Seit der Jahrtausendwende wurden in Deutschland mindestens 79 Wölfe illegal getötet. Auch die heimische Luchspopulation leidet fortlaufend und erheblich unter den Auswirkungen lokaler Wildtierkriminalität. Im Bayerischen Wald verschwinden regelmäßig Tiere in einem „Bermudadreieck“. Dort sind bis zum Jahr 2020 innerhalb von fünf Jahren mindestens 14 Luchse unter Umständen, die auf Tötung hindeuten, spurlos verschwunden. Auch Greifvögel sind besonders stark betroffen: Über einen Zeitraum von 20 Jahren wurden mehr als 2.200 Fälle illegaler Tötungen dokumentiert.
Elfenbein, Tigerfell und Rhinohorn – Wildtierkriminalität scheint zunächst vor allem exotische Tierarten in fernen Ländern zu betreffen. Doch auch in Europa sind einheimische Arten regelmäßig Opfer illegaler Verfolgung durch den Menschen. Insbesondere Luchse, Wölfe und Greifvögel, aber auch Fischotter und Biber leiden hierzulande unter illegalen Tötungen.
Tatsächliches Ausmaß der Wilderei ist unbekannt
Da Deutschland niedrige Meldequoten verzeichnet und es keine zentrale Dokumentation aller Fälle gibt, muss von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden. Denn: Werden die getöteten Tiere nicht absichtlich an öffentlich sichtbaren Stellen abgelegt, geschieht das Auffinden zufällig.
Spaziergänger:innen, die fernab der Wege laufen, stoßen auf die Tiere oder auf illegale Fallen und Köder. Bei Greifvögeln wissen wir, dass nur sieben Prozent der Täter:innen ermittelt und schätzungsweise 90 Prozent der Fälle gar nicht entdeckt werden. Über das tatsächliche Ausmaß der illegalen Tötungen aller Arten in Deutschland lässt sich jedoch nur spekulieren, da es keine gezielten Suchen gibt.
„Jagdwilderei“ oder „illegale Tötung“?
Der Begriff „Jagdwilderei“ bezeichnet den Eingriff in ein fremdes Jagdrecht und bezieht sich somit nur auf Arten, die der Jagdgesetzgebung unterliegen. Wenn beispielsweise jemand in einem fremden Jagdrevier Rehe schießt, wird dieser Straftatbestand als Jagdwilderei bezeichnet.
Bei der „illegalen Tötung“ von streng geschützten Tierarten, die nicht dem Jagdrecht unterliegen, handelt es sich der rechtlichen Definition nach also nicht um Jagdwilderei. Dennoch wird der Begriff Wilderei häufig synonym für die illegale Tötung geschützter Wildtiere verwendet. Die Begriffe müssen allerdings klar voneinander unterschieden werden.
Großer Nachholbedarf im Bereich Wildtierkriminalität
Aus Sicht des WWF hat Deutschland bei der Verfolgung von Wildtierkriminalität großen Nachholbedarf, da die Täter:innen in den meisten Fällen nicht gefasst werden. Um eine konsequente Strafverfolgung sicherzustellen, braucht es neben der Aufklärung der Bevölkerung vor allem entsprechende Fachkenntnis bei der Polizei und den ermittelnden Behörden sowie Strukturen und Netzwerke, um einen besseren Informationsfluss zu ermöglichen.
Zudem fordert der WWF eine umfangreiche und vollständige Dokumentation und Veröffentlichung der Fälle. Wildtierkriminalität muss im politischen und gesellschaftlichen Diskurs als ernst zu nehmendes, kriminelles Problem erkannt werden und darf nicht länger den Status eines Kavaliersdeliktes haben.
Methoden der Täter:innen
Zum Einsatz kommen häufig Giftköder, Fallen und Schusswaffen. Verschiedene Fallentypen, die zum Teil mit noch lebenden Ködern versehen sind, werden vor allem bei der Verfolgung von Greifvögeln verwendet. Obwohl Habichtfangkörbe, Leiterfallen und Tellereisen verboten sind, werden diese immer wieder durch die Polizei beschlagnahmt.
