Denn wenn wir Lebensräume zerstören und damit die Artenvielfalt dezimieren, gefährden wir uns selbst. Nicht nur indirekt und auf lange Sicht, indem wir durch die Zerstörung von Regenwäldern potenzielle medizinische Heilmittel verlieren oder durch das Anheizen der Erde ganze Landstriche unbewohnbar machen, sondern auch ganz konkret und unmittelbar.
Die Covid-19-Pandemie ist ohne Zweifel eine medizinische, ökonomische und soziale Krise von globalem Ausmaß. Sie ist aber zugleich die Folge einer tiefgreifenden ökologischen Krise, in der wir uns seit Jahrzehnten befinden.
Der Covid-19-Erreger ist nicht vom Himmel gefallen. Die Corona-Pandemie ist eine Folge menschlichen Handelns, eine Folge unserer Naturzerstörung und unseres ausbeuterischen Umgangs mit den Lebewesen dieses Planeten.
Covid-19: Kein Zufall, sondern nur eine Frage der Zeit
Für Wissenschaftler:innen, die sich mit dem Phänomen der Übertragung von Viren von Wildtieren auf den Menschen beschäftigen, ist das Auftreten von Covid-19 keine Überraschung: Schon 2005 warnte die Virologin Zheng-Li Shi vom Wuhan Institute of Virology davor, dass Coronaviren in Fledermäusen auf Menschen übertragen werden und Pandemien auslösen können.
60 Prozent aller Infektionskrankheiten sind Zoonosen und 72 Prozent davon kommen von Wildtieren. Zoonosen sind Infektionskrankheiten, die auf natürliche Weise von Wirbeltieren auf Menschen übertragen werden können und umgekehrt. Zoonosen können von Bakterien, Viren, Pilze, Parasiten und Prionen verursacht werden.
Epidemien wie Ebola kosteten tausende, das HI-Virus sogar mehr als eine Million Menschen das Leben. Viele waren auf Krankheiten zurückzuführen, deren Erreger von Wildtieren auf Menschen übertragen wurden. Bei Ebola ist das Reservoir wahrscheinlich wie bei Covid-19 eine Fledermausart, HIV wurde ursprünglich von Affen übertragen. Auch die SARS- und die MERS-Erreger, die seit 2002 jeweils rund 800 Menschen das Leben kosteten, gehören zur Gruppe der Corona-Viren und sind Zoonosen.
Nicht nur Wildtiermärkte sind potenzielle Übertragungsorte
Mindestens 7.000 Wildarten weltweit sind von Wilderei und illegalem Handel betroffen. Auch Covid-19 hatte seinen Ursprung höchstwahrscheinlich auf einem Wildtiermarkt in Wuhan. Es bleibt unklar, ob Schuppentiere Zwischenwirte des neuen Corona-Virus waren – wichtig bleibt in jedem Fall die konsequente Umsetzung der Handelsverbote dieser massiv bedrohten Säugetiere und deren Schutz vor Wilderei und illegalem Handel. Schuppentiere, auch Pangoline genannt, werden in China verzehrt und in der Traditionellen Chinesischen Medizin genutzt.
Aus westlicher Sicht scheint es leicht, mit dem Finger auf Länder zu zeigen, die Wilderei und illegalem Artenhandel keinen Einhalt gebieten wollen oder können. Doch auch wir in Deutschland beteiligen uns an der Zerstörung von Lebensräumen, indem wir zu viel Fleisch konsumieren, für das Regenwald abgeholzt werden muss oder indem wir fossile Brennstoffe abbauen und dafür riesige Landstriche zerstören.
Denn bei der Zerstörung von Wäldern und anderen Lebensräumen verändert der Mensch die gewachsenen Strukturen der Ökosysteme tiefgreifend. Millionen von Tier- und Pflanzenarten, aber auch Parasiten, Viren, Pilze und Bakterien leben allein in unseren Wäldern. Sie bilden ein Gleichgewicht mit den Arten, mit denen sie sich entwickelt haben. Selbst wenn der Erreger für Menschen gefährlich werden kann, muss er bei seinem tierischen Wirt nicht zwangsläufig auch Krankheitssymptome auslösen. Die Stärke des Systems ist seine Vielfalt.
"Wie Staub, der aus Trümmern aufsteigt"
Dringen wir in diese Ökosysteme ein oder zerstören sie sogar, verlieren Krankheitserreger ihren Wirt und suchen sich einen neuen - nicht selten ist das ein einzelner Mensch. Spillover wird dieses Ereignis genannt, der in der Folge die Infektion von Tausenden anderen Menschen auslösen kann.
Der US-amerikanische Autor David Quammen hat in seinem Buch "Spillover" schon 2013 anschaulich beschrieben, wie sich solche Erreger, Zoonosen, auf den Menschen übertragen: "Wo Bäume gefällt und Wildtiere getötet werden, fliegen die lokalen Keime wie Staub umher, der aus den Trümmern aufsteigt."
Was die Klimakrise mit der Corona-Krise verbindet
Fast die Hälfte der Waldfläche, die einst auf der Erde bestand, hat der Mensch bereits vernichtet. Der Lebensraum für Wildtiere wird enger, und zwangsläufig müssen sie sich auf der Suche nach neuen Habitaten menschlichen Siedlungen annähern. Zusätzlich vertreiben die Folgen der Erderhitzung immer mehr Arten aus ihren angestammten Gebieten. "Das Problem sind nicht die Wildtiere, sondern unser enger Kontakt mit den Tieren, der es möglich macht, dass Krankheiten von Tieren auf den Menschen überspringen", so WWF-Artenschutzexperte Arnulf Köhncke.
Entwaldung in Kombination mit intensiver Landwirtschaft treibt aber nicht nur Wildtiere in die Nähe des Menschen, sondern fördert außerdem die Erhitzung des Planeten: Ideale Bedingungen für die katastrophalsten Waldbrände aller Zeiten, die wir 2019 im Amazonas, im Kongobecken, in Indonesien und Anfang 2020 in Australien erleben mussten.
Warten auf die nächste Pandemie?
Die Ausbrüche menschlicher Infektionskrankheiten nehmen zu. In den letzten Jahren gab es Ebola, die Vogelgrippe, das Atemwegssyndrom des Nahen Ostens MERS, das Rift Valley-Fieber, das schwere akute Atemwegssyndrom SARS, das West-Nil-Virus und das Zika-Virus, um nur einige zu nennen. Jedes Mal waren ursprünglich Tiere Träger der neuen Krankheitserreger. Jedoch sind nicht die Wildtiere und ihre natürlichen Erregerstämme der Auslöser, sondern die unnatürliche Nähe von Menschen und Wildtieren.
Wenn wir so weitermachen, ist die nächste Epidemie nur eine Frage der Zeit, meint auch Inger Andersen, Direktorin des UN-Umweltprogramms. Dabei sollten wir uns auch bewusst machen, dass die Kosten und Folgen einer Pandemie, wie wir sie jetzt erleben, die Kosten für ihre Verhinderung und Prävention bei weitem übersteigen. Intakte Ökosysteme und gesunde Wildtiere würden uns schützen.
Wir haben es in der Hand, Pandemien vorzubeugen
Die gute Nachricht ist: Wir haben es selbst in der Hand, diese Gefahr so gering wie möglich zu halten. Der WWF fordert schon seit Jahren, konsequent gegen illegalen Artenhandel und illegale Wildtiermärkte vorzugehen und Gesetzeslücken zu schließen, um einen effizienten Vollzug zu ermöglichen.
Auch wenn jetzt der Erhalt der Gesundheit und die Verhinderung von Leid im Fokus unseres Handelns stehen, dürfen wir langfristig nicht den Schutz der Artenvielfalt, den Kampf gegen die Klimakrise und den Stopp der Wilderei aus dem Blick verlieren. Denn spätestens jetzt sollte klar werden: Der Kampf gegen die Zerstörung der Natur ist nicht nur zur Verhinderung einer globalen ökologische Katastrophe notwendig, sondern auch zur Verhinderung einer medizinischen Katastrophe mit all ihren sozialen Folgen für Menschen auf der ganzen Welt.
- One Health - Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt