In den letzten einhundert Jahren wurden vor allem die Weser und Elbe als seeseitige Zufahrten der großen internationalen Häfen Hamburg und Bremen/Bremerhaven systematisch begradigt und vertieft. Besonders durch das schnelle Wachstum der Containerschiffe hat sich diese Entwicklung in den letzten Jahren rasant beschleunigt.

Im Emsästuar, welches bis Anfang der 90iger Jahre im letzten Jahrhundert als die fischreichste Flussmündung in Deutschland galt, können heute über viele Monate im Jahr aufgrund der niedrigen Sauerstoffgehalte und der hohen Schlickbelastung keine Fische mehr leben. Die Ursache dafür sind die Flussausbauten in den letzten 25 Jahren für die Überführung großer Kreuzfahrtschiffe von Papenburg nach Emden.

Menschliche Eingriffe schaden den Ästuaren an Elbe und Ems

Ästuare an Elbe und Ems © WWF
Ästuare an Elbe und Ems © WWF

An Elbe und Ems, zwei wichtigen Ästuaren der Nordsee, hat sich die ökologische Situation in den vergangenen 25 Jahren (1997-2022) dramatisch verschlechtert. Zentrale Einflussgrößen sind hier vor allem menschliche Eingriffe in das Ökosystem, wie die Vertiefung und der Ausbau der Ästuare für die Schifffahrt. Zusätzlich haben die von der Klimakrise angestoßenen Prozesse, wie der Meeresspiegelanstieg, negativen Einfluss auf die Ästuare.

Elbe

Die Tideelbe ist mit einer Länge von 183 Kilometern das größte Ästuar Deutschlands und auch eines der größten Ästuare Europas. Selbst vom Weltall aus kann man es erkennen. Die Tideelbe steht weitgehend unter europäischem Naturschutz. Der Tideeinfluss reicht bis Geesthacht, der Süßwassereinfluss endet im Wattenmeer.

Ems

Das Emsästuar hat eine Gesamtlänge von rund 80 Kilometern. Bis auf einen Abschnitt von 15 Kilometern zwischen Leer und Papenburg ist das gesamte Ästuar Teil des europäischen Schutzgebietsnetzes Natura 2000. Es endet mit dem Tideeinfluss am Wehr in Herbrum im Binnenland und seewärts bei der Insel Borkum.

Ausstellungseröffnung: Ästuare – Lebensadern der Küste

Am 6. September 2024 wurde die WWF-Wanderausstellung „Ästuare – Lebensadern der Küste“ im Natureum Niederelbe in Balje von Lars Lichtenberg (Natureum Niederelbe) und Beatrice Claus (WWF) eröffnet. Zu Wort kamen neben Sonja Papenfuß, Ableitungsleiterin Naturschutz im Niedersächsisches Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz, der Elbfischer Walter Zeeck und Rolf Brandt, Mitglied der Hafengemeinschaft Barnkrug. Auf mehreren Stelen portraitiert die Ausstellung sowohl die faszinierenden Besonderheiten der Mündungsgebiete von Elbe und Ems als auch die Schäden, die sich durch den Ausbau für Schifffahrt und Deichbau und die Effekte der Klimakrise immer mehr zuspitzen.

Die Ausstellung ist vom 06.09. bis 30.11.2024 im Natureum Niederelbe, Neuenhof 8, 21730 Balje zu sehen. Dort ist sie von Dienstag bis Sonntag zwischen 10.00 und 18.00 Uhr zugänglich und im regulären Eintrittspreis enthalten. Danach zieht sie weiter. 

Eröffnung der Wanderausstellung © WWF
Eröffnung der Wanderausstellung © WWF

„Die Mündungsgebiete von Elbe und Ems sind Hotspots biologischer Vielfalt zwischen Land und Meer. Gleichzeitig überschneiden sich hier in hohem Maße Schifffahrt, Küstenschutz, Fischerei, Industrie, Landwirtschaft und Tourismus. Die Ausstellung verdeutlicht, wie sich der Zustand der Ästuare an Elbe und Ems in den letzten 25 Jahren dramatisch verschlechtert hat und skizziert Wege aus der Krise.“

Beatrice Claus, Expertin für Ästuare beim WWF Deutschland

Stressfaktoren an den Ästuaren

Eindeichungen

Die Elbe hat bereits circa 95 Prozent ihrer Überschwemmungsgebiete durch Eindeichungen verloren. Damit ist das für Ästuare typische dynamische Entstehen und Vergehen von natürlichen Lebensräumen weitgehend zum Erliegen gekommen. An der Ems sind in den 1960er-Jahren stromaufwärts von Papenburg 70 Prozent des Überschwemmungsgebiets durch Eindeichungen verloren gegangen.

