Weltweit sind die Bestände der im WWF Living Planet Report untersuchten Arten seit 1970 um durchschnittlich 69 Prozent zurückgegangen. Rund eine Million Arten sind heute vom Aussterben bedroht. Das gefährdet nicht nur unseren Wohlstand, sondern unsere gesamte Lebensgrundlage. Vor diesem Hintergrund hat der WWF gemeinsam mit der Unternehmensberatung Bain & Company erstmals untersucht, wie präsent das Thema bei Unternehmer:innen in Deutschland ist.

Die Natur ist eine wesentliche Voraussetzung für das Überleben der Menschheit. Ökosysteme erbringen für uns lebenswichtige „Dienstleistungen“: Sie reinigen die Luft, liefern Nahrung, Medikamente und sind wichtig für unsere psychische Gesundheit.

Darüber hinaus schützt uns eine intakte Natur vor Umweltveränderungen wie Überschwemmungen oder extremen Temperaturen, die mit der Klimakrise einhergehen.

Wir verlieren unsere Lebensgrundlage

Zerstörtes Regenwaldgebiet in Maués im Amazonas © Andre Dib / WWF Brazil
Zerstörtes Regenwaldgebiet in Maués im Amazonas © Andre Dib / WWF Brazil

Leider nimmt die Stabilität und Widerstandsfähigkeit der Natur auf unserem Planeten in erschreckendem Maße ab, da wir die biologische Vielfalt und die Ökosysteme in einem alarmierenden und beispiellosen Ausmaß zerstören.

Wir erleben derzeit das sechste Massenaussterben in der Geschichte unseres Planeten. Wenn die Menschheit – die bei weitem am meisten zum Verlust der biologischen Vielfalt beiträgt – so weitermacht wie bisher, gefährden wir unsere Lebensgrundlage und letztlich die Bewohnbarkeit unseres Planeten.

Biodiversitätsverlust: ein Risiko für die Weltwirtschaft

Eisbär © Evgeny555 / iStock / Getty Images
Eisbär © Evgeny555 / iStock / Getty Images

Die wichtigsten Ursachen für den Verlust der biologischen Vielfalt sind Veränderungen in der Land-, Süßwasser- und Meeresnutzung, die Ausbeutung von Ressourcen, Umweltverschmutzung, invasive Arten und Krankheiten sowie der Klimawandel.

Vor allem diese menschlichen Aktivitäten, allen voran der Verlust von Lebensräumen, setzen die biologische Vielfalt zunehmend unter Druck: Und die Menschheit hat bereits Dreiviertel der Land- und etwa zwei Drittel der Meeresumwelt einschneidend verändert.

Bereits jetzt gefährdet die Biodiversitätskrise mehr als die Hälfte des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP), da dieser Anteil von den Gütern und Dienstleistungen der Natur abhängt. „Dennoch konzentrieren sich die meisten Unternehmen beim Thema Nachhaltigkeit auf Initiativen zur Reduzierung ihrer Treibhausgasemissionen", sagt Karl Strempel, Partner bei der Unternehmensberatung Bain & Company. „Dabei sollten sie sich mit der gleichen Energie dem Erhalt der Biodiversität widmen.“

Denn beide Themen sind auf vielfältige Weise miteinander verknüpft: Die Klimakrise bedroht viele Arten, der Verlust an Biodiversität, allen voran die Abholzung von Wäldern, beschleunigt die globale Erwärmung. Vor diesem Hintergrund zählt der Verlust der Artenvielfalt und damit der Zusammenbruch ganzer Ökosysteme nach Einschätzung des Weltwirtschaftsforums (WEF) mittlerweile zu den größten Risiken für die Weltwirtschaft. „Die Zeit zum Handeln ist gekommen“, sagt Strempel. „Deutsche Unternehmen sollten dabei eine Vorreiterrolle einnehmen.“

Zunehmende Regularien und Gesetze im Bereich der Biodiversität

Auch Regulierungen und globale Verpflichtungen nehmen stetig zu, sowohl auf EU- als auch auf deutscher Ebene gibt es eine Vielzahl neuer Gesetze und Vorschriften. Im Hinblick auf die biologische Vielfalt unterzeichneten die Staats- und Regierungschefs der Welt im Jahr 2022 das bahnbrechende Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (GBF), das neue Ziele und Vorgaben für den Schutz und die Wiederherstellung der Natur enthält.

Ziel 15 des GBF unterstreicht zum Beispiel die Notwendigkeit rechtlicher und politischer Maßnahmen, die große und transnationale Unternehmen sowie Finanzinstitute dazu verpflichten, ihre Auswirkungen auf die biologische Vielfalt konsequent zu überwachen, zu bewerten und offenzulegen.

Was die Offenlegung und Berichterstattung betrifft, so werden derzeit verschiedene freiwillige und verbindliche Standards von Regierungsbehörden und Nichtregierungsorganisationen entwickelt und eingeführt. Auf europäischer Ebene hat die EU-Kommission nun die Europäischen Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS) verabschiedet, die von allen Unternehmen, die der Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD) unterliegen, anzuwenden sind.

Wie präsent ist das Thema in der Wirtschaft?

Vor diesem Hintergrund haben der WWF Deutschland und die internationale Unternehmensberatung Bain & Company erstmals untersucht, wie das Thema Biodiversität in deutschen Unternehmen verankert ist, welche Maßnahmen sie ergreifen und welche Zukunftschancen sich daraus ergeben.

