Der Tiger könnte nach über 70 Jahren nach Kasachstan zurückkehren: Am Montag startet eine Wiederansiedlung für die ausgestorbene Tigerpopulation in dem zentralasiatischen Land. Die beiden Tiger Bodhana und Kuma aus dem Anna Paulowna Sanctuary in den Niederlanden sind in das Naturschutzgebiet Ile-Balkhash überstellt worden. Hier ziehen die beiden Neuankömmlinge in ein mehrere Hektar großes Freigehege. Es handelt sich um zwei Amur-Tiger, auch Sibirischer Tiger genannt. Dieser unterscheidet sich von dem hier einst heimischen Kaspischen Tiger genetisch nur geringfügig. Mit der Ankunft der Tiere erreicht das nationale Tiger-Programm, das von der Regierung Kasachstans mit Unterstützung des WWF und des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) durchgeführt wird, einen entscheidenden Meilenstein. Ziel ist es, langfristig eine stabile Population von rund 50 Tigern in der Region zu etablieren.
Markus Radday, Tiger-Experte beim WWF Deutschland, erklärt: „Die Wiederansiedlung von Großkatzen in einem Gebiet, in dem sie ausgestorben sind, ist ein komplexes und langfristiges Vorhaben. Es geht nicht nur darum, eine vom Menschen in Kasachstan ausgerottete Tierart zurückzubringen, sondern um die Revitalisierung eines ganze Ökosystems und um die Akzeptanz der Menschen vor Ort. Ob das Projekt als ein historischer Erfolg gelingt, wird erst in einigen Jahren sichtbar sein, wenn die Tigerpopulation in freier Wildbahn wächst und stabil bleibt.“
Das Ili Balkash-Reservat mit den angrenzenden Schutzgebieten umfasst 12.000 Quadratkilometer als potenzielles Tiger-Habitat. Das Gebiet ist allerdings vielerorts in keinem optimalen ökologischen Zustand. Deshalb begann man mit Unterstützung der UN und anderen Partnern mit Aufforstungen, an denen sich auch der WWF beteiligte. Es wurden zudem Bukhara-Hirsche und Kropfgazellen ausgewildert, und ein Jagdverbot hat dafür gesorgt, dass sich die Zahl der Wildschweine in den vergangenen Jahren fast vervierfacht hat. „Diese Maßnahmen waren wie Balsam für das angeschlagene Ökosystem in der Region und zugleich eine Grundvoraussetzung, damit sich in Zukunft auch der Tiger durchbeißen kann. Denn ein einzelnes ausgewachsenes Exemplar muss im Schnitt im Jahr etwa 50 Hirsche erlegen, um satt zu werden“, so Radday.
Ein kritischer Punkt bleibt der Schutz der Tiger und ihrer Beutetiere vor Wilderei. „Die Wilderei ist eine der größten Bedrohungen für Tigerpopulationen weltweit. Vor Ort muss man eng mit der lokalen Bevölkerung zusammenarbeiten. Neben dem Schutz der Tiger arbeiten der WWF und Partnerorganisationen daran, nachhaltige Einkommensquellen für die Menschen in der Region zu schaffen, sei es durch Ökotourismus, nachhaltige Landwirtschaft oder handwerkliche Projekte.“
Eine zentrale Herausforderung sieht Radday zudem in der erfolgreichen Nachzucht der Tiger: „Die Nachkommen von Bodhana und Kuma müssen gesund sein und sich an ihre neue Umgebung gewöhnen. Nur wenn sie lernen, eigenständig Beute zu machen, können sie langfristig in der Wildnis überleben.“ Um sicherzustellen, dass die Population genetisch vielfältig bleibt und Inzucht vermieden wird, müssen zudem in den kommenden Jahren weitere Tiger in das Projekt aufgenommen werden.