Wald in Wehrheim, Hessen © imago images / Jan Eifert
Wald in Wehrheim, Hessen © imago images / Jan Eifert

Wenn der Mensch nicht wäre, wäre fast ganz Deutschland bewaldet, vor allem mit Buchenwäldern. Dennoch sind Wälder keine bloße Ressource. Für die Menschen hierzulande ist der Wald seit Jahrtausenden ein besonderer, nützlicher wie mystischer Ort. Schon den alten Germanen war er heilig: In Hainen und auf Lichtungen opferten sie ihren Göttern. Linden waren der Liebesgöttin Freya gewidmet, die Eiche dem mächtigen Donnergott Thor. Auch in vielen klassischen deutschen Sagen und Märchen spielt der Wald eine zentrale Rolle – als Ort zum Gruseln, als Ort der Wandlung und von Heldentaten, aber auch als Zufluchtsort. Hänsel und Gretel verlaufen sich im undurchdringlichen Wald, Siegfried geht als Jüngling in den dunklen Wald und kehrt als ruhmreicher Drachentöter zurück, die Bremer Stadtmusikanten lassen im Wald ein Räuberhaus hoch gehen und finden so ihr neues Zuhause.

Im Laufe der Jahrhunderte wurden aus versprengten Siedlungen im Urwald erst Dörfer, dann Städte. Schon im 18. Jahrhundert war der Wald stark reduziert. Zu dieser Zeit (Carlowitz 1713) entstand deshalb auch der forstliche Gedanke der Flächennachhaltigkeit. Und in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhundert begann die Industrielle Revolution. Dazu wurde weiterhin Wald gefällt, viel Wald. Die sich rasant entwickelnden Städte brauchten Platz und fraßen den Wald Stück für Stück auf. Und auch der Umstieg von Handarbeit auf mechanische Fertigung von Waren mit neuen Antrieben und Produktionsmaschinen verbrauchte Holz, Holz und noch mehr Holz.

Campen im Wald erfreut sich großer Beliebtheit © Solovyova / iStock / Getty Images
Campen im Wald erfreut sich großer Beliebtheit © Solovyova / iStock / Getty Images

Vor allem die Stadtbevölkerung begann schon in den Jahrzehnten vor der industriellen Revolution, den Wald als Ort für Ruhe, Erholung und Verbundenheit mit etwa Größerem zu verklären. Die Künstler der Romantik, wie Ludwig Uhland, Clemens Brentano oder Caspar David Friedrich, fingen diese Stimmung in ihren Werken ein. Diese romantische Vorstellung des Waldes hält in Deutschland bis heute an.

Fernöstlicher Hunger auf Holz

Im heutigen Asien gibt es einige Länder, deren Holzhunger genauso gewachsen ist wie der Holzhunger in Deutschland. Insbesondere China dominiert mit seinem Ressourcenbedarf und dem Export seiner holzbasierten Produkte den Weltmarkt. Allein 2018 hatte das Land einen Holzverbrauch von ca. 250 Mio. Kubikmetern. Jahrhundertelang hat China vor allem eigenes Holz zum Bauen und zur Produktion von Papier, Zellstoff oder Möbeln genutzt und hat dazu die einheimischen Wälder radikal abgeholzt. Neben Artenschwund und trostlosen Landschaften hatte diese Ausbeutung schließlich auch massive wirtschaftliche Folgen.  

Im Sommer 1998 gab es schweren und andauernden Regen in weiten Teilen Chinas. Der ausgemergelte Boden konnte kaum Wasser aufnehmen und es gab immer wieder dramatische Schlammlawinen an Hängen. Bäche entwickelten sich zu reißenden Flüssen, die zum Schluss mehrheitlich in den Jangtsekiang mündeten. Der Jangtsekiang ist der größte und längste Fluss Asiens und kann einiges aushalten, aber diese Wassermassen waren zu viel. Er sprengte Dämme und riss tausende Menschen in den Tod. Millionen wurden obdachlos, der finanzielle Schaden ging in die Milliarden. Das tat selbst dem Wirtschaftsriesen China weh, und die chinesische Regierung wollte verhindern, dass sich so etwas bald wiederholt. Nach kurzer Ursachenforschung verhängte sie ein striktes Abholzverbot in Chinas Naturwäldern. 1998 wurden Holzeinschläge regional verboten. Ende 2016 folgte dann das chinaweite Verbot: Nur noch wiederaufgeforstete Wälder dürfen eingeschlagen werden. 

