Mit dem „Modell Deutschland Circular Economy“ entwickeln WWF Deutschland, Öko-Institut, Fraunhofer ISI und FU Berlin ein umfassendes Bild für zirkuläres Wirtschaften und zirkulären Konsum in Deutschland

Die Transformation der deutschen Gesellschaft zu einer Circular Economy hätte große positive Effekte auf den Klima-, Ressourcen- und Biodiversitätsschutz. Zudem würde die deutsche Wirtschaft erheblich an Versorgungssicherheit gewinnen und ihre Abhängigkeit von kritischen Rohstoffen reduzieren. Dies zeigt die heute veröffentlichte Studie „Modell Deutschland Circular Economy“, die der WWF Deutschland gemeinsam mit dem Öko-Institut, Fraunhofer ISI und der Forschungsgruppe Policy Assessment FU Berlin erarbeitet hat. Sie bietet zusammen mit dem Politik-Blueprint eine wissenschaftliche Grundlage mit konkreten Maßnahmen, Instrumenten und Folgeabschätzungen.

„Unser Hunger nach Ressourcen scheint bisher unstillbar – und dies hat uns direkt in die zunehmende Dreifachkrise aus Erderhitzung, Artensterben und Umweltverschmutzung geführt“, sagt Rebecca Tauer, Programmleiterin Circular Economy beim WWF Deutschland. Beispielsweise hat Deutschland 2018 mit 16,4 Tonnen pro Kopf rund 13 Prozent mehr Rohstoffe verbraucht als der EU-Durchschnitt und die Rohstoffentnahme und -verarbeitung in Deutschland ist für 40 Prozent unserer Treibhausgasemissionen verantwortlich. „Die Circular Economy bringt uns aus dieser Sackgasse wieder heraus, indem sie unser lineares Wirtschaften aus ‚Take-Make-Waste‘ ablöst. Bisher fehlt jedoch ein konkretes und holistisches Zielbild für den Umbau der deutschen Wirtschaft zu einer echten Circular Economy.“

Circular Economy bringt echten Klima- und Biodiversitätsschutz

Der gesamtgesellschaftliche Nutzen einer Circular Economy ist deutlich höher als die damit einhergehenden sozio-ökonomischen Kosten der Transformation, zeigt die Studie. „Die zirkuläre Transformation könnte die Treibhausgasemissionen um bis zu 26 Prozent reduzieren und den Rohstoffkonsum um bis zu 27 Prozent bis zum Jahr 2045 senken”, sagt Siddharth Prakash, Projektleiter und Leiter Zirkuläres Wirtschaften & Globale Wertschöpfungsketten beim Öko-Institut. „Den Ressourcenverbrauch zu reduzieren und vom Wirtschaftswachstum zu entkoppeln ist zentral, um die planetaren Grenzen zukünftig einzuhalten. Mit dem ‚Modell Deutschland‘ liefern wir wichtige Impulse für die Politik, um eine zukunftsträchtige, nachhaltige und wettbewerbsfähige Wirtschaftsstruktur zu gestalten.“

„Unser Hunger nach Ressourcen scheint bisher unstillbar – und dies hat uns direkt in die zunehmende Dreifachkrise aus Erderhitzung, Artensterben und Umweltverschmutzung geführt. Die Circular Economy stärkt langfristig den Wirtschaftsstandort Deutschland und ist der tragende Baustein für das Wirtschaften innerhalb der planetaren Grenzen."

Rebecca Tauer, Expertin für Circular Economy beim WWF Deutschland

Allein mit nur fünf Maßnahmenbündeln lassen sich über alle untersuchten Sektoren hinweg schon fast 84 Prozent der Treibhausgasreduktion erzielen. „Geringere Wohn- und Bürofläche, weniger Individualverkehr, eine stärker pflanzenbasierte Ernährung, ressourceneffizientere Rechenzentren und ein geringerer Konsum von Textilien sind Ansätze, die eine große Wirkung erzielen“, sagt Prakash. „Diese Maßnahmen führen außerdem zu 30 Prozent weniger Landnutzung in den betrachteten Sektoren und tragen so zum Schutz der Biodiversität bei.“

Spürbar erhöhte Versorgungssicherheit durch Circular Economy  

Einige Rohstoffe sind für eine erfolgreiche Energie- und Mobilitätswende notwendig, verursachen aber hohe Umweltschäden und sind in Bezug auf Versorgungsrisiko und wirtschaftliche Bedeutung kritisch. „Im ‚Modell Deutschland‘ zeigt sich, dass der Rohstoffbedarf in Deutschland durch verringerten Verbrauch und vermehrtes Recycling bei vielen Rohstoffen entspannt werden kann“, sagt Antonia Loibl, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI. „Bei beispielsweise Neodym, Kobalt und Kupfer könnte der angenommene Bedarf für das Jahr 2045 durch das ‚Modell Deutschland‘ zu mehr als 50 Prozent durch die entsprechenden zirkulären Maßnahmen gedeckt werden. Das Risiko für Versorgungsengpässe sinkt durch die Maßnahmen der Circular Economy.“

