vermutlich sogar illegal. Was Kahlschläge angeht, stellt Deutschland teilweise sogar Kanada in den Schatten. Ich spreche von der sogenannten Schadholzräumung. Da geht es um mehrere Tausend Quadratkilometer. Seitens der Forstindustrie wird das aber nicht angesprochen. Wir erleben einen Zusammenbruch der Plantagen mit Holz. Die Preise sind total im Keller. Aber das veranlasst niemanden, ökologisch zu handeln. Im Gegenteil. Gleich nach der Abräumung allen Holzes wird wieder aufgeforstet – vielfach mit Nadelbäumen.
Was kritisieren Sie an der Forstwirtschaft?
Man müsste sich eingestehen, dass das konventionelle Wirtschaftsmodell gescheitert ist. Man müsste mal innehalten, stopp sagen und sich fragen: Was haben wir falsch gemacht? Aber diese Fehlerdiskussion findet nicht statt. Aktuell sterben Fichtenplantagen ab. Die Erkenntnis aber, dass es nicht allein an der Baumart, sondern auch an der Art und Weise liegt, wie gewirtschaftet wird, fehlt. Da wird nicht diskutiert, es wird weitergemacht, indem man einfach die Baumart wechselt.
Wir haben die Politik, wir haben die Unternehmen und die Verbraucher, die Holz kaufen. Wer steht Ihrer Meinung nach besonders in der Pflicht?
Die Politik. Uns fehlt in Deutschland ein echtes, unabhängiges Kontrollorgan. Das Konglomerat Forstbehörde ist gleichzeitig der größte Forstbewirtschafter. Natürlich darf man das Ausland nicht aus den Augen verlieren, aber wir müssen erst einmal vor der eigenen Haustür kehren.
Was müsste geschehen, um den deutschen Wald zu retten?
Ich würde rund 20 Prozent unter Schutz stellen. Die restlichen 80 Prozent sollten schonend bewirtschaftet werden. Hier sollten heimische Baumarten wachsen, Kahlschläge dürfte es nicht geben, und auf Chemie müsste verzichtet werden.
Warum erweitert man die Waldfläche nicht?
Unter anderem wegen der Tierhaltung, die im Übrigen Haupttreiber des Klimawandels ist. Wir zählen deutschlandweit elf Millionen Hektar Wald und zehn Millionen Hektar, die für Tierfutter genutzt werden. Das Verhältnis stimmt nicht. Wenn wir dazu noch die klimaschädliche Bioenergieerzeugung reduzieren, dann könnte man locker acht Millionen Hektar in Deutschland aufforsten. Am besten helfen wir dem Wald, indem wir ihn in Ruhe lassen. Er erholt sich nämlich bestens von allein. Setzen natürliche Prozesse ein, können sich hierzulande auch wieder Laubwälder etablieren.
„Am besten helfen wir dem Wald, indem wir ihn in Ruhe lassen.“
Wie lange würde eine solche Aufforstung dauern?
Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte. Man müsste Waldbesitzer zu Klimawirten machen, denn auf diesen Flächen wird massiv Kohlendioxid eingespeichert. Auf Holz müsste es außerdem eine CO₂-Abgabe geben, wie auf alle anderen fossilen Brennstoffe auch. Denn Holzverbrennung, da ist sich die Wissenschaft weitgehend einig, ist klimaschädlicher als Kohle.
Wir haben 2020 enorme Brände erlebt. Am Amazonas hat es mehr als 200.000 gebrannt. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie das sehen?
Alle schieben es auf den Klimawandel, aber es ist immer der Mensch. Ein intakter Regenwald brennt eigentlich nicht. Er besitzt viele tote Stämme, die irre Wassermengen speichern und vor Feuer schützen, selbst wenn es tagelang nicht geregnet hat. Die Brände, die wir sehen, sind immer auf massive Abholzungen zurückzuführen. Das ist die Folge, wenn der Mensch forstet, Totholz wegräumt und beispielsweise dünne Äste als Abfall von Fällarbeiten zurücklässt. Dann heizen sich die Wälder auf und sie können dann leicht Feuer fangen.
Bedrohte Urwälder
Es gibt jetzt auch auf EU-Ebene eine Initiative, bei der es um entwaldungsfreie Lieferketten geht. Was sollte Ihrer Meinung nach dort geschehen?
Es braucht mehr Kontrollen und härtere Sanktionen. Bisher werden illegale Holzimporte mit lächerlichen Geldbußen bestraft. Ich habe mich vor Kurzem mit einem Wissenschaftler unterhalten, welches Holz man überhaupt kaufen kann. Selbst deutsches Holz wird nicht besser produziert als anderswo. Unsere alten Buchenwälder sind aktuell die am meisten gefährdeten Ökosysteme und sie werden nach wie vor in unvorstellbarem Ausmaß ausgeplündert. Das wird international auch registriert. Die EU-Holzhandelsverordnung ist momentan noch total aufgeweicht.
Können Sie denn noch entspannen, wenn Sie in den Wald gehen?
Wenn ich in unseren Wald gehe, dann schon. In unserem Revier in der Eifel greift seit Jahrzehnten niemand mehr ein. Ich bin aber gar nicht so pessimistisch, wenn ich in die Zukunft blicke. In unserer Waldakademie sehen wir, dass die Natur sich nicht kleinkriegen lässt und bei den Menschen hat der Wald eine starke Lobby. Nur in der Politik ist das noch nicht angekommen.
Das Interview führte Immo Fischer.
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