Die Naturschutzorganisation WWF Deutschland zieht unter Artenschutzgesichtspunkten eine durchwachsene Jahresbilanz. Stellvertretend für tausende bedrohte Arten stehen die Verlierer aus dem Tierreich 2023: Löwen, Humboldt-Pinguinen, Atlantischen Lachsen, Flussdelfinen im Amazonas, dem Kabeljau in der Nordsee und den Amphibien weltweit geht es schlechter. Insgesamt weist die Internationale Rote Liste jetzt über 44.000 Tier-, Pflanzen- und Pilz-Arten als bedroht aus. „Die größte Aussterbe-Welle seit Ende der Dinosaurierzeit rollte auch 2023 praktisch ungebremst über unsere Natur hinweg“, so Kathrin Samson, Vorständin Naturschutz beim WWF Deutschland. Hauptursachen dafür seien Lebensraumzerstörung, Wilderei, Übernutzung, invasive Arten, Umweltverschmutzung sowie die Klimakrise. „Alle Faktoren, die das Artensterben befeuern, sind menschengemacht. Wir Menschen sind hier Täter und Opfer. Schließlich sind wir für unser eigenes sicheres und gesundes Leben auf vitale Ökosysteme und Artenvielfalt angewiesen.“
Doch auch 2023 gibt es Lichtblicke, wie die Gewinner des WWF-Jahresresümee zeigen: Vom Schneeleoparden in Bhutan über Indiens Tiger und Afrikas Nashörner bis zu Wisenten im Kaukasus. „Der Mensch hat das Artensterben verursacht. Er steht damit in der Verantwortung die Krise zu beenden“, so Samson. Bundeskanzler Scholz müsse daher seine Versprechen zur Erhöhung der internationalen Biodiversitätsfinanzierung einhalten. „Wir brauchen ambitionierten Naturschutz in Deutschland und weltweit. Dabei dürfen die globalen Abkommen zum Klimaschutz und zum Biodiversitätsschutz nicht gegeneinander ausgespielt werden. Das betrifft auch die Finanzierungszusagen.” Ohne eine nachhaltige und sozialverträgliche Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft sei die Rettung der Biodiversität zum Wohl von Mensch und Natur nicht zu schaffen.
Ein Beispiel ist laut WWF das deutsche Wasser- und Flussmanagement. „Amphibien wie Frösche und Kröten, aber auch zahlreiche Süßwasserfische sind bedroht. Gleichzeitig wird immer deutlicher, dass Deutschland in Zeiten der Erderhitzung einen neuen Umgang mit Wasser lernen muss. Wir brauchen intakte Moore, Auwälder und Flusslandschaften, damit sie ihre unersetzlichen ökologischen Dienstleistungen erfüllen können, etwa als Wasserspeicher oder zum Schutz gegen Überschwemmungen. Ein Ausbau von Flüssen, wie er an Oder, Ems oder Weser droht, läuft einem nachhaltigen, verantwortungsvollen Umgang mit Wasser vollkommen entgegen.” Der WWF fordert daher auch anlässlich des Jahreswechsels einen Stopp der Ausbaupläne in 2024.
Gewinner 2023
Breitmaulnashörner: Die Zahl der Breitmaulnashörner ist nach zehn Jahren Rückgang zum ersten Mal wieder gestiegen – und zwar um gut fünf Prozent auf insgesamt rund 16.800 Exemplare. Zudem hat die Naturschutzorganisation African Parks 2023 das größte Nashornzucht-Projekt der Welt erworben. Mehr als 2.000 Breitmaulnashörner sollen ausgewildert werden. Die Dickhäuter bleiben damit zwar weiterhin durch Wilderei bedroht, die positiven Nachrichten sind trotzdem mutmachend, denn 2022 hat der WWF die Breitmaulnashörner noch als Verlierer gewertet.