Ein besonders perfides Vorgehen besteht darin, Köder mit Gift zu präparieren, um Greifvögel zu töten. Dabei werden oft Schlachtabfälle oder Eier verwendet, die mit verbotenen Insektiziden wie Carbofuran oder Parathion versetzt werden. Das Nervengift, das die Vögel beim Verzehr aufnehmen, führt unweigerlich zum Tod.
Größere Säugetiere wie Wolf und Luchs werden in der Regel durch Schusswaffen getötet. Ein erschütterndes Beispiel ereignete sich 2023 in Thüringen, als ein Luchs qualvoll verendete, nachdem ihm ein Vorderlauf abgeschossen worden war.
Doch auch bei größeren Säugetieren kommt es immer wieder vor, dass Gift eingesetzt wird. Ein tragisches Beispiel hierfür ist der Fall von Tessa, einem Luchsweibchen, das 2012 in Bayern durch einen mit dem Pestizid Carbofuran präparierten Rehkadaver getötet wurde.
Aufklärung
Die Aufklärung illegaler Tötungen streng geschützter Wildtiere in Deutschland ist äußerst selten. Oft werden diese Fälle von Staatsanwaltschaften und Polizei als Nebensächlichkeiten betrachtet, da die Verfolgung anderer Straftaten Vorrang hat. Dennoch erfordert eine erfolgreiche Ermittlung eine intensive kriminologische Untersuchung.
Es ist entscheidend, dass Hinweise am Tatort unverzüglich gesichert werden, sobald auch nur der geringste Verdacht auf eine Straftat besteht. Ein Beispiel hierfür ist der Fall eines vermeintlich überfahrenen Luchses in Bayern Ende 2015, bei dem sich später herausstellte, dass das Tier vorsätzlich getötet worden war. Möglicherweise wurden wertvolle Hinweise übersehen, weil sie nicht sofort erkannt wurden.
Ähnlich wurde auch der Fundort des 2016 in Sachsen-Anhalt getöteten Wolfs erst nachträglich von der Polizei untersucht. Die Beweislage ist oft schwierig, da Tat- und Fundort nicht immer übereinstimmen und nur wenige Zeugen sich melden.
Ein besonders schockierendes Ereignis war der Fund eines zerstückelten und geköpften Wolfs in zwei Müllsäcken in der Nähe von Hannover im Jahr 2023. Der Kadaver wies auch Schusswunden auf. Obwohl ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, sind die Aussichten aufgrund der schwierigen Beweislage oft düster.
Selbst wenn es zu einer Anklage durch die Staatsanwaltschaft kommt, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass die Täter:innen angemessen bestraft werden. Zwischen 2013 und 2023 wurden elf Ermittlungsverfahren wegen Luchstötungen eingeleitet, von denen zehn wegen unzureichender Beweislage bereits eingestellt wurden. Nur eines dieser Verfahren ist derzeit noch offen.
Was tut der WWF?
In Deutschland engagiert sich der WWF dafür, dass Wildtierkriminalität sowohl im politischen als auch im gesellschaftlichen Diskurs als ernsthaftes kriminelles Problem anerkannt und nicht länger als Kavaliersdelikt angesehen wird. Ziel ist ein Bewusstsein für die Dringlichkeit des Themas zu schärfen, die Meldungen von Fällen zu erhöhen, Aufklärung und Weiterbildung zu fördern, wichtige Akteur:innen zu vernetzen und die Strafverfolgung zu verbessern.
In zahlreichen Projekten versucht der WWF zudem, die Akzeptanz gegenüber Arten wie Wolf und Luchs durch Aufklärung und Einbindung verschiedener Interessensgruppen zu verbessern.
Der WWF hat sich das Ziel gesetzt, bis 2030 den Artenverlust in den von ihm unterstützten Landschaften zu stoppen. Ein zentraler Schwerpunkt liegt dabei auf dem Schutz von Arten vor sowohl legaler als auch illegaler Übernutzung. Genau hier setzt das neue EU-LIFE-Projekt „wildLIFEcrime" an.
