Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius hat in seiner Rede vor dem Fischereiausschuss gewarnt, dass die Verhandlungen über die Kontrollverordnung für die EU-Fischerei platzen könnten, sollten EU-Parlament und Mitgliedstaaten die Regeln für die Genauigkeit der Meldungen von Fangmengen aufweichen. Die Vorschläge zur Lockerung dieser sogenannten Toleranzspanne drohen, eine dramatische Untererfassung von Fängen zu legalisieren – und damit zu mehr Überfischung zu führen.
Die Überarbeitung der Fischerei-Kontrollverordnung gilt als das wichtigste EU-Legislativvorhaben dieses Jahrzehnts. Sollte die EU-Kommission ihre Drohungen wahr werden lassen, würde dies das Scheitern der Verhandlungen bedeuten und den Reformprozess beerdigen, der im Sommer 2018 begann.
Der für Fischerei zuständige Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir betonte beim Ratstreffen im März, dass Deutschland den Meeresschutz entsprechend der im Koalitionsvertrag verankerten Meeresoffensive verstärken wird. Bislang hat er sich jedoch nicht öffentlich gegen die Ausweitung der Toleranzspanne ausgesprochen.
Die Toleranzspanne ist die Spanne, die es Fischerei-Kapitänen erlaubt, vom eigentlichen Fanggewicht per Schätzung abzuweichen. Aktuell dürfen dokumentierte Fangmengen 10 % von der tatsächlichen Fangmenge abweichen. Diese Regelung gilt für jede gefangene Fischspezies. Einige EU-Mitgliedstaaten beabsichtigen, diese Regulierung aufzuweichen: ihre Vorschläge im Rat der EU sehen eine Toleranzspanne vor, die sich auf die Gesamtfangmenge und nicht auf die einzelnen Arten bezieht wie bisher.
In der Ostsee hat eine solche Lockerung dazu beigetragen, dass bedeutende Fischpopulationen stark zurückgegangen sind. Wird sie auch andernorts angewandt, könnten bereits gefährdete Populationen noch stärker unter Druck geraten; über die EU-Gewässer hinaus könnte die Ernährungssicherheit von Millionen von Menschen bedroht sein. Zudem verstoßen die möglichen Änderungen gegen EU- und internationales Recht.
Wenn sich die Bundesregierung glaubwürdig für eine legale, nachhaltige Fischerei und den Schutz mariner Ökosysteme und ihrer Artenvielfalt einsetzen will, muss sie jetzt ein klares Zeichen der Unterstützung an die EU senden. Minister Özdemir hat den Auftrag – wie im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung vereinbart – sicherzustellen, dass die Bundesregierung auf EU-Ebene eine faire, wissenschaftsbasierte Ermittlung der Fangquoten einfordert. Dafür muss sie dringend zusichern, dass Deutschland die Kompromissvorschläge der EU-Kommission zur Toleranzspanne unterstützt und gegen jedes Mandat des Rates stimmen wird, das nicht gewährleistet, dass Fänge per Spezies genau gemeldet werden müssen.
Steve Trent, Geschäftsführer (CEO) der Environmental Justice Foundation:
„Genaue Angaben zu Fangmengen sind absolut wesentlich für eine nachhaltige Fischerei. Die Bundesregierung hat jetzt die Chance, die Versprechen, die von der internationalen Gemeinschaft auf der UN-Weltnaturkonferenz gemacht wurden, einzuhalten. Wenn es der Bundesregierung ernst ist, unsere Meere wirksam für heutige und künftige Generationen zu schützen, muss sie sich in den Trilogverhandlungen gegen das Aufweichen der Toleranzspanne in der EU-Fischerei-Kontrollverordnung aussprechen.“
Stella Nemecky, Senior Policy Advisor EU Fisheries Policy, WWF Deutschland:
„Die Bundesregierung verspricht in ihrem Koalitionsvertrag, sich für faire und wissenschaftsbasierte Fangquoten einzusetzen. Diese lassen sich nur festsetzen, wenn klar ist, was und wie viel in den Netzen landet. Die Aufweichung der Toleranzspanne droht die Überfischung auf Jahre zu befeuern. Deutschland muss sich deshalb jetzt im Rat der EU an die Seite der EU-Kommission stellen und für eine genaue Meldung der Fänge starkmachen.“
Interessierte Bürger*innen können selbst aktiv werden und Bundesminister Özdemir unter folgendem Link eine vorgefertigte E-Mail mit entsprechendem Handlungsaufruf schicken: https://mitmachen.wwf.de/beschuetzer-der-meere
Bundesregierung kann ökologische Katastrophe verhindern
Kontakt
Freya Duncker
Pressesprecherin für Meeresschutz und Biodiversität / Hamburg
- Meeresschutz - ohne Meer kein Leben