Für die Studie „Preserving Biodiversity: A Call to Action for German Businesses“ wurden unter anderem Interviews mit hochrangigen Vertreterinnen und Vertretern von mehr als 20 deutschen Großunternehmen geführt.

Die Studie zeigt unter anderem auf, welche wichtigen deutschen Wirtschaftszweige in welchen Bereichen – ob in der Lieferkette, bei eigenen Aktivitäten oder nachgelagert – die globale Biodiversität beeinflussen. In vielen Fällen sind es weniger die eigenen Aktivitäten, die die Biodiversität gefährden, sondern meist vor- und zum Teil auch nachgelagerte Wertschöpfungsstufen.

„Die exportorientierte deutsche Wirtschaft trägt eine globale Verantwortung für den Schutz und Erhalt der Biodiversität“, betont Heike Vesper, Vorstand Transformation Politik & Wirtschaft beim WWF Deutschland.

„Deutsche Unternehmen müssen ihr unternehmerisches Handeln mit den planetaren Belastungsgrenzen und den gesellschaftlichen Nachhaltigkeitszielen in Einklang bringen – das erfordert Strategieanpassungen, Arbeit in den Wertschöpfungsketten, Engagement in politischen Prozessen und Investitionen in die Wiederherstellung von Natur. Für den Erhalt der biologischen Vielfalt und die Bewältigung der Klimakrise ist ein umfassendes Engagement der Privatwirtschaft unerlässlich.“

Heike Vesper, Vorstand Transformation Politik & Wirtschaft

Wie kann der Wandel gelingen?

Die WWF-Studie zeigt auf, welche Maßnahmen erforderlich sind, welche Hindernisse auf dem Weg zu einer Lösung liegen und stellt einen effektiven Ansatz vor, der Unternehmen aus allen Wirtschaftssektoren bei der Umstellung helfen soll: das WWF One Planet Business Framework for Biodiversity Stewardship.

Dieser Rahmen, der wirksame Praktiken aus verschiedenen bestehenden Ansätzen und Instrumenten integriert und kombiniert, umfasst fünf Schritte, die Unternehmen dabei helfen, Risiken für die biologische Vielfalt anzugehen, Ziele und Strategien zu enwickeln und einen angemessenen Beitrag zum Schutz und zur Wiederherstellung der biologischen Vielfalt zu leisten. Diese fünf Schritte sind:

Assess

Analyse der Wertschöpfungskette, um wesentlichen Zusammenhänge zu Biodiversität zu verstehen und deren Relevanz zu bewerten.

Embed

Einbettung führender Nachhaltigkeitspraktiken in die strategische Ausrichtung und Arbeitsweise des Unternehmens.

Implement

Implementierung von Lösungen, um innerhalb und außerhalb der Wertschöpfungskette signifikante Beiträge zur Erholung der Biodiversität zu leisten.

Advocate

Eintreten für einen systemischen Wandel, indem wichtige Interessengruppen mobilisiert werden.

Achieve

Erreichung von ambitionierten Zielen, um innerhalb und außerhalb der Wertschöpfungskette signifikante Beiträge zur Erholung der Biodiversität zu leisten.

Deutsche Unternehmen stehen erst am Anfang

Containerterminal: Logistik und Transport mit Containerfrachtschiffen © thitivong / iStock / Getty Images
Containerterminal: Logistik und Transport mit Containerfrachtschiffen © thitivong / iStock / Getty Images

Deutschland ist eine der größten Volkswirtschaften der Welt, weshalb deutsche Unternehmen sowohl durch ihre eigenen Aktivitäten als auch durch ihre globalen Wertschöpfungsketten nicht nur große Abhängigkeiten, sondern auch einen enormen Einfluss auf den Verlust der biologischen Vielfalt haben. Das allgemeine Bewusstsein dafür nimmt derzeit stark zu, wie die für diese Studie geführten Interviews gezeigt haben: In Gesprächen mit 22 großen deutschen Unternehmen stellten die Autor:innen der Studie fest, dass immer mehr Unternehmer:innen das Ausmaß ihres Einflusses und ihrer Abhängigkeit von der Natur erkennen, anstehende Regulierungen aufmerksam verfolgen und beginnen, Maßnahmen zu ergreifen.

Die Gespräche haben aber auch gezeigt, dass deutsche Unternehmen erst am Anfang eines langen Weges stehen und jetzt schnellstmöglich handeln müssen. Schrittweise Veränderungen werden nicht ausreichen, um die Biodiversitätskrise zu lösen – es braucht grundlegende Veränderungen in der Wirtschaft.

Dies erfordert visionäre Strategien und kontinuierliche Umsetzungsanstrengungen, Geschäftsmodelle müssen neu bewertet und ausgerichtet werden. Obwohl noch einige Schwierigkeiten bestehen, können Unternehmen bereits jetzt handeln und Biodiversitätsschutz als Priorität in die Unternehmensstrategie integrieren.

Letztlich wird jedes einzelne Unternehmen auf die Biodiversitätskrise reagieren müssen – entweder proaktiv oder aufgrund des wachsenden Drucks von Regierungen, Verbraucher:innen und Investor:innen, die Veränderungen fordern, wie es derzeit beim Klimaschutz der Fall ist.

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