Bauboom in China © Zhengdongni / iStock Getty-Images
Bauboom in China © Zhengdongni / iStock Getty-Images

Der Holzbedarf der chinesischen Produktionsstätten wurde dadurch allerdings nicht gebremst. Statt eigenes Holz zu verarbeiten, lässt China seitdem massiv Holz importieren, vor allem aus Südostasien. In Indonesien, Vietnam, Malaysia und anderen Ländern wird dazu wertvoller Regenwald abgeholzt.  

Den Menschen vor Ort, insbesondere den Indigenen, ist der Regenwald nicht egal, ganz im Gegenteil. Sie sind besonders gute Waldschützer. Aber viele Menschen in den waldreichen Export-Ländern Südostasiens leben in großer Armut, und wer den Regenwald fällt oder auf Plantagen arbeitet, hat Aussicht auf ein regelmäßiges, besseres Einkommen. Hand aufs Herz – wer von uns würde nicht alles tun, um sich ein Dach über dem Kopf oder gute Schulbildung für die Kinder leisten zu können? Aus diesem Grund müssen die internationale Staatengemeinschaft mit den nationalen Regierungen den Wald verlässlich schützen.

Hinzu kommt ein wichtiger Nebeneffekt der Rodungen: Zur wirtschaftlichen Nutzung des Regenwaldes werden Wege und Straßen geschaffen. Auf denen wird erst das Holz abtransportiert, später die Ernte der angepflanzten Plantagen. Aus mancher Perspektive mag eine solche Schneise brutal erscheinen. Für Menschen, die in entlegenen Orten wohnen, sind diese Straßen buchstäblich der Weg zu neuen Absatzmärkten. Statt ihre Produkte umständlich und über lange Umwege mit Booten zur nächsten Stadt transportieren zu müssen, können sie diese Straße nutzen. Infrastrukturmaßnahmen und die Anlage von Plantagen sind aber weiterhin die Hauptgründe für den Waldverlust mit seinen negativen Auswirkungen für unser Klima und die biologische Vielfalt.

Nachhaltig, aber nicht wirtschaftlich?

Es ist definitiv möglich, Holz und andere Erzeugnisse aus dem Regenwald zu gewinnen, ohne ihn zu zerstören. Diese Art der nachhaltigen Nutzung ist aber im heutigen globalen Wirtschaftskreislauf nicht konkurrenzfähig gegenüber dem Dreiklang roden – Holz verwerten – Anbau von Pflanzen, deren Früchte hohe Gewinne erzielen: zum einen Ölpalmen, deren Öl in allerlei Produkten verarbeitet wird von Schokolade über Fertigpizza bis zu Waschmitteln oder der Zugabe in Diesel. Sprich, es landet auf unseren Tellern, im Einkaufskorb und im Tank. Außerdem Akazien zur Gewinnung von Zellstoff für die Papierproduktion und Gummibäume für die Verwendung in Autoreifen. Im Amazonas-Gebiet werden die gerodeten Regenwald-Flächen zum Anbau von Soja oder Zuckerrohr genutzt oder zum Weiden von Rindern.

Dayakfrauen in Kalimantan © Jimmy Syahirsyah / WWF Indonesien
Dayakfrauen in Kalimantan © Jimmy Syahirsyah / WWF Indonesien

Indigene Völker wie die Dayak auf Borneo nutzen seit Jahrtausenden den Regenwald und begegnen ihm mit größtem Respekt. Sie lebten im und mit dem Regenwald, der ihnen Baumaterial, Nahrung und Medizin lieferte. Auch heute leben noch viele Dayaks in solch intensiver Verbundenheit mit dem Regenwald. Sie sind schon seit langer Zeit sesshaft und betreiben traditionell Brandrodungsfeldbau zum Anbau von Trockenreis. Die eigentlichen Waldnomaden wie Penan oder „Punan“ und Bukat sind heute eine stark marginalisierte und sehr kleine Minderheit in Kalimantan, Brunei und Sarawak.

