Imposant sieht es aus, wenn die riesigen Containerschiffe auf der Elbe nach Hamburg einlaufen. Hier werden sie von sehr viel kleineren Schiffen, den Hafenschleppern, gewendet und rückwärts an ihren Liegeplatz gelotst. Die immer größer werdenden Containerschiffe sollen Hamburg in Zukunft vollbeladen auch unabhängig von der Flut erreichen können – beziehungsweise ein größeres Zeitfenster für ihre Einfahrt in die Hansestadt bekommen. Dafür soll die Fahrrinne der Elbe vertieft werden – in Hamburg um einen Meter, für 14,5 Meter tiefgehende Containerschiffe. Es wäre die neunte Vertiefung, die der Fluss erdulden müsste. Für die Container-Riesen der Zukunft ist die Elbe bei voller Ladung dann trotzdem noch zu flach. Einige haben vollbeladen schon jetzt 16 Meter Tiefgang.
Es ist einer der größten deutschen Umweltprozesse und das Urteil wird Signalwirkung für alle Flüsse Europas haben. Seit Mitte Juli 2014 wird das Schicksal der Elbe vor Gericht verhandelt. Es geht um die Elbvertiefung – einen massiven Eingriff in den Fluss, der die Steuerzahler in ganz Deutschland Millionen kostet und dabei nicht einmal den gewünschten Erfolg bringt. Die geplante Elbvertiefung ist ein Schildbürgerstreich.
Bedarf für den Hafen ist fraglich
Die neuen Container-Riesen fahren Hamburg trotz allem heute schon an, denn in der Regel sind sie gar nicht voll beladen. „Die Schiffe nutzen nicht einmal aus, was heute möglich ist, weil die Ladung dafür gar nicht vorhanden ist,“ sagt Beatrice Claus, Elbe-Expertin beim WWF Deutschland. Der Bedarf der Elbvertiefung für den Hafenstandort Hamburg ist also fraglich, mehr noch, die Vertiefung würde weitere Probleme der neuen Riesen im Hamburger Hafen gar nicht lösen. Denn sie haben nicht nur mehr möglichen Tiefgang, sie sind auch länger und breiter. „Das Planungsverfahren zur Elbvertiefung hat 2003 begonnen, jetzt haben wir 2014. Damals ging man davon aus, das Wachstum der Schiffe würde stagnieren. Heute haben wir Schiffe, die sind so lang, dass sie nur bei bestimmten Tide-Bedingungen überhaupt im Hafen wenden können“, erklärt Beatrice Claus vom WWF. Diese Containerschiffe werden auch weiterhin nicht Tide-unabhängig in Hamburgs Hafen einfahren können. „Hamburg muss endlich anerkennen, dass hier auch Grenzen erreicht sind. Man kann diesen Fluss nicht ewig der Schiffsgrößen-Entwicklung anpassen", sagt Beatrice Claus.
WWF unterstützt Klage im größten deutschen Umweltprozess
Jede Vertiefung bedeutet einen enormen Eingriff in das Flusssystem mit schwerwiegenden Folgen für Natur und Menschen. Durch das Ausbaggern ändern sich die Strömungsverhältnisse, mehr Schlick und weniger Sauerstoff sind die Folge. „Wir haben mit der Ems ein Beispiel in Deutschland, wo das System nach mehreren Vertiefungen gekippt ist“, warnt Beatrice Claus. „Im Sommer kommt hier auf einer Strecke von 25 bis 30 Kilometern kein Sauerstoff im Fluss mehr vor, weil die Schwebstoffbelastung so hoch ist. Auch bei der Elbe besteht dieses Risiko.“ Deshalb unterstützt der WWF die Klage von BUND und NABU im bisher größten deutschen Umweltprozess: Am 15. Juli 2014 begann vor dem Oberverwaltungsgericht in Leipzig das Verfahren um die geplante Vertiefung der Unterelbe.
Lebendiges Ökosystem oder Wasserstraße?
Europas Umweltrecht ist eindeutig: Die europäischen Gewässer sollen bis 2015 in einen „guten ökologischen Zustand“ gebracht werden. Verschlechterungen sind verboten, so regelt es die Europäische Wasserrahmenrichtlinie. Die praktische Umsetzung der Europäischen Umweltgesetze steht jedoch noch am Anfang. Vor Gericht werden jetzt die Spielräume verhandelt. Wann zum Beispiel wiegen die wirtschaftlichen Interessen schwerer als der Schaden an der Umwelt?
Auch Beatrice Claus wird vor Gericht aussagen. „Der Eingriff in die Natur wird im Fall der Elbvertiefung deutlich unterschätzt, die Folgeschäden sind gravierender als bisher berücksichtigt“, betont die WWF-Expertin. „Außerdem liegt die Vertiefung nicht im überwiegend öffentlichen Interesse, weil aus nationaler Sicht die wirtschaftlichen Interessen kostensparender und umweltschonender umgesetzt werden könnten.“ Abgesehen von den enormen Umweltauswirkungen, welche auch viele Elbanrainer fürchten, würden bei einer Vertiefung Steuergelder in Millionenhöhe in der Elbe versenkt – von Bürgern in ganz Deutschland: Zwei Drittel der geplanten Elbvertiefung zahlt der Bund. Dabei gibt es bessere Alternativen.
Lösung Seehafenkooperation
Der Hafenstandort Deutschland steht im internationalen Wettbewerb mit den Häfen in Rotterdam und Antwerpen. Umso wichtiger, dass die drei deutschen Seehäfen Hamburg, Jade-Weser-Port und Bremerhaven kooperieren. Das würde eine Vertiefung der Elbe und auch der Weser endgültig überflüssig machen. Stattdessen herrscht in Deutschlands Hafenpolitik jedoch Kleinstaaterei. „Alle drei Häfen konkurrieren um die gleichen Containerschiffe“, kritisiert Claus. „Für den Hafenstandort Deutschland wäre es ökonomisch und ökologisch sinnvoller, wenn sie zusammenarbeiten würden und die Standortvorteile der einzelnen Häfen ausnutzen. Da hat Hamburg den Vorteil, dass der Hafen weit im Binnenland liegt. Der Jade-Weser-Port dagegen, direkt an der Küste in Wilhelmshaven, hat die tiefste Hafenzufahrt.“ Eine Kooperation könnte die Zukunft aller drei Häfen sichern, während ihre Konkurrenz auf dem Rücken der Steuerzahler und der Natur ausgetragen wird.
Der Prozess in Leipzig: Urteil mit Signalwirkung
Der Konflikt zwischen Naturschutz und wirtschaftlicher Nutzung gärt an vielen Flüssen. Im Verfahren um die Elbvertiefung werden jetzt die Weichen dafür gestellt, wie Deutschland in Zukunft mit seinen Flüssen umgehen will. „Bisher konnte die Wirtschaft bei der Nutzung der Flüsse quasi einfach durchmarschieren. Das wurde erst einmal gestoppt“, sagt WWF-Expertin Beatrice Claus. „Dieses Verfahren könnte dazu führen, dass Umweltbelange schon in der Planung von Infrastrukturprojekten ein viel größeres Gewicht bekommen und dass es dadurch möglich sein wird, Nutzung, Schifffahrt und Schutz der Flüsse gleichgewichtiger miteinander zu verknüpfen.“ In gutem Zustand sind Flüsse auch Lebensraum, Kinderstube und Wanderweg für Fische, bieten Arten wie Seeadler, Otter und Bieber Nahrung und Brutplätze und locken Erholungssuchende an ihre grünen Ufer. Das Urteil in Leipzig wird auch darüber entscheiden, wie viele dieser Lebensräume in Zukunft erhalten bleiben – nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa.
(Stephanie Probst)
- Urteil des Europäischen Gerichtshofes: Neue Hürden für die Elbvertiefung
- Elbvertiefung ist Steuerverschwendung
- Hafenkooperative als Alternative
- Warum die Verbände klagen
- Das Aktionsbündnis
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