Den Wandel aktiv gestalten

„Damit die Vision, Leitprinzipien und Ziele einer Circular Economy umgesetzt werden können, braucht es Verbindlichkeit. Dafür ist eine Governance-Struktur für ein Ressourcenschutzgesetz, analog zum Klimaschutzgesetz, zentral“, sagt Klaus Jacob, Leiter der Forschungsgruppe Policy Assessment an der FU Berlin. Die Instrumente zur Förderung von zirkulären Maßnahmen sind zwar in der Regel bekannt, müssen allerdings weiterentwickelt und viel ambitionierter gestaltet werden, damit die erwünschte ökologische Lenkungswirkung eintritt. Beispielsweise sollte die Steuer- und Finanzpolitik bessere Anreize für zirkuläres Wirtschaften liefern, die öffentliche Beschaffung verbindlich Umweltaspekte einplanen und Hersteller sowie Inverkehrbringer von Produkten eine größere Verantwortung für ihre Produkte übernehmen, so die Analyse.

Die Autorinnen und Autoren der Studie empfehlen, dass im Zieljahr 2045 nur noch ein Pro-Kopf-Rohstoffkonsum von 7 Tonnen pro Jahr vorliegt, zudem sollte der absolute Rohstoffkonsum auf rund 500 Millionen Tonnen gesenkt werden. Außerdem müsste die zirkuläre Materialnutzungsrate (Circular Material Use Rate) in Deutschland auf 25 Prozent bis 2030 erhöht werden.  

„Deutschland muss mit der Circular Economy dringend aufholen und damit das schlummernde Potenzial für Klima- und Biodiversitätsschutz nutzen. Dafür sollte die Bundesregierung eine ambitionierte und konkrete nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie bis nächstes Jahr verabschieden“, fordert Rebecca Tauer vom WWF Deutschland. „Die Circular Economy stärkt langfristig den Wirtschaftsstandort Deutschland und ist der tragende Baustein für das Wirtschaften innerhalb der planetaren Grenzen.“

Weiterer Hintergrund

Die Modellierungsstudie geht vom Status quo aus. Der Status quo bildet die deutsche Wirtschaft und die untersuchten Sektoren so ab, wie sie sich aktuell darstellen. Auf dieser Basis modelliert die Studie vier Szenarien mit dem Zieldatum 2045: Weiter-so, Technologie, Verhalten und das umfassende Modell einer Circular Economy. Jedes Szenario zeichnet sich durch eine unterschiedliche Quantität und Qualität umgesetzter Maßnahmen aus. Dabei liegt der Fokus darauf, zirkuläre Strategien zu betrachten, die schon am Anfang der Produktion und Nutzung ansetzen, nicht erst beim Abfall.  

Der Politik-Blueprint schließt an die Modellierungsstudie an und zeichnet den Weg der Transformation hin zu einer umfassenden Circular Economy. Der Blueprint beschreibt dabei verschiedene sich gegenseitig stützende Kernelemente: Vision und Leitprinzipien, Ziele und Indikatoren, Governance, Politik-Instrumente zur Umsetzung von CE-Maßnahmen. 

Zur Vision gehören fünf Handlungsstrategien, mit denen zu den übergeordneten Umweltzielen wie Klima- und Biodiversitätsschutz beigetragen werden soll: Verringerung von Ressourcenströmen, Materialsubstitution, Verlangsamung von Ressourcenflüssen, Nutzungsintensivierung von Produkten und Schließung von Ressourcenkreisläufen.

Für jeden Sektor werden spezifische Instrumente weiter konkretisiert und detailliert beschrieben. Außerdem wird auf die sektorspezifischen Charakteristika (z. B. Chancen und Herausforderungen) bei der Umsetzung von rahmensetzenden Instrumenten eingegangen sowie Möglichkeitsfenster aufgezeigt. Zu den untersuchten Sektoren zählen: Hoch- und Tiefbau, Fahrzeuge und Batterien, Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) sowie Haushaltsgeräte, Lebensmittel und Ernährung, Textilien, Verpackungen, Möbel und Beleuchtung.

Das „Modell Deutschland Circular Economy“ wurde finanziell unterstützt durch EDEKA, die Otto Group und Vodafone. Bertelsmann Stiftung unterstützt das Vorhaben zudem als Knowledge-Partner.

Kontakt

Julian Philipp

Pressesprecher für Transformation von Wirtschaft und Finanzmarkt / Berlin

  • Amur-Tiger © Ola Jennersten / WWF Schweden Bedrohte Arten

    Der Rückgang der biologischen Vielfalt wird maßgeblich durch menschliches Handeln verursacht. Der WWF setzt sich weltweit für den Schutz bedrohter Arten ein. Erfahren Sie mehr zum Artenschutz