Der Regenwald auf Borneo wird derweil auf ganz andere Weise genutzt oder eher: ausgenutzt. So hat es die wirtschaftliche und politische Elite bestimmt. Die Dayak profitieren kaum davon, obwohl der Regenwald seit Jahrtausenden ihr zu Hause ist und die Rodung ein schwerer Eingriff in ihre Kultur ist und das Ende vieler ihrer Traditionen bedeutet. Ein Schicksal, das sie mit anderen indigenen Völkern teilen, unter anderem in Brasilien.

Wächter des Waldes

Yamomami-Jäger im Amazonasgebiet der Provinz Roraima in Brasilien © Nigel Dickinson / WWF
Yamomami-Jäger im Amazonasgebiet der Provinz Roraima in Brasilien © Nigel Dickinson / WWF

Im Amazonas-Gebiet leben drei Millionen Indigene aus über 340 verschiedenen Ethnien. Sie werden auch „Wächter des Regenwalds“ genannt und gelten als entscheidender Faktor für den Erhalt der Artenvielfalt dort. Im Amazonas-Gebiet sind etwa zehn Prozent aller Tiere und Pflanzen zu finden, die es auf der Erde gibt, darunter mindestens 40.000 Pflanzen- und unzählige Insektenarten.

Rund 13 Prozent des brasilianischen Staatsgebietes wird von Indigenen bewohnt und war bislang vor wirtschaftlicher Nutzung geschützt. Das ist Brasiliens Rechtsaußen-Präsident Jair Bolsonaro ein Dorn im Auge. Als machthungriger Populist ist ihm seine Wiederwahl wichtiger als der Erhalt des Regenwalds, und er will die Schutzgebiete für den Abbau von Gold, Energiegewinnung und andere wirtschaftliche Ausbeutung freigeben. Die Indigenen würden dadurch ihrer Lebensgrundlage beraubt. Und es hätte ebenfalls fatale Folgen für die Artenvielfalt auf unserem Planeten. 

Auch die Erderwärmung ist ein Artenkiller und verändert Ökosysteme. Unser mitteleuropäischer Wald ist an das gemäßigte Klima der letzten Jahrtausende angepasst, nicht an die Hitze und Dürre, die zu erwarten sind. Ein Problem, das viele forstwissenschaftliche Institute beschäftigt. Es geht um die große Frage: Wie lassen sich Wäldern managen, damit der Mensch auch in etwa 100 Jahren noch Holz als Rohstoff zur Verfügung hat? Waldstruktur, Totholz, Naturverjüngung, Umgang mit extensiver Nutzung etc. sind dabei die großen zu klärenden Themen.

Zerstörtes Regenwaldgebiet in Maués im Amazonas © Andre Dib / WWF Brazil
Zerstörtes Regenwaldgebiet in Maués im Amazonas © Andre Dib / WWF Brazil

Bäume sind an sich gut angepasst an das Klima, dem sie in ihren ersten 20 bis 30 Jahren ausgesetzt waren. Theoretisch könnte ein Baum an diesem Standort bis ans Ende seiner biologischen Lebensdauer weiterwachsen – vorausgesetzt, das Klima bleibt stabil. Das Klima verändert sich aber deutlich schneller und ist nicht stabil. 

Genau diese schnelle Änderung ist der Knackpunkt. In forstlichen Versuchsanstalten wird daher geforscht, welche Bäume sich für den deutschen Wald einer klimaveränderten Zukunft eignen. Gute Kandidaten sind zum Beispiel Zerreichen oder Pflaumeneichen, die heute im Mittelmeerraum vorkommen. Oder Linden, die schon jetzt häufig sind in Osteuropa und gut mit dem dortigen heiß-trockenen Kontinentalklima zurechtkommen. Das Problem dabei: Wir wissen (noch) nicht, welche Änderungen tatsächlich für die verschiedenen Baumarten zum Problem werden. Daher wäre es sinnvoller, auf natürliche Verjüngungsprozesse in den Wäldern zu setzen statt neu zu pflanzen. 

Egal zwischen welchen Bäumen wir in der Zukunft eine Auszeit vom Alltag finden, eines bleibt gleich: Die Beziehung zwischen Menschen und Wald ist eine ganz besondere. 

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