Wenn in Brasilien die Regenwälder brennen, ist die Empörung in Europa groß. Für Rinderweiden, den Anbau von Soja als Tierfutter, aber auch Palmöl, Holz, Kakao und Kaffee werden vor allem in Südamerika und Südostasien riesige Flächen Regenwald abgeholzt und zum Beispiel auch Graslandökosysteme und Savannenwälder im brasilianischen Cerrado in gigantische Ackerflächen umgewandelt. Doch tatsächlich trugen die Handelspolitik der EU und der Fleischhunger der Europäer:innen erheblich zur Waldzerstörung besonders in Brasilien, Indonesien, Paraguay und Argentinien, aber auch in anderen Ländern bei. Daher spricht man auch von "importierter Entwaldung".
Es ist eine Silbermedaille, auf die die Europäische Union nicht stolz sein kann. Im Gegenteil: Die EU ist für 16 Prozent der globalen Tropenwaldabholzung und Naturzerstörung verantwortlich und überholt damit sogar Indien mit neun und die USA mit sieben Prozent. Das zeigt ein neuer WWF-Report. Nur China liegt mit 24 Prozent im globalen Ranking noch vor der EU. Dabei hatte die EU sich im Rahmen der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals) mit vielen anderen Ländern verpflichtet, die globale Waldzerstörung bis 2020 zu stoppen. Stattdessen treibt sie Abholzung und Naturzerstörung weiter maßgeblich mit an.
Die Expansion der Landwirtschaft ist auf der ganzen Welt die größte Bedrohung für die tropischen Regenwälder und andere Ökosysteme. Dass dies nicht nur ein Problem der produzierenden, sondern auch der importierenden Länder ist, zeigt der aktuelle WWF-Report, der die Auswirkungen der EU-Handelsbeziehungen auf die globale Entwaldung und Naturzerstörung von 2005 bis 2017 untersucht.
Die importierte Naturzerstörung
Mit dem Import von Agrarrohstoffen vernichten die Länder der Europäischen Union nicht nur wertvolle Naturgebiete und bedrohen die Artenvielfalt, sondern befeuern auch die Klimakrise. Durch die importierte Entwaldung verursachte die EU 2017 indirekt 116 Millionen Tonnen CO2-Emissionen. Das entspricht mehr als einem Viertel der EU-Emissionen aus dem Sektor Landwirtschaft im selben Jahr. Diese indirekten Emissionen werden in den offiziellen Statistiken zu Treibhausgas-Emissionen der EU aber gar nicht erfasst.
Christine Scholl, WWF-Expertin für nachhaltige Lieferketten, fordert: „Die Ära der Naturzerstörung muss enden, denn natürliche Ökosysteme wie Wälder sind unsere Lebensversicherung. Sie stabilisieren unser Klima, sind eine Schatzkammer der Artenvielfalt und ein Bollwerk gegen künftige Pandemien. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel im globalen Handel: Rohstoffe und Produkte, die auf dem europäischen Markt landen, dürfen nicht auf Kosten von Natur und Menschenrechten produziert werden.“
Deutschland ist europäischer Entwaldungsmeister
Innerhalb Europas ist Deutschland trauriger Spitzenreiter beim Import von Entwaldung gefolgt von Italien, Spanien, Großbritannien, den Niederlanden, Frankreich, Belgien und Polen. Gerade im Wahljahr erwartet der WWF deshalb, dass die Bundesregierung handelt: Sie muss sich in Brüssel dafür einsetzen, dass Wälder, aber auch andere artenreiche Ökosysteme durch ein EU-Gesetz geschützt werden. Laut WWF-Recherche schreitet zum Beispiel die Zerstörung der brasilianischen Cerrado-Savanne für Sojaimporte besonders stark voran. Grasland, Savannen und Feuchtgebiete sind für Klima, Artenvielfalt und den Lebensunterhalt von Menschen vor Ort ähnlich wichtig wie die Tropenwälder des Amazonas.
Christine Scholl: „Wir schaffen einen Teufelskreis, denn intakte Natur ist die Grundlage jeder langfristig erfolgreichen Wirtschaft. Freiwillige Absichtserklärungen von Regierungen und Unternehmen, Lieferketten entwaldungsfrei zu gestalten, sind bisher nur in Einzelfällen umgesetzt worden. Umso wichtiger ist es, dass die EU-Kommission mit einem zielführenden und ambitionierten Gesetz einen verbindlichen Rahmen setzt.“
Lieferketten kontrollieren und Ernährungswende einleiten
Deshalb fordert der WWF die Bundesregierung und die EU-Kommission auf, für bessere und verbindliche Umwelt- und Sozialstandards in ihren internationalen Handelsbeziehungen zu sorgen. In einem ersten Schritt muss die Bundesregierung sich bei der EU-Kommission für ein starkes EU-Gesetz für entwaldungsfreie Lieferketten einsetzen. Dieses Gesetz muss verhindern, dass weiter intakte Natur in Acker- und Weideflächen für Europas Landwirtschaft und Konsum umgewandelt wird.
Auch ein Ernährungswandel würde die Regenwälder erheblich entlasten. Das hat eine kürzlich veröffentlichte WWF-Ernährungsstudie gezeigt. Würden alle Deutschen nur noch halb so viel Fleisch konsumieren wie jetzt und stattdessen auf Hülsenfrüchte und Nüsse umsteigen, könnten knapp drei Millionen Hektar Wald gerettet werden - eine Fläche von der Größe Brandenburgs. Denn viel zu oft haben deutsche Konsument:innen nicht nur ein saftiges Steak auf ihrem Teller, sondern auch ein Stück Regenwald auf dem Gewissen.
- Wälder - Schatzkammern des Lebens
- Fronten der Entwaldung: Alarmierende WWF-Studie
- Flächenbedarf und Klimaschutz