Wisente im Kaukasus: Vor genau 100 Jahren startet ein Rettungsprogramm für die, in freier Wildbahn damals ausgestorbenen Wisente. Mit Erfolg: Inzwischen streifen wieder über 8000 europäische Bisons durch die Wälder. Und auch 2023 sind es wieder mehr geworden: Zehn Wisente verließen im November den Tierpark Berlin und den Wildpark „Alte Fasanerie“ Hanau in Richtung Aserbaidschan, wo sie im Shahdag Nationalpark ein neues Zuhause finden werden. Im Rahmen des WWF-Wiederansiedlungsprojekts wurden dort bislang 36 Wisente ausgewildert. Die Tiere haben sich bereits vermehrt und der Bestand ist auf 50 angewachsen. Bis 2028 sollen insgesamt 100 Tiere ausgewildert werden.
Saiga-Antilopen: Die in Zentralasien beheimatete Saiga-Antilope wird auf der Roten Liste nicht mehr als „vom Aussterben bedroht" geführt. Die Population in Kasachstan, wo 98 % aller Saigas leben, ist in den vergangenen Jahren dank intensiver Schutzbemühungen von knapp 100.000 auf rund 1,3 Mio Tiere gestiegen. Und auch in der Mongolei erholten sich die Bestände. Die Art ist sehr anfällig für Krankheitsausbrüche und war 2010, 2011, 2015 und 2016 von großen Massensterben betroffen. Auch illegale wie legale Jagd bleibt ein Problem.
Schneeleoparden in Bhutan: Bei einer Erhebung in Bhutan konnten 134 Schneeleoparden gezählt werden. Im Jahr 2016 waren es nur 96 Individuen. Im Rahmen der nationalen Schneeleopardenstudie wurden über 300 Wildtierkameras auf einer Fläche von 9.000 km² platziert.
Tiger: Die Zahl der Großkatze ist in einigen asiatischen Ländern erfreulich nach oben gegangen: In Bhutan hat sie sich seit 2015 von 103 auf 131 erhöht. Indien vermeldete 2023 über 3600 Tiger – und vereint damit in seinen Landesgrenzen Zweidrittel des globalen Bestands. Hoffnung, dass auch in Südostasien die Tiger trotz kleiner Bestände nicht verloren sind, machen zudem Aufnahmen aus Kamerafallen in Malaysia.
Sarus-Kraniche in Nepal: Dank intensiver Schutzbemühungen hat sich mit über 700 Exemplaren die Zahl der Sarus-Kraniche in Nepal seit 2010 verdoppelt. Damals gab es in dem Land nur noch 350 der majestätischen Vögel. Das Wort “Sarus" stammt eigentlich vom Sanskrit-Begriff "Saras" (Kranich) ab. In der nepalesischen Gesellschaft und Kultur symbolisieren die Vögel Liebe, Glauben und Hingabe. Die Art gilt weltweit allerdings weiterhin als „gefährdet“.
Fischotter in Bayern: Beinahe wäre der Fischotter 2023 zu einem Verlierer geworden, denn die bayerische Staatsregierung unter Ministerpräsident Markus Söder wollte die kleinen Marder zum Abschuss freigeben. Bis vor Kurzem galten Fischotter in dieser Region als ausgerottet. Ihr Bestand ist weiterhin „gefährdet“. Ab Dezember hätten Jäger die Tiere ohne jegliche Auflagen trotzdem direkt schießen dürfen, doch ein Verwaltungsgericht stufte die entsprechenden Verordnungen in letzter Minute als rechtswidrig ein.
Verlierer 2023
Afrikanische Löwen: Die Löwenpopulation in Afrika wird auf etwa 23.000 geschätzt. Bereits zwischen 2006 und 2018 brach die Population der afrikanischen Löwen um ein Viertel ein. Dank verstärkter Schutzmaßnahmen konnte der Abwärtstrend zwar verlangsamt, aber nicht aufgehalten werden. 2018 bis 2023 ging der Gesamtbestand um weitere 8% zurück, wobei die stärksten Rückgänge in West- und Zentralafrika vermutet werden. Der WWF arbeitet beispielsweise im KAZA-Schutzgebietskomplex zu Lebensraumschutz und Mensch-Löwen-Konflikten.