Das Projekt „wildLIFEcrime”
Im September 2023 startete das neue EU-LIFE-geförderte Projekt „wildLIFEcrime“, eine Allianz von 13 Partnern in Deutschland und Österreich. Mit einer Laufzeit von fünf Jahren und einem Budget von knapp fünf Millionen Euro hat das Projekt ein klares Ziel vor Augen: die nachhaltige Reduzierung von Wildtierkriminalität. Dies soll durch einen ganzheitlichen Ansatz erreicht werden:
Um illegale Wildtierverfolgung von vornherein zu verhindern, werden verschiedene Maßnahmen ergriffen, darunter Forschung zur besseren Kenntnis der Motive hinter illegaler Verfolgung sowie aktives Konfliktmanagement in Hot-Spot-Gebieten.
2. Auffinden, fachliche Bearbeitung und forensische Untersuchung von FällenEs ist von grundlegender Bedeutung, dass Fälle von Wildtierkriminalität frühzeitig erkannt und gemeldet werden. Nur so können sie effektiv angegangen und die Täter:innen zur Rechenschaft gezogen werden. Eine effiziente Bearbeitung erfordert einen umfassenden Ansatz, der den Kapazitätsaufbau von Stakeholdern und bestehenden Netzwerken einschließt, um potenzielle Fälle besser zu identifizieren, zu dokumentieren und zu melden. Darüber hinaus ist der Aus- und Aufbau von Meldeplattformen und Datenbanken zur Fallerfassung unerlässlich, um eine nahtlose Koordination zwischen den verschiedenen beteiligten Parteien zu gewährleisten. Die Optimierung forensischer Methoden und der Wissenstransfer zwischen Laboren spielen ebenfalls eine entscheidende Rolle, um die Ermittlungen voranzutreiben und die Beweiskette zu stärken.
3. Verstärktes Wissen bei Polizei, Staatsanwaltschaften und Richter:innenEin Mangel an Erfahrung und Referenzfällen führt oft dazu, dass Fälle von Wildtierkriminalität nicht angemessen ermittelt werden, mitunter ohne Verhandlung eingestellt werden oder das Strafmaß hinter den rechtlichen Möglichkeiten zurückbleibt. Dieser Umstand unterstreicht die dringende Notwendigkeit, Fortbildungsmöglichkeiten im Bereich Artenschutz für die Strafverfolgungsbehörden und die Justiz zu schaffen. Geplante Maßnahmen umfassen zielgruppenspezifische Weiterbildungsangebote und praxisorientierte Leitfäden für relevante Behörden wie die Polizei, Staatsanwält:innen und Richter:innen. Die Erstellung einer „Falldatenbank" mit umfassenden Beispielen einschlägiger Artenschutz-Straffälle und vollständigen Urteilen wird ebenfalls angestrebt, um als Referenzmaterial zu dienen. Des Weiteren wird die nationale, länderübergreifende und internationale Vernetzung zentraler Akteur:innen der Strafverfolgungskette intensiviert, um einen effektiven Informationsaustausch und eine koordinierte Herangehensweise sicherzustellen.
4. Verbesserte rechtliche RahmenbedingungenFür eine wirksamere Strafverfolgung von Artenschutzdelikten sind eine Reihe von Maßnahmen vorgesehen. Zunächst wird eine umfassende Evaluierung der rechtlichen Rahmenbedingungen durchgeführt, um Mängel und Hindernisse in der Strafverfolgung von Wildtierkriminalität zu identifizieren. Auf Basis dieser Analyse werden konkrete Vorschläge erarbeitet, um die Effektivität der rechtlichen Instrumente zu verbessern. Gleichzeitig erfolgt eine proaktive Einbindung von Entscheidungsträger:innen und politischen Vertreter:innen, um ihr Engagement zu erhöhen und einen verbesserten Zugang zur Justiz sicherzustellen. Durch den regelmäßigen Dialog mit den zuständigen Behörden und den beteiligten Stakeholdern werden gemeinsam Herausforderungen im Artenschutzrecht erörtert und Lösungsansätze erarbeitet.
