Die kommerzielle Fischerei ist der größte Treiber für den Verlust der biologischen Vielfalt in den Meeren. Ein Drittel der Fischbestände in den europäischen Meeren ist überfischt. Im Mittelmeer sind es mindestens 73 Prozent. Besonders dramatisch ist die Situation in der Ostsee: Wichtige Dorsch- und Heringsbestände sind überfischt. Überfischung führt im schlimmsten Fall zum Verschwinden einzelner Fischbestände und zerrüttet Ökosysteme.
Fünf Jahre nach dem ersten Vorschlag für ein modernisiertes Gesetzespaket zur Überwachung der EU-Fischerei haben die Institutionen der Europäischen Union im Trilogverfahren eine Einigung über die sogenannte Fischereikontrollverordnung erzielt. Noch ist diese nicht final, da erst noch im Plenum des Europäischen Parlaments eine Mehrheit für die Einigung stimmen muss. Dies sollte im Winter des Jahres 2023 so weit sein.
Genaue Daten und strengere Kontrollen sind nötig
Lange Zeit war das europäische Fischereikontroll-System unzureichend – nicht „fit for purpose“, also nicht für den Zweck geeignet. Denn Kontrollen sind nur wirksam, wenn sie „das Richtige“ kontrollieren, ausreichend stattfinden und in der Lage sind, illegales Verhalten auch zu beweisen. Auch ein nachhaltiges Fischereimanagement funktioniert nur dann, wenn es genaue Daten gibt; über die Fänge der verschiedenen Fischbestände genauso wie über die Menge Fisch, die unerwünscht wieder über Bord geworfen wird: Wie viel Kilogramm von welcher Fischart wurde gefischt und angelandet oder gefischt und zurückgeworfen?
Doch genau diese Erhebung wurde von vielen Fischereiflotten ignoriert – Stichwort Anlandepflicht: Fangschiffe sind verpflichtet, alle Fänge regulierter Fischbestände mit an Land zu bringen, auch unerwünschte Beifänge oder Fische, für die die Fischer:innen keine Quote haben. Doch eine Studie des WWF aus dem Jahr 2022 zeigt, dass einige Flottensegmente der EU-Fischerei große Probleme mit unerwünschtem Beifang und (meist illegalen) Rückwürfen haben. Vor allem Grundschleppnetze verursachen viel unerwünschten Beifang, den die Fischer:innen ungern anlanden, weil sie kein Geld bekommen, aber Fangquote dafür verbrauchen müssen. Und weil kaum wer hinschaute, wanderte der Löwenanteil dieses unerwünschten Fangs illegal über Bord.
Rückwürfe sind Verschwendung!
„Unsere Analyse zeigt, dass in 2019 rund 230.000 Tonnen Rückwürfe gemeldet wurden. Das entspricht in etwa der Menge Kabeljau, die Anfang der 1970er Jahre in der Nordsee schwamm, als es dem Fischbestand noch blendend ging. Die Dunkelziffer liegt laut EU-Kontrollbehörden deutlich höher“, sagt Stella Nemecky, Fischereiexpertin beim WWF Deutschland.
„Die Rückwürfe sind nicht nur eine Verschwendung von Ressourcen, sondern auch ein Grund für die Überfischung der europäischen Meere. Sie schaden den Fischbeständen, den Ökosystemen und der Artenvielfalt. Außerdem reißen sie Lücken in die Fischereistatistik und erschweren es der Wissenschaft, den Zustand der Fischbestände richtig einzuschätzen.“
Ende Mai 2023 hat die EU eine Einigung über die Neufassung der EU-Fischereikontrollverordnung erzielt. Viele Umweltverbände, darunter auch der WWF Deutschland, befürchteten eine Aufweichung der Regelungen mit gravierenden Folgen für die Meere und Meerestiere – und letztlich auch für die Ernährungssicherheit der Menschen.
Verwässerung der Verordnung erfolgreich verhindert!
Der WWF Deutschland hat den für Fischerei zuständigen Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir dazu aufgefordert, sich für wirksame Regeln und echte Kontrollen einzusetzen – mit Unterstützung der Bevölkerung.
Mehr als zehntausend Menschen folgten dem Aufruf des WWF Deutschland und schickten eine Protestmail an den Bundeslandwirtschaftsminister. Darin wurde er aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass in den Verhandlungen zur Fischereikontrollverordnung die Toleranzspanne nicht aufgeweicht wird und der Minister den Kompromissvorschlag der EU-Kommission unterstützt. Das ist gelungen! Die befürchtete, flächendeckende Aufweichung konnte auch mithilfe Deutschlands verhindert werden!
Was ist die Toleranzspanne?
Die Toleranzspanne ist die Spanne, die es Fischerei-Kapitän:innen erlaubt, vom eigentlichen Fanggewicht per Schätzung abzuweichen. Das ist deshalb wichtig, weil Fangmengen an Bord ins Logbuch eingetragen werden müssen. Die Toleranzspanne soll verhindern, dass Fischer:innen kriminalisiert werden, weil zum Beispiel bei Sturm gewogen werden musste. Derzeit dürfen die dokumentierten Fangmengen um zehn Prozent von den tatsächlichen Fangmengen abweichen.
EU beschließt schärfere Kontrollen
Ende Mai 2023 wurde die Neuordnung der Fischereikontrolle beschlossen. „Die Neuregelung ist ein Versuch der EU, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Aber er kommt spät und muss seine Wirksamkeit in der praktischen Umsetzung beweisen“, sagt Stella Nemecky.
Doch die neue Verordnung hat das Potential, auf einigen Ebenen deutliche Verbesserungen zu erzielen: bessere Dokumentation der Fänge, wirksamere Kontrollen auf See, härtere Strafen für jene, die die Regeln missachten. Auch die Rückverfolgbarkeit von Fisch wird besser werden. Das ist wichtig, damit kein Fisch aus illegaler, unregulierter und undokumentierter Fischerei an der Ladentheke und im Kühlregal verkauft werden kann. Das bedeutet mehr Transparenz für Verbraucher:innen.
„Es wird künftig schwieriger, gefangenen Fisch ungestraft wieder über Bord zu werfen“, erklärt Stella Nemecky. „Auch die Ortung von Fangschiffen auf See wird ab 2029 einfacher.“
Ein Gesetz ist nur so gut wie seine Umsetzung
Künftig werden erstmals auch Informationen über Beifänge von empfindlichen, geschützten und bedrohten Arten verfügbar sein. Das ist ein Fortschritt, denn die Fischerei ist der größte Treiber für den Verlust der biologischen Vielfalt in den Meeren. „Ob das für eine konsequente und der Dringlichkeit der Überfischungskrise angemessene Fischereikontrolle ausreicht, muss sich noch zeigen“, gibt Stella Nemecky zu bedenken. „Zumal jedes Gesetz nur so gut ist wie seine Umsetzung. Und daran hapert es in der europäischen Fischereipolitik oft.“
Für eine seit zehn Jahren bestehende Verordnung wurde nun ein rechtlicher Rahmen geschaffen, der teilweise Übergangsfristen von weiteren fünf Jahren vorsieht, während die Bestände schrumpfen und marine Lebensräume zerstört werden. Es bleibt abzuwarten, ob die EU der Vorreiterrolle, die sie international gern einnimmt, in Zukunft auch in ihren eigenen Meeren gerecht wird.
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