Flussdelfine im Amazonas: Weit über 200 Flussdelfine sind seit September im Lago Tefé im brasilianischen Bundesstaat Amazonas ums Leben gekommen – betroffen sind sowohl der Rosa Flussdelfin als auch der Tucuxi, der grau und etwas kleiner ist. Zehn Prozent der Flussdelfin-Population im Lago Tefé starb in nur einer Woche. Wahrscheinlich haben hohe Wassertemperaturen von bis zu 39,1 Grad Celsius zum Tod der Flussdelfine geführt. Neben Wasserkraftwerken oder Quecksilberverschmutzung sind die Süßwasserdelfine nun auch direkt von der Klimakrise betroffen. Der WWF startete eine Rettungsaktion vor Ort. Zugleich wurde im Oktober eine globale Erklärung unterzeichnet, um den Rückgang der Populationen in Südamerika zu stoppen und die Flussdelfinpopulationen in Asien zu verdoppeln.
Amphibien: Das große Sterben im Reich der Frösche, Kröten und Salamander geht auch 2023 weiter: Über 40 Prozent aller Amphibienarten weltweit sind laut der Roten Liste akut bedroht. Vor allem aufgrund der Zerstörung ihrer Lebensräume und der Klimakrise. Damit sind sie die am stärksten bedrohte Wirbeltierklasse – noch vor Säugetieren, Reptilien oder Vögeln. Unter den Amphibien sind die Salamander die am stärksten bedrohte Gruppe. Mehr als jede zweite Salamanderart ist bedroht. Vier Amphibienarten wurden in den letzten drei Jahren für ausgestorben erklärt. 185 Amphibienarten werden nun als „möglicherweise ausgestorben“ geführt.
Atlantische Lachse: Der Atlantische Lachs gilt laut der neuen Roten Liste global als «potenziell gefährdet». Die weltweite Population ist in den vergangenen Jahren um 23 Prozent geschrumpft. Die Fischart, die in Flüssen schlüpft und dann ins Meer wandert, leidet unter vielen Bedrohungen: Dämme und andere Hindernisse versperren den Zugang zu den Laich- und Futterplätzen, während Wasserverschmutzung und Sedimentation, vor allem durch Holzeinschlag und Landwirtschaft, zu einer höheren Sterblichkeit der jungen Lachse führen. Zudem bedroht die Lachslaus, die oft Lachszuchten befällt, auch Wildbestände.
Humboldt-Pinguine: Die Vogelgrippe fegte auch 2023 durch das Tierreich und kommt dabei selbst in entlegensten Weltregionen an. Infolge der aktuellen Vogelgrippekrise sind bis Oktober bereits ca. 3.000 der ungefähr 10.000 in Chile brütenden, gefährdeten Humboldt-Pinguine verendet sowie mehr als 18.000 Mähnenrobben. Nun fürchten Artenschützer:innen eine Ausbreitung des tödlichen Virus auch in der Antarktis und auf den Galapagos-Inseln, die viele Arten beherbergen, die nur dort vorkommen.
Kabeljau in der Nordsee: Der Kabeljau gehört 2023 abermals zu den Verlierern. In den Übereinkommen der EU mit Norwegen und Großbritannien liegen die neuen, erlaubten Fangmengen über den wissenschaftlichen Empfehlungen. Der Kabeljau in der Nordsee wird damit weiterhin überfischt. Auch im dänischen Meeresgebiet Kattegat fehlt Raum zur Erholung. Die beschlossene Kürzung der Fangmenge um zehn Prozent wird wenig nutzen, da die Schollenfischerei im gleichen Gebiet um 19 Prozent angehoben wird. Dort landet der Kabeljau als Beifang im Netz.