Schätzungsweise rund 200.000 Querbauwerke in ganz Deutschland, wie etwa Wehre oder Sohlschwellen, zerschneiden jeden Fluss oder Bach alle zwei Kilometer. Über 52.000 davon hat der WWF Deutschland erstmals in einem Gutachten analysieren lassen. Demnach hätte der Rückbau von 776 dieser Barrieren einen bedeutenden ökologischen Effekt und würde zahlreiche Flüsse und Bäche auf über 26.000 Kilometern wieder frei fließen lassen. Laut der WWF-Analyse liegen die meisten Bauwerke mit höchster Priorität für den Rückbau in Bayern und Baden-Württemberg (jeweils 0,11 Bauwerke pro 1000km Gewässerlänge), gefolgt von Brandenburg/Berlin (0,09 pro 1000km). Darüber hinaus hat der WWF in dem Gutachten unter dem Gesichtspunkt der höchsten Aufwand-Nutzen-Effizienz 16 Querbauwerke identifiziert, mit deren Rückbau bereits 400 Kilometer frei-fließende, ökologisch hochwertigste Flussstrecken wiederhergestellt werden könnten. Diese Bauwerke sind über das gesamte Bundesgebiet verteilt – von der Ammer in Bayern bis zu Pinnau in Schleswig-Holstein.
„Querbauwerke rauben den Gewässern ihre natürliche Dynamik, verschlechtern den ökologischen Zustand, versperren wandernden Fischarten den Weg zu ihren lebensnotwendigen Lebensräumen, entkoppeln den Fluss von der Aue und sind im Hochwasserfall mitunter sogar lebensbedrohlich für die Menschen. Um unseren stark gebeutelten Gewässern effektiv zu helfen, müssen wir sie systematisch von den ökologisch schädlichsten Wehren, Sohlschwellen oder Kulturstauen befreien“ erklärt Dr. Ruben van Treeck, Gewässerschutzreferent beim WWF Deutschland. Das geht aber nicht überall: Einige Querbauwerke erfüllen beispielsweise wichtige, wasserbauliche Funktionen und müssen erhalten bleiben. Das Gutachten zielte deswegen darauf ab, die Bauwerke nicht nur ökologisch zu bewerten, sondern auch deren Rückbaumachbarkeit. „Große Bauwerke wie die Staustufen in den Bundeswasserstraßen fallen in unserem Gutachten als mögliche Kandidaten weg. Ebenso Bauwerke mit Bedeutung für den Hochwasserschutz, große Wasserkraftwerke oder solche, deren Rückbau aufgrund sich verändernder Grundwasserspiegel Infrastruktur in unmittelbarer Nähe gefährden könnte“, erklärt van Treeck.
Sowohl in der EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 als auch im EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur wurde vereinbart, insbesondere aus der Nutzung genommene Querbauwerke wo immer möglich zurückzubauen und bis 2030 europaweit mindestens 25.000 freifließende Flusskilometer hinzuzugewinnen.
Das Gutachten ist Teil des von der Deutschen Postcode Lotterie geförderten WWF-Projekts „Lebendige Flüsse“.