Baggerarbeiten

Baggerschiff © IMAGO / Shotshop
Baggerschiff © IMAGO / Shotshop

Der wohl größte Stressfaktor an Elbe und Ems ist das Ausbaggern. Neun Mal wurde die Unterelbe zwischen 1860 und 2022 für die Schifffahrt vertieft: von 4,5 Metern im Jahr 1860 auf 15,6 Meter im Jahr 2022 – mit einer Baggermenge von mehr als 40 Millionen Kubikmetern in 2022 ein trauriger Rekord. Zur Einordnung: Mit dieser Menge von Elb-Aushub ließe sich eine einen Meter hohe und breite Mauer errichten, die einmal rund um den Globus reichte. Nicht nur ein ökonomisches, sondern auch ein ökologisches Desaster, denn der Sand und Schlick wird in der Nordsee verklappt und belastet die dortigen Ökosysteme. Auch die Ems wurde an ihrem Unterlauf Mitte der 80er- bis Mitte der 90er-Jahre viermal für die Überführung von Kreuzfahrtschiffen vertieft: von vormals 4,50 Metern auf 7,30 Meter. Jedes Jahr werden zweistellige Millionenbeträge für Unterhaltungsbaggerungen ausgegeben, um die Tiefe aufrechtzuerhalten.

Veränderter Tidehub

Gewässerlebensräume verlanden Wischhafener Süderelbe © Claudi Nir / WWF
Gewässerlebensräume verlanden Wischhafener Süderelbe © Claudi Nir / WWF

Der Tidehub ist die Differenz zwischen Tidehoch- und Tideniedrigwasser. Ein Anstieg des Tidehubs um wenige Zentimeter kann bereits dazu führen, dass großflächige Bereiche bei Ebbe trockenfallen. In einem intakten Ästuar würde der Tidehub natürlicherweise stromauf abnehmen.

Im Elbeästuar hat der Tidehub in den vergangenen Jahrzehnten stromaufwärts Richtung Hamburger Hafen um mehr als 1,5 Meter zugenommen. Grund dafür ist vor allem das starke Absinken bei Niedrigwasser. Das hat zur Folge, dass zuvor ökologisch wertvolle Flachwasserbereiche bei Ebbe trockenfallen und ihre Funktion als Laich- und Aufwuchsgebiet für Jungfische und als Lunge des Gewässersystems nicht mehr erfüllen können. Auch der Ausbau der Ems hat den Tidehub am Wehr Herbrum sogar um mehr als 2,20 Meter ansteigen lassen – mit ähnlichen Konsequenzen für das Ökosystem wie an der Elbe.

Trübes Wasser und viel Schlick

Die Gewässertrübung in der Elbe ist seit 2010 deutlich angestiegen. Durch die Ausbaggerungen haben sich die Strömungsgeschwindigkeiten stark erhöht sowie verändert und transportieren mehr Schwebstoffe. Gleichzeitig wirbeln die permanenten Unterhaltungsbaggerungen Schwebstoffe auf.

In der Ems ist die Situation noch dramatischer: Aus einer Flussmündung mit sandiger Gewässersohle und klarem Wasser ist eine Flussmündung mit extremer Trübung und einer meterdicken flüssigen Schlickschicht (Fluid Mud) an der Gewässersohle geworden, in der kein Leben für Tiere und Pflanzen möglich ist.

