Der WWF hat zusammen mit der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde und der Universität Arkhangels, Nordwestrussland, vier Jahre lang den Einfluss des FSC auf die dortige Waldnutzung untersucht. In der vorgestellten Studie wurde ein ökosystembasierter und partizipatorischer Forschungsansatz verwendet.
Waldzertifizierungen nach dem Forest Stewardship Council (FSC) sind freiwillig. Die Zertifizierung folgt zuvor festgelegten, weltweiten Nachhaltigkeitsprinzipien. Diese werden für das jeweilige Land als Standard präzisiert. FSC wurde entwickelt, um eine verantwortungsvollere und nachhaltigere Waldwirtschaft zu fördern. Trotz der entfalteten Zugkraft der FSC-Zertifizierung in der borealen Zone gibt es dort nur eine geringe Anzahl wissenschaftlicher Studien, die die Wirksamkeit der Zertifizierung auf das Ökosystem Wald untersuchen.
26.06.2023 Update: WWF Russland verlässt internationales WWF-Netzwerk
Die russische Generalstaatsanwaltschaft hat am 21. Juni 2023 die Aktivitäten des World Wide Fund for Nature (WWF) in Russland für „unerwünscht“ erklärt. Diese Entscheidung folgt auf eine bereits im März bekannt gegebenen Verlautbarung, in welcher der WWF als «ausländischer Agent» eingestuft wurde.
Der WWF Deutschland und das gesamte, weltweite WWF-Netzwerk sind erschüttert darüber, dass unsere gemeinsame Naturschutzarbeit als „auf dem Territorium der Russischen Föderation unerwünscht“ eingestuft wird. Infolgedessen und mit sofortiger Wirkung hat der WWF Russland die schwierige Entscheidung getroffen, nicht länger Teil des WWF-Netzwerks zu sein.
Erster Teil der Untersuchung
Im ersten Teil zeigt die Studie den theoretischen Einfluss der Prinzipien, Kriterien und Indikatoren des russischen FSC Standards auf. Dabei galt das Augenmerk insbesondere der Erhaltung der ökologischen Funktionstüchtigkeit des Waldökosystems. Neben räumlichen Analysen und einem Feldbesuch fanden Workshops mit Waldexperten und anderen Akteuren statt. Das Wissen zum FSC-Standard und seiner potentiellen Wirkungen in der Region sowie zur ersten Bewertung des Zustands der Wälder wurde auf diese Weise zusammengetragen.
Das Ergebnis ist, dass FSC das Waldmanagement potentiell beeinflussen und verbessern könnte. Dies gilt z.B. für die Bereiche Monitoring und Evaluierung, die Entwicklung von institutionellen Kapazitäten und der Wissensvermittlung zu den Auswirkungen der Nutzung auf die Wälder. Theoretisch hat FSC ein gewisses Potenzial, die menschgemachten negativen Einflüsse auf das Ökosystem zu reduzieren wie zum Beispiel: großräumige Entwaldung, Verschlechterung der Waldqualität, Holzeinschlag in Wäldern mit hohem Schutzwert, die Größe von Kahlschlägen, Höhe der erlaubten jährlichen Nutzungsmengen, Baumschäden durch Bewirtschaftung oder Veränderungen des Wasserhaushaltes. Allerdings zeigt sich, dass die Reduktion menschgemachter Waldbrände, der einzige Faktor ist, der vom russischen Standard klar und wirksam adressiert wird.
In dem Artikel wird gezeigt, dass der russische FSC-Standard die Erhaltung der Biodiversität viel stärker gewährleisten könnte, wenn die ökologischen Schlüsselprobleme klarer benannt und direkter adressiert werden würden. Die Ursache der meisten ökologischen Probleme stellten die sehr großen Kahlschläge (bis zu 50 ha) dar, vor allem auch in den letzten Primärwäldern (die im Jahr 2000 und 2016 von Wissenschaftlern als sogenannte Intakte Waldlandschaften kartiert worden waren). Der russische FSC-Standard begünstigt die ökologisch nicht nachhaltige Wirtschaftsweise zwar nicht direkt, die 50-ha-Kahlschläge stehen aber auch nicht im Widerspruch zu einer Zertifizierung und werden damit toleriert. Zweifel an einer global wirksamen FSC-Praxis und ihre Glaubwürdigkeit in Richtung einer deutlich verantwortungsvolleren und nachhaltigeren Waldwirtschaft werden dadurch genährt.
Zweiter Teil der Untersuchung
Im zweiten Teil der Untersuchung wurde die Waldbewirtschaftung direkt im Freiland untersucht. Die Studie untersuchte ein 3000 km² großes Gebiet, auf denen sich Kahlschläge mit und ohne FSC-Zertifizierung sowie große Urwaldbereiche befinden.
Das Ergebnis: Die Kahlschläge haben Auswirkungen auf die umliegenden Urwälder, indem der Baumbestand auch in der näheren Umgebung der Kahlschläge abnimmt. Dadurch wiederum sind weitere wichtige Ökosystemfunktionen betroffen. Das gesamte Ökosystem wird destabilisiert. Es wird weniger Kohlenstoff gespeichert, was in Zeiten der Klimakrise ein entscheidender Faktor ist. Besonders kritisch beurteilen die Autoren der Studie die Kahlschlag-Praxis unter dem nationalen Standard des FSC-Siegels. Ein Ziel des russischen FSC-Standards ist es, die Kahlschlagflächen zu verringern, mehr Bäume stehen zu lassen und die Belastungen des Bodens durch das Befahren mit schwerem Gerät zu verhindern. Die Untersuchung zeigt, dass FSC keinerlei Veränderung bei der Kahlschlagswirtschaft bewirkte und sich die negativen Effekte im Ökosystem weiter ausbreiten.
Der WWF Deutschland zeigt die Folgen der Kahlschläge in den Urwäldern Russlands, aber auch in Wirtschaftswäldern Kanadas und Skandinaviens auf. Die Bundesrepublik importierte 2019 fast 3,5 Mio t Zellstoff (63% des verwendeten). Mehr als die Hälfte des Zellstoffs für unser Papier kommt aus den nördlichen Ländern mit gängiger Kahlschlagwirtschaft (Kritischer Papierbericht 2015). Das ist ein „schleichendes Gift“ für den Zustand der dortigen Waldökosysteme. Zugleich liegt hierzulande der Pro-Kopf-Verbrauch an Papier mit etwa 250 Kilogramm auf einem Spitzenplatz. Weltweit verbrauchen nur Belgier und Luxemburger mehr. Über die Hälfte unseres Zellstoffs, und damit die Grundlage aller Papierprodukte, kommt aus den borealen Wäldern der Nordhalbkugel.
Kahlschläge in borealen Wäldern sind legale und weithin übliche Praxis. Für Taschentücher oder Toilettenpapier werden die Urwälder zerstört. Während in Deutschland FSC-Zertifizierungen Kahlschläge nicht tolerieren, ist es in Russland, Kanada oder Skandinavien möglich, Holz aus Kahlschlägen als nachhaltige Alternative mit dem offiziellen Stempel des FSC zu vertreiben. „FSC-zertifizierte Waren bleiben neben Recycling-Produkten unsere Verbraucherempfehlung, da das Siegel auch in anderen Ländern immer noch weiter geht, als die gesetzlichen Mindestvorgaben. Trotzdem haben wir mit der gängigen Praxis erhebliche Bauchschmerzen“, fasst Dr. habil Susanne Winter, Programmleiterin Wald des WWF Deutschland zusammen.
Theoretischer Teil der Studie:
Praktischer Teil der Studie: