Wildtiere aller Arten und Größen spielen eine entscheidende Rolle in Ökosystemen auf der ganzen Welt; von den Tropen bis in die Arktis, vom Korallenriff bis in die Savanne. Wie wichtig Wildtiere – und seien sie noch so klein – für die Widerstandsfähigkeit unseres Planeten und unser eigenes Wohlergehen sind, zeigt eindrucksvoll der aktuelle WWF-Bericht „Nature‘s Technicians“.

Auf einem Hügel irgendwo in Ostafrika macht sich ein junger Elefantenbulle im zarten Licht der Morgensonne an einem Akazienbaum zu schaffen. Er stößt seinen mächtigen Schädel gegen den Stamm, packt ihn mit seinem Rüssel und scheint sich überhaupt ein wenig wie ein Vandale zu benehmen. Vielleicht will der Elefantenbulle aber nicht einfach nur ein bisschen Dampf ablassen, sondern an die Wurzeln des Baumes, um an die dort gespeicherten Nährstoffe zu gelangen. Was auch immer ihn antreibt – der Elefantenbulle spielt mit seinem Verhalten eine wichtige Rolle für das Ökosystem, in dem er lebt. Durch seinen „Vandalismus“ schafft er im Ökosystem die Möglichkeit zur Regeneration und Verjüngung, die Pflanzenvielfalt nimmt dadurch zu. Das wiederum verbessert die Stabilität des gesamten Ökosystems, es erhöht die genetische Vielfalt und bindet Kohlenstoff.

„Der Erhalt von Wildtierarten sollte nicht länger als „nettes Extra“ betrachtet werden, sondern als wesentlicher Bestandteil der Zukunftssicherung unseres Planeten und unserer eigenen.“

Anne Hanschke, Artenschutzexpertin beim WWF Deutschland

Naturschutz ist kein „nice to have“

Naturschutz wird allzu oft als eine Schwarz-Weiß-Entscheidung zwischen dem Erhalt der Natur und (wirtschaftlicher) Entwicklung gesehen. Als entweder oder. Als „nice to have“. Naturschutz wird als eine Art Luxus angesehen – verglichen mit der praktischen Notwendigkeit, die Weltbevölkerung zu ernähren oder Rohstoffe für eine solide Wirtschaft zu gewinnen.

Pilze im Wald © Fílmico Colombia / WWF US
Pilze im Wald © Fílmico Colombia / WWF US

Die wichtige Rolle von Pflanzen bzw. der Vegetation in Ökosystemen, vor allem die Rolle der Wälder und ihre Ökosystemleistungen sind mittlerweile weithin bekannt und akzeptiert. Doch Wildtiere werden oft als weniger wichtig angesehen – oder noch schlimmer: als Problem betrachtet!

Konflikte zwischen Menschen und Wildtieren sorgen verständlicherweise für Schlagzeilen, während die Rolle der Tiere bei der Bereitstellung vieler Ökosystemleistungen noch nicht im Bewusstsein der Gesellschaft angekommen ist. Dabei zeigt das Beispiel des Elefanten, der durch sein Verhalten zu einem gesunden Ökosystem beiträgt, wie eng Naturschutz und unser aller Wohlergehen miteinander verbunden sind.

Der WWF-Bericht „Nature‘s Technicians“ will dieses Ungleichgewicht in der Wahrnehmung ausgleichen, indem er anschaulich einige der wichtigen Rollen beschreibt, die Wildtiere – Säugetiere, Vögel, Reptilien, Amphibien, Fische und unzählige Wirbellose – direkt und indirekt für das Wohlergehen der Menschen spielen. Denn Naturschutz ist eben kein „nice to have“, sondern entscheidend für unser aller Überleben.

Die Gilden der Tierwelt

Der Bericht fasst verschiedene Tierarten, die dieselben Ressourcen in ähnlicher Weise nutzen, in sogenannten Gilden zusammen. Jede dieser Gilden erfüllt bestimmte Aufgaben – wir brauchen sie alle, um die Natur im Gleichgewicht zu halten, Ökosystemleistungen zu sichern und damit unsere Lebensgrundlagen zu erhalten.

Was auf dem Spiel steht

Flughund © Ola Jennersten / WWF Schweden
Flughund © Ola Jennersten / WWF Schweden

Nur gesunde und ausreichend große Wildtierpopulationen können diese Funktionen erfüllen. Doch der Mensch dezimiert die Wildtierbestände immer weiter. Seit 1970 sind die untersuchten Populationen von Säugetieren, Vögeln, Fischen, Amphibien und Reptilien durchschnittlich um 73 Prozent zurückgegangen. Die Menschheit verursacht das größte Artensterben seit der Dinosaurierzeit.

Wildlebende Säugetiere beispielsweise machen nur noch einen winzigen Anteil von vier Prozent der gesamten Säugetierbiomasse aus. Das ist verschwindend gering im Vergleich zu den 36 Prozent bei Menschen und den immensen 60 Prozent der Nutztiere (Geflügel und anderes nicht einberechnet). Diese Verluste haben Auswirkungen auf alles – von der Ernährungssicherheit bis hin zum Nährstofftransfer zwischen Ökosystemen.

Wenn wir Arten verlieren, geht so viel mehr verloren

Grüne Meeresschildkröte © Philipp Kanstinger / WWF
Grüne Meeresschildkröte © Philipp Kanstinger / WWF

„Es geht nicht nur um Artenvielfalt, sondern auch um die Anzahl der Tiere jeder Art in der Natur. Denn die Populationen müssen groß genug sein, um ihre ökologischen Rollen so erfüllen zu können, dass Funktionen der Natur nicht in Gefahr geraten. In Zeiten des rasanten Artensterbens und der massiven Bestandsrückgänge wird das mehr und mehr zum Problem“, erklärt Anne Hanschke, Artenschutzexpertin beim WWF Deutschland.

Viele der Ökosystemleistungen, die die Tiere für uns erbringen, gehen bereits verloren: Wenn Wälder wichtige Tierarten wie große Pflanzenfresser verlieren, verschwinden die kohlenstoffreichen, großsamigen Bäume, die auf diese Arten angewiesen sind, um ihre Samen zu verbreiten. Sie werden durch schnell wachsende Arten ersetzt, die weniger Kohlenstoff speichern, weniger essbare Früchte produzieren und anfälliger für Brände sind.

Die massive Jagd auf große Wale hatte erhebliche negative Auswirkungen auf die Produktivität der Meere. Der Verlust kleiner Säugetiere, die im Boden graben und sich darin verbergen, verringert die Bodengesundheit und damit letztlich die gesamte Produktivität des Bodens. Wer hätte das gedacht? Selbst die an dem WWF-Bericht beteiligten Ökolog:innen waren überrascht von einigen der Zusammenhänge, die sie im Rahmen der Arbeit an diesem Bericht aufdeckten.

„Der Mensch ist für das dramatische Artensterben verantwortlich und reißt sich damit selbst in den Abgrund. Wir müssen uns klar machen, dass die Beiträge von Wildtieren für unser eigenes gutes, gesundes und sicheres Leben niemals hinreichend von technischen Alternativen ersetzt werden können. Der einzige Ausweg ist es, das Artensterben zu stoppen und die Bestände von Wildtieren, die uns in der Natur noch bleiben, zu erhalten und zu stärken. Dazu müssen wir die Arten selbst und ihre Lebensräume schützen, sie vor Übernutzung, Wilderei und illegalem Artenhandel bewahren.“

Anne Hanschke, Artenschutzexpertin beim WWF Deutschland

Wiederherstellen, was verloren ist

Die wichtigste Botschaft des WWF-Berichts ist, dass Wildtiere eine unersetzliche Rolle bei der Bereitstellung von Ökosystemleistungen für die Menschheit spielen. Ihr Schutz ist ein wesentlicher Bestandteil nachhaltiger Entwicklung. Die zweite wichtige Botschaft, die oft übersehen wird, ist, dass es nicht nur um das Überleben der Arten geht – sie müssen in ausreichend großen Populationen vorkommen, um ihre Rolle richtig erfüllen zu können. Eine große Zahl ist also entscheidend!

Elefantenherde © Donna Archer
Elefantenherde © Donna Archer

Das bedeutet, dass es in vielen Fällen nicht mehr ausreicht, das zu schützen, was noch vorhanden ist: Es ist auch notwendig, Wildtierpopulationen wieder aufzubauen, die (fast) verschwunden sind, und sich dabei insbesondere auf Arten zu konzentrieren, deren Rückgang die dramatischsten und schädlichsten Auswirkungen auf die Ökosystemleistungen hat.

Die Bewahrung dessen, was noch übrig ist, hat oberste Priorität. Dies ist fast immer billiger und immer effektiver als die Wiederherstellung von Wildtierpopulationen. Aber an vielen Orten sind wir bereits über dieses Stadium hinaus.

Die Veränderung kann gelingen

Die gute Nachricht ist, dass es zahlreiche Belege dafür gibt, dass tierbasierte Ökosystemleistungen wiederhergestellt werden können und wurden. Die Erholung von Arten kann dramatische positive Auswirkungen haben, und zwar viel schneller als erwartet.

So hat die Erholung der vorher fast ausgerotteten Seeotterbestände in Alaska und Kanada innerhalb weniger Jahrzehnte unproduktive Meeresböden voller Seeigel in große Kelpwälder verwandelt, die größere Fischpopulationen beherbergen, Kohlenstoff binden und einen boomenden Tourismus zur Beobachtung von Seeottern haben, entstehen lassen. Und dies einfach, weil die Seeotter die übermäßigen Seeigel, die zuvor die Kelpwälder abweideten, wieder bejagten und das Ökosystem wieder mehr ins Gleichgewicht kam. Dies ist nur eines von vielen Beispielen, die der WWF-Bericht nennt.

Die Rückkehr von Wildtieren oder das Wachstum einzelner Populationen wird uns Menschen auch vor Herausforderungen stellen, aber der Wandel kann gelingen. Wenn wir verstehen, welche Bedeutung die Tiere unseres Planeten auch für uns Menschen haben. Wenn wir begreifen, dass ohne sie alles nichts ist.

Helfen Sie dem WWF beim Schutz bedrohter Arten

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