Berlin, 19.09.2023: Inmitten des Ringens um Standards und Vorgaben für Gebäude und Heizungen legt der WWF ein ganzheitliches Konzept für eine regional angepasste und sozial abgefederte Wärmewende vor. In einer neuen Studie zeigt die Umweltorganisation, mit welchen Maßnahmen der Gebäudesektor sein Klimaziel für 2045 erreichen kann. „Die Großbaustelle Gebäudesektor kann eine Bauruine werden – oder ein klimafreundliches Zuhause für Deutschland. Das nötige Werkzeug ist vorhanden, es muss nur richtig eingesetzt werden“, sagt Viviane Raddatz, Klimachefin beim WWF Deutschland.
In der umfassenden Studie hat das Öko-Institut für den WWF zwei Szenarien verglichen: eines mit dem Instrumentenmix des Status Quo vom Sommer 2023 und eines, in dem das Ziel der Klimaneutralität 2045 den Weg vorschreibt. Dabei wird deutlich, dass der Status Quo bei weitem nicht ausreicht, um die Klimaziele im Gebäudebereich zu erreichen: Im Jahr 2045 würden die jährlichen Emissionen 40 Megatonnen CO2 über dem Ziel der Klimaneutralität liegen. Das wird auch die Novelle des Gebäudeenergiegesetzes nicht ausreichend ändern können, da die für eine Zielerreichung essenzielle Vorgabe von 65 Prozent Erneuerbaren-Anteil im Heizsystem mit Schlupflöchern ausgehöhlt wurde und die Verzahnung mit der kommunalen Wärmeplanung zu erheblichen Verzögerungen führt.
Im Zielszenario wird deutlich, welche Folgen die lange Tatenlosigkeit der Politik hat: Denn auch hier wird das 2030er-Ziel trotz zusätzlicher Maßnahmen nicht erreicht, da diese erst später ihre Wirkung entfalten. Allerdings führen sie dann dazu, dass bis 2045 die Emissionen in Summe unterhalb des Limits für den Gebäudesektor bleiben.
Um den Gebäudesektor auf den Zielpfad zu bringen, wird entscheidend sein, den Anteil Erneuerbarer für die Wärmeversorgung schnell hochzufahren – sowohl in Form von Wärmepumpen in Privathäusern als auch im Fernwärmenetz. Letzteres wird eine zentrale Rolle in der Wärmeversorgung einnehmen, derzeit fußt es aber noch weitestgehend auf fossilen Brennstoffen. „Bei den Wärmenetzen brauchen wir nichts weniger als einen Systemwechsel: weg von fossil-basierten Technologien, hin zur Großwärmepumpe und Geo- oder Solarthermie“, so Raddatz. „Biomasse ist sowohl im Fernwärmenetz als auch für Einzelheizungen keine nachhaltige Option: Die Verbrennung von Holz etwa geht mit enormen CO2-Emissionen einher und belastet ohnehin schon übernutzte Wälder. Daher sollte die Biomasse auf ein Minimum reduziert werden.“ Hierfür unterbreitet die Studie Vorschläge, wie etwa die Einbeziehung des CO2-Preises auf anfallende Emissionen aus der Nutzung von Biomasse.
Ein weiteres wichtiges Instrument ist die Einführung von Mindesteffizienzstandards für Gebäude, die derzeit auch auf EU-Ebene diskutiert werden. „Leider erleben wir hier eine Wiederholung des GEG-Debakels, weil sich einige Akteure der Regierung entgegen ihrer im Koalitionsvertrag festgehaltenen Absichten nun gegen die Einführung solcher Standards richten“, sagt Raddatz. „Deutschland sollte die EU beim Entwickeln eines klimafreundlichen Gebäudebestands nicht ausbremsen, das geht zu Lasten aller Europäer:innen. Mindeststandards bieten die Chance, Energiearmut zu senken.”
Die Studie zeigt auch, dass die Wärmeversorgung sehr stark regional und lokal geprägt ist, sowohl mit Blick auf die Verfügbarkeit verschiedener Energieträger und –netze als auch, was die Beschaffenheit der Gebäude betrifft. Daher braucht es eine Regionalisierung der Lösungen. Die Anforderungen der Wärmewende in Großstädten sind oftmals grundlegend anders als in einem Dorf auf dem Land. Eine an den Klimaschutz orientierte Wärmeplanung schafft vor Ort den entsprechenden Rahmen und bietet bei schneller Umsetzung Klarheit und Orientierung für die künftige Ausgestaltung der lokalen Wärmeversorgung.
Für die soziale Begleitung der Wärmewende zeigt die Studie, welche Bedeutung der Einführung eines Klimageldes zukommt, wenn es angemessen hoch ist. „Die Rückerstattung von Einnahmen aus der CO2-Bepreisung ist ein essenzielles Instrument, um die Menschen bei der Transformation mitzunehmen. Deshalb muss das Klimageld nun schnell kommen“, fordert Raddatz. Daneben braucht es gute Fördermechanismen wie sie etwa aktuell beim Heizungstausch zur Debatte stehen und günstige Finanzierungsoptionen für Haushalte mit niedrigem Einkommen.
Im Mietbereich wird es stark darauf ankommen, wie Modernisierungen umgelegt werden – dafür sind etwa Kappungsgrenzen empfehlenswert. Und speziell beim Einbau fossiler Heizungen, die später mit Biogas/-methan oder Wasserstoff betrieben werden sollen, braucht es einen fairen Ansatz zur Verteilung der Kosten zwischen Mietenden und Vermietenden, da hier hohe Energiekosten drohen.
„Die Studie zeigt, wie die Wärmewende gelingen kann. Leider weicht die Bundesregierung aktuell vom Zielpfad ab. Damit befeuert sie die Klimakrise und riskiert erhebliche gesundheitliche und finanzielle Folgen für die Menschen. Das vorgelegte Konzept kann helfen, dem Gebäudesektor einen sicheren Unterbau zu schaffen“, sagt Raddatz.
Link zur Studie: https://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/Klima/WWF-Studie-Waermewende.pdf