Flüssigschlickschicht (Fluid Mud) im inneren Emsästuar © WWF
Flüssigschlickschicht (Fluid Mud) im inneren Emsästuar © WWF

Verlust von Lebensräumen

Durch die ausbaubedingten veränderten Strömungsgeschwindigkeiten ist der Flutstrom (also bei Hochwasser flussaufwärts) stärker als bei Niedrigwasser. Dadurch gelangen Sedimente weiter stromaufwärts, werden aber nicht wieder abgetragen, weil der Ebbstrom dafür nicht stark genug ist. Dieses Phänomen der „Tidepumpe“ hat dazu geführt, dass Seitenbereiche und Nebenelben immer stärker verlanden. Durch Verlandung und die starke Zunahme des Tidehubs gehen ökologisch wertvolle Flachwasserbereiche als Lebensraum, Laich- und Aufwuchsgebiet für Fische in großem Umfang verloren.

Den Fischen geht die Luft aus

Dreistachliger Stichling © Imago / Ardea / B. Moose Peterson
Dreistachliger Stichling © Imago / Ardea / B. Moose Peterson

All diese Faktoren – das Ausbaggern, die Eindeichungen, das Verlanden von Seitenarmen und Uferzonen, das trübere Wasser – hat dramatische Folgen für das gesamte Ästuar-Ökosystem. In den Sommermonaten entstehen immer wieder Sauerstofflöcher zwischen Elbkilometer 620 und 660. Der fehlende Sauerstoff in diesem Abschnitt stellt (Wander-)Fische vor ein unüberwindbares Hindernis.

Bei Sauerstoffkonzentrationen von weniger als vier Milligramm pro Liter besteht für Fische akuter Sauerstoffmangel. Dies führt zu massiven Schäden bis hin zum Tod. Die Fische reagieren mit sichtbarer Unruhe, Nahrungsverweigerung, Masseverlusten und Notatmung. Am Emsästuar erstreckt sich der Bereich, der für aquatische Lebewesen lebensbedrohlich wenig Sauerstoff enthält, im Sommer über mehr als 40 Flusskilometer.

Ursachen des Sauerstofflochs in Fließgewässern © WWF
Ursachen des Sauerstofflochs in Fließgewässern © WWF

Die Ästuare brauchen Schutz

2015 beschlossen der Staat, das Land Niedersachsen, die Landkreise Emsland und Leer, die Stadt Emden, die MEYER WERFT sowie der BUND, NABU und WWF den „Masterplan Ems 2050“. Darin wurde vereinbart, dass das Emsästuar als dauerhafter Fischlebensraum wiederhergestellt wird.

Dafür muss die Gewässergüte verbessert werden, indem man das Schlickproblem löst. Außerdem sollen die ästuartypischen Lebensräume auf 500 Hektar neu geschaffen werden. 200 Hektar Lebensräume sollen für Wiesenvögel im Binnenland entstehen. Doch dieser Konsens ist gefährdet. Aktuell gibt es Pläne, die Außenems erneut für die Schifffahrt zu vertiefen.

An der Tideelbe arbeitet der WWF gemeinsam mit der NABU Stiftung Nationales Naturerbe im Rahmen des Naturschutzgroßprojekts Krautsand daran, ein großes Vorhaben zur Renaturierung des Elbeästuars umzusetzen und ein „Naturparadies Krautsand“ zu schaffen.

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Weitere Informationen

  • Containerschiffe in der Elbmündung © Karl-Ulrich Stocksieker / WWF Projektregion Tideelbe – Fluss trifft Meer

    Ob Wasser oder Land, die Tideelbe bietet wertvollen Lebensraum für heimische Flora und Fauna. Weiterlesen...

  • Tideems © Gerrit Denekas Naturschutz in der Projektregion Tideems

    Die Ems entspringt in Ost-Westfalen in der Senne am Rande des Teutoburger Waldes. Die Mündung der Ems in die Nordsee ist das von Ebbe und Flut beeinflusste Emsästuar. Weiterlesen...

  • Landschaftsbild Asselersand © Claudi Nir / WWF Deutschland Naturschutzgroßprojekt Krautsand

    Im Süßwasserbereich der Tideelbe, an der Grenze zur Brackwasserzone, liegt die Elbinsel Krautsand, die nach der Sturmflut 1976 eingedeicht wurde. Weiterlesen...

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