Der Fünf-Punkte-Plan des WWF gegen Wildtierkriminalität in Deutschland
1. Anti-Wildtierkriminalitäts-Offensive der Bundesländer
Die illegale Tötung streng geschützter Wildtiere in Deutschland darf nicht länger den Status eines Kavaliersdeliktes haben, Taten müssen konsequent verfolgt werden und dürfen nicht als zweitrangige Randerscheinung im Alltag der Ermittlungsbehörden gelten. Es braucht ein eindeutiges Signal durch die Innenminister der Länder, damit die Wilderei in Deutschland endlich als gravierendes Problem mit entsprechendem Handlungsdruck wahrgenommen wird. Es bedarf der Bereitstellung entsprechender Haushaltbudgets und Mitarbeitendenkapazitäten, bestenfalls der Einrichtung von Stabstellen oder anderer geeigneter Organe in den Landesumweltministerien beziehungsweise Landeskriminalämtern die örtliche Behörden unterstützen und ein handlungsfähiges Netzwerk von erfahrenen Personen, Behörden, Ermittler:innen und Beobachte:innen vor Ort sicherstellen.
2. Nationale Wildtierbehörde
Es soll eine nationale Wildtierbehörde des Bundes eingerichtet werden. Sie soll nicht nur dem Schutz und der Förderung eines verbesserten Managements bedrohter Wildtiere dienen, sondern auch Strafverfolgungsbehörden bei der Aufklärung von Wilderei unterstützen. Hier werden alle Artenschutzdelikte dokumentiert und zentral veröffentlicht. Jährliche Berichte sollen der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden und über bekannt gewordene Fälle und deren Ermittlungsstand aufklären. Ziel ist ein besseres und bundesweit einheitliches Monitoring sowie die Erarbeitung einheitlicher Handlungskonzepte für das Vorgehen beim Auffinden eines getöteten, streng geschützten Wildtieres. Schwerpunkte der Wilderei und des illegalen Handels sollen durch das koordinierte Vorgehen besser aufgedeckt werden.
3. Bürokratieabbau und klare Strukturen
Unklare Zuständigkeiten dürfen einer erfolgreichen Ermittlung nicht im Wege stehen. Dafür muss jedes Bundesland die rechtlichen Rahmenbedingungen überprüfen. Außerdem soll das Vorgehen beim Auffinden von getöteten, streng geschützten Wildtieren bestimmter Risikoarten bundesweit standardisiert werden. Handlungsanweisung sollten gemeinsam mit Pathologen und Kriminologen erarbeitete Standards zur Datenaufnahme vor Ort enthalten sowie klare Regelungen darüber, welche Behörden und Institutionen (auch auf Landes- und Bundesebene) unmittelbar in die Untersuchungen mit einbezogen werden müssen. Außerdem muss es zum Beispiel eine vom WWF schon lange geforderte Reform des Jagdrechts geben, die auch die Überprüfung des Aneignungsrechts von streng geschützten Arten für Jäger:innen beinhaltet.
4. Ausbildungsinitiative für Justiz und Polizei
Das Thema Artenschutzkriminalität muss stärker in der Regelausbildung von Polizeibeamt:innen thematisiert werden. Zudem bedarf es gezielter Schulungs- und Weiterbildungsangebote für Staatsanwält:innen, Richter.innen und Ermittler:innen.
5. Runde Tische zu Wildtierkriminalität
Es muss stärker an den Ursachen illegaler Tötung besonders betroffener Wildtiere wie Wolf, Luchs und Greifvögel gearbeitet werden. Runde Tische und Informationsveranstaltungen sollen Landnutzer:innen, Tierhalter:innen, Naturschützende und Politiker:innen einen konstruktiven Dialog ermöglichen. Die Jagd- und Nutztierhalterverbände sollten zudem als Partner noch stärker als bisher auf die Akzeptanzarbeit innerhalb ihrer Strukturen hinwirken. Für die Bevölkerung aus ländlichen Regionen müssen Möglichkeiten der Partizipation geschaffen werden, zum Beispiel stärkere Einbindung in das Monitoring und Management großer Beutegreifer.
Weitere Informationen und Downloads
- Wilderei in Deutschland – die betroffenen Arten
- Wilderei-Notruf
- Artenschutzrecht: Fachtagungen und Projektmaterialien